Medienhäuser versuchen die großen Tech- und Plattform-Konzerne wettbewerbsrechtlich einzuschränken – und vernachlässigen stattdessen die zwei wesentlichen Argumente, meint Jurist Hermann von Engelbrechten-Ilow.
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, heißt es bei Adorno. Es ist wohl seine berühmteste Aussage. Kein Wunder, denn der Satz hat Charme, er ist eindeutig und doch unbestimmt genug, dass man ihn zu beinahe allem, was die Gesellschaft betrifft, zitieren kann. Egal ob am Ende eine Erkenntnis dabei herausspringt, eine spannende Diskussion entzündet sich allemal und aktuell bietet er sich für das Verhältnis von Politik und TikTok an.
Karl Lauterbach, Bundesminister der Gesundheit und der angewandten Social Media-Kommunikation, hat jüngst angekündigt, er wolle jetzt auch den chinesischen Kurzvideodienst bespielen, um darauf ein Gegengewicht zur AfD zu bilden. Innerhalb des Kabinetts scheint er einen Trend zu setzen. Der Bundeskanzler ist samt Aktentasche mittlerweile auch aktiv. Allein sind sie nicht. Alle Parteien versuchen inzwischen dort Fuß zu fassen. Der Spiegel spricht von der „TikTok-Panik der deutschen Politik“.
Das damit einhergehende Dilemma lautet: Wer auf TikTok erfolgreich sein will, muss sich dessen Logik unterwerfen. Und diese ist im Wesentlichen dieselbe wie bei allen Social-Media-Plattformen: Personalisierung, Emotionalisierung und Polarisierung. Nicht um die Gesellschaft zu spalten, sondern um die Werbeeinnahmen zu maximieren. Viel ist hier von Filterblasen und Echokammern die Rede, vielleicht ist die Zentrifuge das passendere Bild. Alles, was man dort hineingießt, wird an den Rand gedrängt. Der Effekt verstärkt sich, umso schneller sich die Zentrifuge dreht. Dass unter diesen Bedingungen Extrempositionen einen Wettbewerbsvorteil haben, ist die logische Folge.
Und da wären wir beim richtigen Leben im falschen. Natürlich kann man versuchen, den Radikalinskis auf Facebook, Twitter/X, TikTok und Co. Paroli zu bieten. Das geht aber oft nur für den Preis, selbst zum Radikalinski zu werden. „Etwas schlicht Vernünftiges zu sagen ist beinahe eine Garantie dafür, nicht wahrgenommen zu werden“, bringt der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert das Problem der digitalen Debattenkultur auf den Punkt. Dass das für eine demokratisch verfasste Gesellschaft nichts Gutes bedeutet, ist offensichtlich. Denn die Öffentlichkeit, in der in Rede und Gegenrede die Probleme unserer Zeit verhandelt werden, verkommt zur Brüllarena. Was ist die Meinungsfreiheit noch wert, wenn nur noch diejenigen auf Gehör hoffen können, die sich dieser Logik anpassen?
Das falsche Leben ist die Ausrichtung der Plattformen. Solange es in erster Linie darum geht, die Werbeeinnahmen zu maximieren, wird sich am Problem der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie nichts ändern. Und so lange sich die Politik darauf versteift, innerhalb der Plattformlogik die unvermeidlichen Symptome zu bekämpfen, wird die Situation eher schlimmer als besser. Was also tun? Die Lösung liegt in der Medienregulierung. Und innerhalb dieser geht es um zwei konkrete Stellschrauben: Die Haftung und die Normativität, also die Frage, welchem Leitbild die Plattformen folgen.
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Danke für diese klare Einordnung der aktuellen Misere, in die wir uns selbst rein manövriert haben und auch leicht selbst befreien könnten, wie der Artikel nachvollziehbar darlegt. Der Medienwissenschaftler Martin Andree ist mit seinem Buch „Big Tech muss weg!“ ebenfalls in dieser Mission unterwegs.
Er zeigt, dass das aktuelle „Internet der Monopole“ nicht nur unsere freien Medien und damit einen Grundpfeiler der Demokratie bedroht, sondern nach denselben Mechanismen auch die freie Marktwirtschaft aushebelt. Es sind daher nicht nur betroffene Medienschaffende, die dem Thema mehr Aufmerksamkeit und Widerstand widmen sollten, sondern auch Unternehmen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. „Big Tech muss weg!“ ist wirklich ein sehr lesenswertes Buch. Ich habe Andree in meinem eigenen Buch auch häufiger zitiert, wollte diesen Text aber nicht überfrachten und bin deshalb hier nicht genauer darauf eingegangen. Andree schlägt schon seit längerem vor, eine Trennung von Kanal und Inhalt zu vollziehen. Also z.B. YouTube in eine Plattform-Firma für die technische Infrastruktur und eine Content-Firma, die für die Inhalte zuständig ist. Wer Inhalte monetarisiert, soll nach Andree auch haften. Er leitet das eher aus der fatalen Monopol/Oligopolstellung der Plattformen ab, ich leite diese Trennung aus dem Vergleich mit den journalistischen Medien ab. Das Ergebnis ist aber im Wesentlichen dasselbe.
Neben den Unternehmen geht es natürlich vor allem die Gesellschaft insgesamt etwas an, was hier geschieht. Schließlich schränkt diese Entwicklung die freie öffentliche Meinungsbildung, die Grundvoraussetzung einer jeden Demokratie ist, immer mehr ein.