Gleich drei der vier großen Regionalzeitungen in Rheinland-Pfalz müssen Ausschau nach neuen Landeskorrespondenten halten, denn ihre wichtigsten Politikberichterstatter wechseln allesamt als Sprecher auf Regierungsseite. Der „Exodus“ in der Landespressekonferenz ist längst keine Ausnahme mehr. Das wirft ein schlechtes Licht auf Medien und Politik gleichermaßen.
Auf den ersten Blick hat sich nach der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz wenig an der Regierung verändert. Die Ministerpräsidentin heißt weiterhin Malu Dreyer und regiert noch immer an der Spitze einer Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP. Ihr Kabinett hat sich aber neu sortiert, Kompetenzen neu verteilt und Minister ausgetauscht. Das Stühlerücken führt auch zu Personalien innerhalb der Ministerien. Gleich mehrere waren in den vergangenen Monaten auf der Suche nach neuen Sprechern. Besonders gefragte Kandidaten: gut vernetzte Journalisten. Genau dort wurden drei Ministerien fündig:
► Carsten Zillmann, seit Mai 2018 Landeskorrespondent der Rhein-Zeitung, wechselt als Sprecher ins Wirtschaftsministerium von Daniela Schmitt (FDP).
► Florian Schlecht, seit Juli 2016 Landeskorrespondent des Trierischen Volksfreund, ist auf dem Weg ins Arbeitsministerium von Alexander Schweitzer (SPD).
► Ulrich Gerecke, seit Anfang vergangenen Jahres landespolitischer Redakteur der Allgemeinen Zeitung (VRM), wird im Bildungsministerium von Stefanie Hubig (SPD) anheuern.
Im Mainzer Regierungsviertel sorgen die Personalien für Aufruhr. Die Regierung wirbt die wichtigsten Politikberichterstatter von gleich drei der insgesamt vier großen Regionalzeitungen in Rheinland-Pfalz ab. Die besondere Brisanz: Sie alle haben den zurückliegenden Wahlkampf und das Corona-Jahr intensiv begleitet und wechseln nun teilweise in Ministerien mit Fachbereichen, über die sie bis zuletzt intensiv berichtet haben. „Das ist ein heftiges Signal, vor allem kurz nach einer Landtagswahl“, heißt es aus der Blase der Landeshauptstadt.
Dieses Signal kann mehrfach gedeutet werden. Die einen sagen: Wer sich gut mit der Landesregierung hält, werde mit einem Job belohnt. Andere meinen: Die Regierung greift die Journalisten ab, um kritische Stimmen ruhigzustellen.
Auf beiden Seiten ist den Leuten klar: So viele Wechsel gleichzeitig sehen problematisch aus. „Das gibt ein komisches Bild ab“, sagt jemand aus der Landespressekonferenz. Jemand anderes sieht die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Gefahr: „Es ist schwierig, wenn eine Quelle damit rechnen muss, den Journalisten morgen auf Seiten des politischen Gegners wiederzusehen.“ Wieder andere Beobachter merken an, solche Personalien seien auch ein schlechtes Beispiel für den Nachwuchs. Journalismus werde zur Zwischenstation.
Wechsel vom Journalismus in die Politik wird zur Regel
Auch wenn die jüngsten Wechsel raus aus dem Journalismus für Beobachter wie ein „Exodus“ wirken, sind sie längst keine Ausnahmen mehr. In den vergangenen Jahren haben viele Journalisten der Regionalmedien in Rheinland-Pfalz auf die politische Seite rübergemacht. Nur drei prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:
► Gereckes Vorgänger bei der Allgemeinen Zeitung, Markus Lachmann, ging vergangenes Jahr in die Politik. Heute ist er Leiter der Kommunikation der CDU Rheinland-Pfalz.
► Ähnlich machte Zillmanns Vorgänger Dietmar Brück. 2018 übernahm der langjährige Redakteur und Landeskorrespondent der Rhein-Zeitung den Sprecherposten im Integrationsministerium. Mit der neuen Legislatur rückte er zum stellvertretenden Regierungssprecher auf.
► Und auch Andrea Bähner, seit Juli 2016 Sprecherin von Malu Dreyer und damit Regierungssprecherin, kennt sich bestens in der Landesberichterstattung aus. Sie wechselte damals vom SWR.
Die Vorgänge werfen Fragen nach den Gründen auf. Viele der Journalisten galten und gelten als integer. Jeder würde für sich beanspruchen, seinen journalistischen Auftrag gewissenhaft und stets kritisch ausgeführt zu haben. Einige Personalien waren große Überraschungen.
Die Journalisten hätten immer auch individuelle Gründe gehabt, auf die andere Seite zu wechseln, erzählt man sich in Mainz. Dennoch zeichnen sich in der Recherche bestimmte Faktoren ab.
