Ausgerechnet unsere Leser gefährden unseren Journalismus

Wer bei einer Sache für mehr Verständnis werben will, muss gut erklären. Ich will es versuchen.

Es ist nicht leicht, diesen Text zu schreiben. Das hat vor allem zwei Gründe:

  1. Er spricht ein Problem an, das wir bei Medieninsider mit Teilen unserer eigenen Abonnenten haben – also ausgerechnet jenen, die mich und die Arbeit meines hochkompetenten Teams bezahlen. Es besteht die Gefahr, dass sich genau die falschen angesprochen fühlen und verprellt werden. 
  2. Es geht um Geld. Darüber spricht man in der Regel nicht so gerne, weil schnell falsche Rückschlüsse gezogen werden. ich finde, wir sollten viel mehr darüber reden. 

Ich veröffentliche diesen Beitrag dennoch. Denn er spricht eine Entwicklung an, die elementar für die Finanzierung von unabhängigem Journalismus ist. Aus meiner täglichen Arbeit weiß ich, dass das Thema viele Medien und ihre Unternehmen betrifft und kaum einer wirklich weiß, wie er damit umgehen soll – und aus irgendeinem Grund wird es auch kaum thematisiert. Deshalb fühle ich mich nicht nur in meiner Rolle als betroffener Unternehmer, sondern auch als Medienjournalist verpflichtet. Medieninsider ist angetreten, um sich den wichtigen, aber unangenehmen Themen zu widmen.

So wird etwas zum System, das sich für den Einzelnen nicht so anfühlt

Das ist eine sehr zugespitzte Aussage, die es aber auf den Punkt bringt – und zwar immer dann, wenn eines unserer Mitglieder einen unserer Artikel in Gänze weiterverbreitet, ihn also „unter der Hand“ weitergibt.

Jeder, der ein Abo hat, kennt es: Bei einem Medium ist ein Artikel erschienen, der für Aufsehen sorgt, aber hinter der Paywall liegt. Es dauert nicht lange, bis die ersten fragen, ob man ihn „kurz mal schicken“ kann. Natürlich fällt es schwer, Nein zu sagen. Niemand will geizig sein oder gar den Eindruck erwecken, Informationen vorzuenthalten. Besonders, wenn es um wichtige Recherchen geht! Und es ist ja nur ein Text. Ist doch gut, wenn ihn viele lesen. Tut schon niemandem weh.

Doch. In unserem Fall schon.

Ich möchte diesen Text nutzen, um einen kleinen Blick hinter die Kulissen zu geben. Er soll für mehr Verständnis sorgen und dazu beitragen, unseren Journalismus nicht nur zu ermöglichen, sondern zu bewahren.

Spitze Zielgruppe = kleiner Markt

Als Leser ist wichtig, zu verstehen: Was für den einzelnen eine Ausnahme ist, wird für uns die Regel. Es sind vielleicht nicht immer dieselben Menschen, die Artikel weiterreichen, es sind aber immer mehr als nur ein paar – auch weil jene, die ihn weitergeleitet bekommen haben, noch einmal und noch einmal weiterleiten. Das ist auch deshalb möglich, weil nicht nur Logins geteilt werden, sondern Artikel als Text, Screenshots oder PDFs die Runde machen. Ein treuer Abonnent berichtete mir zuletzt sogar von WhatsApp-Ketten und –Gruppen, in die Artikel hineinkopiert werden.

Was wir bei Medieninsider wiederum verstehen: Nicht immer werden unsere Artikel aus Böswilligkeit weiterverbreitet. Vor allem Einzelpersonen leiten sie weiter, weil sie sich in der Berichterstattung bestätigt fühlen, weil sie die Inhalte so wichtig finden, dass Kollegen und Freunde sie lesen sollten. Das freut und ehrt uns. In einem kleinen Markt mit einer spitzen Zielgruppe wie unserer fällt so etwas aber stärker ins Gewicht als bei Publikumsmedien. Ruckzuck verbreitet sich ein Artikel unter Kollegen wie ein Lauffeuer. So wird etwas zum System, das sich für den einzelnen nicht so anfühlt.

