News oder Fake: Journalismus als Spiel

Simon Sonnenberg will Medienkompetenz durch Gamification stärken

Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, komplexe Produkte so aufzubereiten, dass sie auch für eine breitere Zielgruppe attraktiv werden – und behelfen sich deshalb zunehmend spielerischen Ansätzen. Gamification hat auch Einzug in den Journalismus erhalten, bleibt seither aber eher ein Nischenthema. Ein Start-up will mit dem Ansatz nun die Medien- und Nachrichtenkompetenz stärken. Der Anspruch: Das erste „ernstzunehmende News-Game im deutschsprachigen Raum“ zu etablieren. Wer und was sich hinter News oder Fake verbirgt und wie die App auch wirtschaftlich erfolgreich werden soll.

Der Journalismus krankt an einem Problem, das er nur schwer abschütteln kann: Er muss die Welt beschreiben, wie sie ist. Er muss dort hinschauen, wo viele ihren Blick normalerweise abwenden, weil manche Themen schwer zu verstehen oder einfach schwer zu ertragen sind. Wichtig sind sie trotzdem.

Aufgabe des Journalismus ist es aber auch, diese komplexen Themen verständlich aufzubereiten, sie möglichst einfach zu vermitteln, damit sie ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Die Digitalisierung hat diese Herausforderung größer gemacht. Viele alte Formate funktionieren nicht mehr, neue Funktionsweisen müssen verstanden und erlernt werden – und dann bietet das Internet so viel Ablenkung und Zerstreuung, dass Nachrichten im Kampf um die Aufmerksamkeit oft den Kürzeren ziehen. Journalismus braucht im Digitalen neue Formen. Nicht gänzlich, aber ergänzend. Ein Weg: spielerische Ansätze, die den Zugang unterhaltsamer machen.

Gamification wird im Journalismus seit geraumer Zeit immer wieder getestet – mit unterschiedlichen Ansätzen und nicht unbedingt geringem Aufwand. Nur einige Beispiele:

► Zur US-Präsidentschaftswahl 2016 launchte Reuters das iPhone-Spiel White House Run, bei dem Nutzer ihren eigenen Kandidaten mit Positionen zu aktuellen Themen in den Wahlkampf schicken konnten.

► Im selben Jahr brachte die Washington Post das Handy-Spiel Floppy Candidate (in Anlehnung an das Spiel Flappy Bird) mit lauter Quizfragen heraus.

► Mit Spielen wie Prism über den NSA-Skandal oder Steuerflucht für Anfänger von Arte gab es immer wieder auch europäische oder deutsche Spiele mit journalistischem Hintergrund.

► Das Uber-Game der Financial Times, in dem man einen Uber-Fahrer mit Familie spielt, basiert auf echten Recherchen und Interviews mit Uber-Fahrern.

Deutlich einfacher und zugleich beliebter sind Quizze: Vor mehr als zehn Jahren gab es die Tagesschau sogar als Quiz für den Nintendo DS. Später transformierte die Nachrichtensendung ihr Quiz in soziale Netzwerke, auch andere Titel starteten immer wieder Ratespiele. Einige deutschsprachige Medien übernahmen die Idee der New York Times und brachten eigene Quizzes zu Dialekten heraus.

Übrig geblieben ist davon bislang wenig. Die meisten der genannten Spiele wurden nicht weiterentwickelt oder sind verschwunden. Die Gründe: Viele der bisherigen News-Games sind anlassbezogen, verlieren mit der Zeit also Relevanz. Quizzes sind oft abgerundete Produkte. Sie eignen sich zum einmaligen Spielen, der Nutzer tritt dabei oft gegen sich selbst an, einen Wettbewerb mit anderen gibt es in der Regel nicht – und dann sind die Games oft auch noch browserbasiert. Die Gamizifzierung des Journalismus ist eine Nischendisziplin geblieben – eine, in der Simon Sonnenberg dennoch Potenzial sieht.


Gemeinsam mit seinen beiden Mitgründern Jan Sundag und Grzegorz Leoniec hat er gerade News oder Fake an den Start gebracht. Mit ihrem News-Game per App wollen sie einiges anders machen als bisherige Spiele. Oder wie Sonnenberg sagt: „Wir sind das erste ernstzunehmende News-Game im deutschsprachigen Raum.“ Und ein Geschäftsmodell haben sie auch noch.

Medienkompetenz fördern nach dem Tinder-Prinzip

Mit News oder Fake wollen sie Nachrichten spielbar machen und zugleich Medien- und Nachrichtenkompetenz stärken. Und das soll so gehen: Im Spiel bekommen Nutzer Headlines ausgespielt, mit einem Wisch wie bei Tinder müssen sie dann entscheiden, ob beispielsweise Sklavenhandel in Libyen News oder Fake ist. Sonnenbergs Spiel soll dafür sensibilisieren, dass nicht alles, was man im Vorbeigehen aufschnappt, Tatsachen entspricht. „Uns geht es aber nicht nur darum, dass sich Menschen mit Nachrichteninhalten auseinandersetzen“, sagt Sonnenberg, „sondern bewusst mit den dahinterstehenden Quellen“.

Deshalb folgt auf die kurze Auflösung des Quizzes mit einer zusammenfassenden Antwort eine Liste mit Querverlinkungen auf entsprechende Quellen. Nutzer sollen sich weiter informieren, wenn sie wollen. Mit dem Game will das Trio jene mit Nachrichten in Berührung bringen, die ein Grundbedürfnis nach Informationen haben, deren Bereitschaft aber nicht groß genug ist, sich ohne Weiteres mit längeren Beiträgen oder Texten zu befassen.