Finanzielle Situation
Über Geld spricht niemand gerne, vor allem Journalisten nicht. Ohnehin spricht man lieber über die anderen als über sich selbst. Niemand will gierig wirken. Und doch spielen die finanziellen Aspekte beim Wechsel in die Politik eine Rolle. Man sei erschrocken, mit welchen Gehältern besonders jüngere Journalistenkollegen mittlerweile unterwegs seien, heißt es aus höheren Semestern. Mancher Kollege habe vielleicht so gerade noch eine Vier vor seinem monatlichen Bruttogehalt stehen, teilweise sogar weniger.
Als Ministeriumssprecher ist da deutlich mehr drin: In der Entgeltgruppe 15Ü (beschäftigte mit wissenschaftlichem Hochschulstudium) steht schon im Einstiegsjahr ein Bruttogehalt von fast 6.000 Euro pro Monat. Und auch in den darunterliegenden Entgeltstufen, bei denen Journalisten ihre Berufsjahre angerechnet werden dürften, können sich sehen lassen.
Bei der Gehaltsfrage geht es weniger um absolute Zahlen als vielmehr um die Verhältnismäßigkeit. Wer sich in Regierungsvierteln bewege, Politiker oder hohe Beamte treffe, müsse ihnen auf Augenhöhe bewegen können, meinen manche. Dazu gehöre auch das Finanzielle. Hinzu komme, dass kleinere Gehälter einem immer größeren Aufwand entgegenstünden.
Arbeitsdruck
Entsprechend scheint der Arbeitsdruck beim Rückzug aus dem Journalismus nicht unwesentlich. Die Landeskorrespondenten sind für ihre Redaktionen mit vielen Themen an ebenso vielen Fronten unterwegs. Zwar arbeiteten die Politkredaktionen ihren Korrespondenten immer mal zu, vor Ort sei man aber oft allein. Das betreffe nicht nur die Recherche, beinhalte immer mal wieder auch repräsentative Aufgaben.
In den vergangenen Jahren sei der Druck durch die Digitalisierung gestiegen. Höherer Output sei für viele mit dem Anspruch gleichbleibender Qualität nicht vereinbar, heißt es aus Mainz. Die Anforderungen seien gestiegen, weil auch die Redaktionen immer dünner besetzt seien. Statt auf mehrere Berichterstatter zu setzen, tauschen Titel wie Rhein-Zeitung und Volksfreund lieber Inhalte aus.
Journalisten störe es nicht, dass es grundsätzlich viel zu arbeiten gebe, sagt jemand, sondern: „Es geht vielmehr darum, dass viele Redaktionen so aufgestellt sind, dass sie ohne Überstunden gar nicht mehr funktionieren würden.“ Ein weiteres Problem: Mit den vielen Kollegen sei in den vergangenen Jahren auch viel Erfahrung gegangen.
Stellenwert
Für viele ist klar, dass die Digitalisierung zu spät gekommen ist und nun seit einigen Jahren mit der Brechstange erfolge. Auf Politik- als auch Journalistenseite ist man sich einig: Das führe zu deutlich wirtschaftlicherem als journalistischem Denken. Inhalte würden schon in Überschriften übergeigt, um mehr Abo-Abschlüsse zu generieren, aufwendige Recherchen oder komplexere Inhalte fürs gut Verkäufliche mindestens hinten angestellt. Das führe wiederum zu sinkendem Stellenwert der politischen Berichterstattung.
Perspektiven
Umstände wie diese kosten die Freude – wohl für viele der gewichtigste Grund. Angesichts sinkender Umsätze und Personalabbaus blicken viele in eine unsichere Zukunft. Wie brenzlig die Situation ist, hat im vergangenen Jahr die Coronakrise deutlich gemacht. Trotz immensen Informationsbedürfnisses und anhaltender Nachrichtenlage war zeitweise Kurzarbeit angesagt. Bei der Rheinpfalz nur eine Woche, bei Rhein-Zeitung und Allgemeine Zeitung länger. Nicht nur Betroffene fragen sich hier nach den Perspektiven.
Der Wechsel – ausgerechnet in die Politik – liegt für viele aufgrund des Themas und vorhandener Kontakte nahe. Darüber vermittelt der Job eine gewisse Sicherheit und die Möglichkeit, aufzusteigen oder sich innerhalb der politischen Reihen zu verändern. Während Redaktionen Kapazitäten abbauen, stocken Parteien, Ministerien und Verbände ihre Kommunikationsabteilungen auf.
Den Redaktionen bleibt unterdessen nur die Suche nach geeigneten Nachfolgern – und die Hoffnung, dass sie bleiben.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung hatte es geheißen, dass auch der Korrespondent des Volksfreunds in Kurzarbeit war. Das war ein Missverständnis. Wir haben die Stelle entsprechend angepasst und bitten um Verständnis.