The Kyiv Independent ist weltweit bekannt. Dabei gibt es das Online-Medium erst seit vier Monaten. Im Interview erzählt CEO Daryna Shevchenko, wie Journalismus im Krieg funktioniert.
Bis vor wenigen Tagen war Shevchenko (Foto) noch in Kiew. Jetzt sitzt sie mit ihrem Hund vier Stunden westlich der ukrainischen Hauptstadt. Von dort leitet sie das junge Online-Medium, das sie mit Spenden finanziert. Auch ihre Redaktion macht weiter: von der Front und aus dem Bunker.
Medieninsider: Frau Shevchenko, wie hat der Krieg The Kyiv Independent verändert?
Daryna Shevchenko: Wir haben im November 2021 angefangen und gingen im Dezember mit der Website live. Damals arbeiteten wir noch als Start-up und probierten viel aus. Erst vergangenen Monat haben wir unser Büro in einem zentralen Stadtteil Kiews gemietet. Eine Woche vor dem Krieg feierten wir unsere Einweihungsparty mit dem Team und anderen Journalisten. Über Nacht mussten wir dann unseren Ansatz ändern: Jetzt berichten wir rund um die Uhr. Wir sind kein Start-up mehr, wir sind zu dem Medium der Ukraine geworden.
Waren Ihre Mitarbeiter darauf vorbereitet?
Das sind keine Anfänger. Viele Mitarbeiter kamen von der Zeitung Kyiv Post, ehe sie im November eingestellt wurde*. Es ist also nicht so, als hätten wir Studenten nach ihrer Ausbildung eingestellt. Wir mussten auf eine 24-Stunden-Berichterstattung umstellen, an der Front und online arbeiten. Auf meiner letzten Gehaltsliste stehen 24 Kollegen, hinzu kommen etwa 25 Freiwillige. Einige unserer ausländischen Mitarbeiter sind in ihre Heimat geflohen, weil ihre Regierungen sie evakuiert haben. Wir anderen sind über Kiew, die Zentralukraine und die Westukraine verteilt. Manche arbeiten im Moment weniger, weil sie sich um ihre Familien kümmern müssen, keinen Zugang zum Internet haben oder die meiste Zeit im Bunker verbringen. Aber kein Mitarbeiter hat wegen des Kriegs aufgehört, für uns zu arbeiten.
Wie hat der Krieg Ihre persönlichen Aufgaben verändert?
Vor dem Krieg war ich sehr stark mit der kommerziellen Entwicklung beschäftigt, ich habe mit Werbepartnern gesprochen, Anzeigen verkauft, mich um Spendenpartnerschaften und Crowdfunding gekümmert. Die Leserschaft ausgebaut, mit der ich viel in Kontakt stehe. Jetzt mache ich so ziemlich das Gleiche, konzentriere mich aber noch mehr auf die Community. Ich habe auch mit vielen Spendern und Partnern gesprochen, die mir oder anderen ukrainischen Medien helfen wollten. Nur einen Tag vor dem Krieg haben wir die Crowdfunding-Kampagne gestartet. Ich habe die ersten zehn Tage des Krieges in Kiew verbracht. Wir waren mit der ganzen Anspannung überfordert und unterbesetzt. Ich war früher Reporterin, deswegen habe ich mich meinem Redaktionsteam angeschlossen. In meinem Stadtteil in Kiew gab es ständig Explosionen und Warnungen. Also floh ich in den Westen der Ukraine.
Alle Ihre Mitarbeiter berichten weiterhin. Wie muss man sich das vorstellen?
In Kiew gibt es alle zwei Stunden Bombenalarm, bei dem man sich in Sicherheit bringen muss. Das erschwert die Arbeit. Im Luftschutzkeller kannst du nicht produktiv sein. Dort gibt es normalerweise kein Internet, das hilft nicht beim Arbeiten. Die meisten unserer Angestellten in Kiew befinden sich in dieser Situation.
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