Uns wird damit eine wichtige Möglichkeit genommen: Dass wir Nutzer direkt auf unserer Plattform von Medieninsider überzeugen können oder sie erst einmal auf andere Angebote wie Newsletter oder Browser-Push-Kanäle aufmerksam machen können – dass wir eine Beziehung zu ihnen aufbauen können, um sie auch als Unterstützer unseres Journalismus zu gewinnen.

Wenn Medienunternehmen kein Verständnis für ihr eigenes Geschäftsmodell entwickeln

In vielen Häusern – wie bei der Süddeutsche Zeitung, deren Chefredakteur uns redaktionsöffentlich boykottierte und Mitarbeiter zum Weiterleiten anstiftete – sahen wir uns bereits gezwungen, Accounts abzuschalten. Es sind auch nicht immer die eben beschriebenen engagierten User, die Inhalte weiterverbreiten. Es sind Pressestellen oder Dokumentationsabteilungen, die mit ihrem Abonnement zum Verteilerzentrum für Medieninsider-Artikel werden. Das System nimmt teils absurde Züge an. Erfahrungen aus den vergangenen Jahren:

Eine Pressesprecherin erzählte mir mal in einem unvorsichtigen Moment, dass sie Kollegen unsere Artikel bei Bedarf am Telefon vorlese und zusammenfasse – mir wurden Fälle von Dokumentationsabteilungen geschildert, in denen ähnliches vorgefallen sein soll. Manche Archivare erklärten uns auch schon, wie sie Urheberrechte durch eigene Zusammenfassungen umgehen wollen. Hochrangige Medienmanager, deren Verstöße auf der Hand lagen, waren trotzdem um keine Ausreden verlegen. 

Wieder andere sind der Meinung, dass es völlig in Ordnung sei, Artikel weiterzuverbreiten. Immerhin habe man dafür bezahlt. Oft erhalte ich Mails oder Anrufe von Chefredakteuren oder Geschäftsführern, in denen mit Kritik nicht gespart wird (zugegeben: manchmal gibt es auch Lob). Sie haben unsere Artikel gelesen, sind aber gar keine Abonnenten. „Wir haben ein Abo“, heißt es dann auf Nachfrage. Das stimmt ganz oft aber nicht. Jemand in ihrem Haus hat ein Abo – eines, das aber eben nicht für mehrere Mitarbeiter bestimmt ist. Solche Angebote gibt es natürlich, nur werden sie oft umgangen – weil sie logischerweise mehr kosten sind als ein einzelnes Abonnement.

Zur Erinnerung: Ich beschreibe Geschehnisse mit Menschen, die mit Journalismus und Urheberrechten ihr Geld verdienen.

Langwierige Auseinandersetzungen

Es ist beeindruckend, welchen Aufwand die Medienbranche teilweise betreibt, ihr eigenes Geschäftsmodell zu untergraben. Und es ist erschreckend, wie wenig Kenntnisse und Verständnis es im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken gibt. Noch erschreckender ist der betriebene Aufwand, um letztlich ein paar Hundert Euro im Jahr zu sparen. Denn am Ende steht: noch mehr Aufwand. 

In einzelnen Fällen, in denen wir auf umfassende Verstöße gestoßen sind oder keinerlei Gesprächsbereitschaft erleben, mussten wir mittlerweile zu juristischen Mitteln greifen – die Liste der zu klärenden Fälle wird immer länger. Es ist erstaunlich, wer alles dort draufsteht. Da wir es mit großen und gut aufgestellten Unternehmen aufnehmen müssen, sind Auseinandersetzungen langwierig. Wir müssen dafür Geld aufbringen, das wir lieber in noch mehr (ebenfalls sehr kostspielige) Recherchen und neue Produkte von Medieninsider investieren würden. Gehen wir nicht gegen einzelne Härtefälle vor, wird das Problem aber leider nur größer. Und wäre es ein zu vernachlässigendes Problem, würde ich diesen Text nicht schreiben.

Es gibt Unternehmen, die bemüht sind, sich an Regeln zu halten – die beispielsweise Corporate-Angebote in angemessener Größe abschließen oder einzelne Artikel für ihre Mitarbeiter lizenzieren. Auch hier sind es ausgerechnet jene, von denen man es wohl am wenigsten erwarten würde – und klar die Ausnahme. Meist wird darauf gehofft, dass kleine Nutzungspakete ausreichen, um über größere Verstöße hinwegzusehen. Das ist dann ein bisschen wie in der Bahn Ticket für die Kurzstrecke zu ziehen, letztlich aber doch ein paar Stationen mehr zu fahren. Oder ein Gruppenticket zu buchen, auf dem man aber eine Person mehr mitnimmt.