Mit mehr als 800 solcher „Storys“ geht News oder Fake nach eigenen Angaben an den Start. Entsprechend sind nicht alle aktuell, viele Headlines gehen zum Teil auf bereits einige Jahre zurückliegende Nachrichten zurück.

Themen findet News oder Fake so: Ein achtköpfiges Redaktionsteam aus bislang freien Mitarbeitern sammelt Ideen für Headlines, trägt Quellen zusammen und recherchiert sie gegen. Mindestens drei Quellenmüsse jede Headline haben, bevor sie aufgenommen wird, sagt Sonnenberg. Vorrang hätten Primärquellen wie Studien oder Gesetze, anschließend berichterstattende Quellen wie journalistische Artikel. Auch auf Inhalte von NGOs, beispielsweise Umweltverbände, greift das Team zurück. Eine Story basierend auf NGO-Angaben sei aber ausgeschlossen, versichert Sonnenberg.

Eine Chefredaktion oder eine Redaktionsleitung gibt es im kleinen Team nicht. Die gegenseitige Kontrolle nach dem 6-Augen-Prinzip soll Qualitätsstandards und Objektivität gewährleisten.

Aufgeteilt sind die Storys in die sechs Ressorts „Geld & Wirtschaft“, „Politik & Macht“, „Digitales & Technik“, „Natur & Nachhaltigkeit“ sowie „Gesellschaft & Soziales“. Ein „Trivial-Spezial“ soll unterhaltsamere Themen bieten, eine „Headline des Tages“ soll Aktualitätsbezug gewährleisten. Wer sich nicht für ein Ressort entscheiden will, kann den „Mix des Tages spielen“, aus dem Storys unterschiedlicher Themengebiete zusammengewürfelt werden.

Ein Punktesystem soll für Vergleichbarkeit mit anderen Nutzern und Wettbewerb sorgen. Jede richtig eingeordnete Headline bringt Punkte, jede falsch eingeordnete gibt Punktabzug. So soll News oder Fake zum Community-Modell werden. Ein „Candyshop“ soll das Belohnungssystem aktivieren: Wer alle vier Headlines einer Session richtig einordnet, erhält ein „Candy“. Der Gewinn lässt sich gegen Preise eintauschen.

Auch bei den Prämien stehe die Bildung im Vordergrund, so Sonnenberg. „Im Idealfall spielst du die Headlines, informierst dich über gesellschaftskritische und -relevante Themen und erhältst am Ende auch noch ein Buch.“ Zwei Deals mit Selbstverlegern habe er schon eingetütet. Auch weitere Preise wie vergünstigte Abos von Medien oder nachhaltige Produkte seien denkbar. „Klar ist: Wir werden keine vergünstigten iPads oder so etwas anbieten.“

So will News oder Fake Geld verdienen

Über ein Geschäftsmodell haben sich die Gründer ebenfalls Gedanken gemacht: Vier Sessions pro Tag macht News oder Fake zum Start hürdenlos zugänglich. Wer nicht erst nach 24 Stunden weiterspielen möchte, kann sich einen Werbeclip ansehen oder ein Abo abschließen. Das beginnt bei monatlich 1,99 Euro, für 4,99 Euro gibt es mehr Sessions.

Weiterspielen kann aber auch, wer im Gegenzug eine Einladung an einen Freund verschickt. So soll das News-Game organisch wachsen. „Uns ist wichtig, die Inhalte möglichst frei zugänglich zu machen und trotzdem ein Modell zu finden, das uns auch trägt“, so der Gründer.

Neben der Möglichkeit, mehr Werbung einzubauen, will News oder Fake zusätzlich auf Einnahmen aus Kooperations- oder Lizenzierungsmodellen setzen. Für die Gründer ist denkbar, Themen-Specials zu organisieren und diese sponsern zu lassen. Denkbar seien auch White-Label-Lösungen, die Software also Marken für eigene Quizzes anzubieten.

Bei der Auswahl der Partner wolle man aber gewisse Vorsicht walten lassen. News oder Fake verstehe sich als Social-Start-up, Nachhaltigkeit und Nutzerfreundlichkeit stünden im Vordergrund. Dieser Anspruch habe die bisherige Arbeit nicht immer einfach gemacht, berichtet der Gründer. Seitdem er vor über vier Jahren seinen Job als Vertriebs- und Kampagnenleiter in einer Agentur für Sportmarketing hingeworfen habe, sei das Projekt immer wieder ins Stocken geraten, zwischendurch waren die Rücklagen aus privaten Ersparnissen und einem ersten Crowdfunding aufgebraucht.

Es habe eine Weile gedauert, bis Sonnenberg mit Sundag und Leoniec die passenden Co-Gründer und anschließend passende Geschäftspartner gefunden habe. In Gesprächen mit Risikokapitalgebern sei man immer wieder vom Fokus auf die Bildung von Medien- und Nachrichtenkompetenz abgerückt, das Geschäft mit Business-Kunden sei vielversprechender gewesen. Mittlerweile habe man einige Business Angels gefunden, die ermöglichen, sich Vollzeit auf News oder Fake zu konzentrieren, berichtet Sonnenberg. Jetzt fehlt nur noch eine breite Masse an Nutzer.

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Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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