Durch Social Media verfügt die Politik zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik über eigene Massenkommunikationsmittel. Sie missbraucht sie unter dem Deckmantel der Öffentlichkeitsarbeit – mit Folgen. Darum prozessiere ich seit Jahren gegen das Bundespresseamt.
„Im Augenblick gibt es ja eine richtige Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten, und denen, die Nachrichten erzeugen. Und zwar zugunsten derer, die die Nachrichten erzeugen. Wir brauchen die [gemeint sind Presse und Rundfunk] nicht mehr. Und das ist das Schöne. Sie können heute über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle, über Youtube ein Publikum erreichen, das teilweise die Öffentlich-Rechtlichen, auch die privaten institutionalisierten Medien nicht mehr erreichen. Wenn man das richtig nutzt, wenn man das gut macht, dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten über das, was Sie gesagt haben. In ganz anderer Form, als wir das früher gehabt haben. So, und das ist die gute Nachricht der Digitalisierung.“
Das Zitat stammt von Friedrich Merz. Vorgetragen hat er es beim Rittertalk des Aachener Karnevalsvereins im Januar 2020. Als die Aachener Nachrichten auf diese Aussagen hinwiesen, gab es einen mittleren Aufschrei in der Medienbranche. Merz ruderte zurück. Problem erkannt, Problem gebannt? Mitnichten. Denn „[w]as Merz sagt, stimmt in Teilen und wird mutmaßlich von vielen Politikern, Firmenchefs und Funktionären genauso gedacht“, kommentierte Chefredakteur Amien Idries damals. Nur wenn dem so ist, „[w]ie sieht es beispielsweise künftig mit unserer Vorstellung von mündigen Bürgern aus? Wie reifen in ihnen Meinungen zu relevanten politischen Themen? […] Und wie sieht es mit dem Journalismus als Kontrollinstanz aus? Wer legt bei Politik und Unternehmen die Finger in die Wunden?“
Hier wird das, was Merz gesagt hat, zu einem Problem für die Pressefreiheit. Warum? Im ersten Leitsatz der für unser Mediensystem wegweisenden Spiegel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heißt es:
„In der repräsentativen Demokratie steht die Presse als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung und dient der politischen Willensbildung.“
Die Machtkontrolle ist eine verfassungsrechtlich abgesicherte Kernfunktion des Journalismus. Eine Regierung, die sich mittels eigener Kanäle zielgerichtet der kritischen Kontrolle des Journalismus entzieht und versucht „die Deutungshoheit zu behalten“, sprich die Meinungsbildung zu beeinflussen, bricht die Verfassung an einer empfindlichen Stelle. Ohne Pressefreiheit keine Demokratie.
Merz hatte, als er vor dem Karnevalsverein sprach, kein Regierungsamt inne. Deshalb hatte seine Aussage zunächst nur ein Geschmäckle. Hätte ein Bundeskanzler Merz so gesprochen, wäre der Aufschrei um ein Vielfaches größer gewesen. Dabei ist er eigentlich längst überfällig. Denn während Merz über einen Staatsfunk 2.0 fantasiert, ist er längst zur Realität geworden. Um dessen Entstehung nachzuvollziehen, müssen wir zurückreisen in die Zeit einer alten Regierung. Womit wir bei Angela Merkel wären.
Was Merz aussprach, hat sie im Tandem mit Regierungssprecher Seibert stillschweigend umgesetzt.
Im September 2019 habe ich das Bundespresseamt deshalb auf weitgehende Unterlassung seiner Kommunikation über Social-Media-Kanäle verklagt. Die Regierung hebelt meiner Ansicht nach die Kontrollfunktion des Journalismus aus und beeinflusst die gesellschaftliche Meinungsbildung verfassungswidrig. Im Kern führt die Ampel fort, was die große Koalition unter Merkel begann. Das Verfahren berührt also auch die jetzige wie kommende Regierungen.
Wie der Staat mit seiner Öffentlichkeitsarbeit die Verfassung bricht
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