Unsere Möglichkeiten, dem Problem entgegenzuwirken, sind begrenzt

Die Möglichkeiten, dem Problem entgegenzuwirken, sind begrenzt. Eine „Artikel schenken“-Funktion würde beschriebene Systeme nicht auflösen – vielmehr würde so ein Link in Slack- und Teamsgruppen landen, womit wir das Problem legitimieren. Für Menschen, die unsere Artikel lesen, aber kein Abonnement abschließen wollen, haben wir einen Einzelverkauf eingeführt. Auch dies führt teilweise zu Missverständnissen, vor allem mit institutionellen Anbietern. Nach einer strengeren Login-Policy überlegen wir nun, die Seite mit einem Kopierschutz zu versehen, um das Teilen zu erschweren. Doch jede Regel, die das Produkt einschränkt, schränkt aber auch die Nutzerfreundlichkeit ein – zum besonderen Nachteil loyaler Mitglieder. Gleiches gilt für einen weiteren unpopuläre Hebel: die Preiserhöhung – womit wir ebenfalls und ausgerechnet jene bestrafen würden, die uns eigentlich unterstützen wollen. Auch wäre es eine Abkehr unserer Philosophie, Treue durch günstigere Konditionen wertzuschätzen.

Nein, ein Spotify für Journalismus wird das Problem nicht lösen

Um manchem Einwurf entgegenzuwirken: Die Preise abzusenken, ist keine Lösung. Vorgänge, die ich hier schildere, haben uns bereits beschäftigt, als Medieninsider noch die Hälfte gekostet und sogar der Probemonat bei 0,99 Euro lag. Auch das viel diskutierte und gewünschte Spotify für Journalismus ist keine Lösung. Medieninsider ist ein Nischenmedium mit einer sehr spitzen Zielgruppe. Wir leben nicht von der Reichweite, sondern vom Mehrwert für Menschen, die uns aus beruflichen Gründen lesen.

Unabhängiger Medienjournalismus

Weil alle genannten Maßnahmen keine überzeugenden sind – und ich in Gesprächen mit anderen Publishern keine gefunden habe – steht nun dieser Artikel. Er soll keine Anklage sein, keine Beschwerde, keine Beschuldigung. Er soll Aufmerksamkeit und Verständnis schaffen. Er soll betonen, was mir am wichtigsten ist: Unser Journalismus ist möglich, weil Menschen für ihn bezahlen. Unser Journalismus bleibt möglich, wenn es mehr von jenen tun, die ihn wichtig finden. In einer Zeit, in der auch unser Segment unter Druck gerät, steht Medieninsider für nachhaltigen und unabhängigen Medienjournalismus.

Wenn du eines unserer zahlenden Mitglieder bist, will ich dir im Namen von Medieninsider danke sagen und klarstellen, dass wir keinen Generalverdacht äußern wollen. Wir sind dankbar für deine Unterstützung und die dahinter stehende Loyalität.

Weise Menschen, die Medieninsider kennenlernen sollten, auf unsere Inhalte hin

Wenn du eines unserer zahlenden Mitglieder bist, das sich hier angesprochen fühlt, dann wollen wir dich trotzdem nicht anklagen. Wir wollen dich aber zum wichtigen Botschafter für uns machen. Weise deine Freunde, Kollegen oder deinen Arbeitgeber doch auf unsere Angebote hin, die wir für sie geschaffen haben:

Wenn du die Mitgliedschaft nicht selbst zahlen kannst, frag deinen Arbeitgeber. Immer wieder berichten mir Mitglieder, dass sie ihre Rechnungen einreichen können.

Du hast Ideen, wie sich Probleme wie die oben beschriebenen lösen lassen? Ich freue mich auf einen Austausch mit dir! Gerne in den Kommentaren oder auch per E-Mail: marvin [at]medieninsider.com.

Wenn dir der Artikel gefällt, dann teile ihn in sozialen Netzwerken, aber nicht als PDF innerhalb deiner Organisation. Dafür ist eine Lizenz notwendig.

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Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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