Kürzlich erreichte die Medienbranche mal wieder eine Nachricht aus der alten Welt. Es sei ein „Mythos“, hieß es in einer Meldung des Beratungsunternehmens Schickler, dass online nur kurze Texte gelesen würden. 1400 Wörter seien die optimale Länge, bei der Leserinnen und Leser am Bildschirm hängenblieben, erst danach falle die durchschnittliche Lesezeit ab. Politik-Stories sollten etwas kürzer sein, bei Geschichten über Menschen dagegen könne man ruhig in die Vollen gehen. Diese Empfehlung basiert auf der Analyse von 750.000 Artikeln regionaler Newsportale und stammt aus dem uneingeschränkt verdienstvollen Projekt „Drive“, bei dem dutzende Verlage unter Leitung von Schickler und der DPA ihre Nutzerdaten bündeln und auswerten. Und doch reflektiert sie eine überholte Denke. Denn solche „one size fits all“-Aussagen helfen nicht, sie gehen schlimmstenfalls nach hinten los. Noch mehr Texte mit Überlänge braucht niemand.
Praktiker können ohnehin aus langjähriger Erfahrung berichten: Wenn Länge funktioniert, liegt das einzig und allein an der Qualität des Textes, Videos oder Podcasts. Beim Vergleich von Textlängen mit Nutzungsintensität ergibt sich üblicherweise eine U-förmige Kurve. Sehr kurze Stücke werden viel abgerufen, sehr lange Stücke auch. Dazwischen liegt das in der Branche als „Tal des Todes“ bezeichnete Territorium, der berüchtigte 80-Zeiler, der selten seinen Zweck erfüllt. Dumm nur, dass die Kurve des Angebots oft eher die Form eines Torbogens hat.
Dennoch werden sich die Schickler-Analyse viele anschauen, die verzweifelt nach Patentrezepten suchen, um ihr (digitales) Angebot an die Leser zu bringen, ihnen Loyalität und im besten Fall ein Abo zu entlocken. Doch dies ist die überkommene Annahme, die von einem allgemeinen Publikum, einer geduldig konsumierenden Öffentlichkeit ausgeht, an die sich der Journalismus richtet. Nur: Diese Rezepte gibt es nicht. In einer Welt des Überangebots an Informationen, Nachrichten und Ablenkung hilft es nur, sich intensiv mit den verschiedenen Bedürfnissen potenzieller Nutzer zu beschäftigen und ihnen einen Mehrwert zu bieten. Im Fachjargon heißt dieses Konzept gemeinhin „Audiences first“.
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