Die Mär von der Zahlungsbereitschaft im Journalismus

In der Medienbranche hat sich eine Erkenntnis weitgehend durchgesetzt: Paid Content und Abo-Angebote sind wesentlicher Bestandteil digitaler Geschäftsmodelle. Was ihre Ausgestaltung angeht, ist hingegen einiges noch nicht ausgemacht.

Vor allem das Pricing erweist sich für digitalen Journalismus als sensibles und bislang kaum erkundetes Feld. Was sind Nutzer bereit, zu bezahlen? Und wie lässt es sich herausfinden?

Mit Fragen wie diesen befasst sich auch Florian Bauer. Er lehrt als Honorarprofessor in Behavioral Pricing an der TUM School of Management der TU München und berät als Vorstand von Vocatus Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen.

Im Interview mit Medieninsider spricht er über Strategien zur Preisfindung und -gestaltung im digitalen Journalismus und erklärt:

► weshalb dem Begriff der „Zahlungsbereitschaft“ ein Missverständnis zugrunde liegt

► welche Denkfehler Medienunternehmen im digitalen Journalismus gemacht haben und immer noch machen

► wie er auf Preiserhöhungen blickt und Medien in Sachen Preisfindung und -gestaltung aufholen können

► weshalb nicht jedes digitale Medium bei Paid-Content auf Mitglieder-Programme setzen sollte

► weshalb manche Rabatt-Aktion bisherige Erfolge zerstört und wie man mit diesem Werkzeug umgehen sollte

► weshalb der Abschluss eines Abos allein noch kein Ziel sein kann

► welche Missverständnisse er auch in der Werbevermarktung von digitalem Journalismus ausmacht


Du hast Fragen zum Pricing im Journalismus? Stell sie direkt an den Experten! Wir veranstalten am 8. April 2022 ein Q&A mit Florian Bauer. Alles, was du dafür benötigst, ist eine Mitgliedschaft im Directors‘ Club von Medieninsider. Mehr Informationen findest du hier.

Medieninsider: Herr Bauer, in der Medienbranche wird viel darüber gerätselt, ob und was Kunden bereit sind, für Journalismus zu zahlen. Sie sagen, so etwas wie Zahlungsbereitschaft gibt es gar nicht. Was gibt es dann?

Florian Bauer: Der Begriff Zahlungsbereitschaft ist psychologisch völlig irreführend. Die mikroökonomische Theorie unterstellt, dass Menschen einen Maximalpreis im Kopf haben, den sie zu zahlen bereit sind. Der wäre dann vordefiniert, Unternehmen könnten darauf nur reagieren. So funktionieren Menschen aber nicht. Die meisten wissen im Vorfeld gar nicht, was sie maximal zahlen würden. Sie haben einen weniger rationalen Umgang mit Preisen und entscheiden sehr viel spontaner, aber durchaus vorhersagbar. Wir reden deshalb von Preisakzeptanz. 

Das klingt nach einer Chance. Wenn ich etwas verkaufen möchte, wie nutze ich die?

Die Preisakzeptanz ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Man legt stetig ein bisschen mehr Gewicht auf. Was man nicht machen sollte: Fünf Jahre lang dasselbe stemmen und dann ordentlich auflegen. 

Willkommen in der Medienbranche. Da gab es die Inhalte digital erst umsonst, jetzt sollen Kunden plötzlich zahlen. 

Der große Fehler der Branche war es, mit einem allein auf digitale Werbe-Erlöse basierenden Reichweitenmodell zu planen und Inhalte zu verschenken. Heute müssen wir mit diesem Fehler leben. Es geht darum, das Modell weiterzuentwickeln. Das ist nicht leicht in einer Branche, die sich mit Preisfindung und strategischem Preismanagement lange gar nicht beschäftigt hat. 

Dafür in den letzten 20 Jahren ziemlich viel mit Preiserhöhungen.

Genau. Schauen wir uns als Beispiel ein Bestandsprodukt an, das Zeitungsabo oder den Einzelverkaufspreis. Es war über viele Jahre hinweg üblich, Preiserhöhungen aus dem Bauch heraus vorzunehmen. Der Verleger und der Verlagsleiter haben sich zusammengesetzt, den Papierpreis und Inflation analysiert. Dann haben sie geschaut, was die Wettbewerber machen und schließlich entschieden. Die Kosten sollten für die Preisfindung aber genauso egal sein, wie das Verhalten des Wettbewerbers. Das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel.

„Wir raten auch bei Abo-Preisen davon ab, Preiserhöhungen proaktiv zu begründen“

Den haben sehr viele noch nicht vollzogen, oder sehen Sie das anders? 

Das sehe ich auch so. Die Notwendigkeit umzudenken geht aber noch weiter: Wir raten auch bei Abo-Preisen davon ab, Preiserhöhungen proaktiv zu begründen. Sehr häufig schreibt der Chefredakteur einen Artikel, um die Preiserhöhung zu rechtfertigen. Er begründet, warum man leider, leider das Abo jetzt teurer machen müsse, zum Beispiel, weil die Zustellkosten durch den Mindestlohn steigen. Aber so ein Artikel führt eher dazu, dass sich Leser bewusst mit dem Preis auseinandersetzen. Sie finden das Produkt dann plötzlich teuer. Oder sie sind von ihrer Zeitung enttäuscht: „Wie, die haben bislang keinen Mindestlohn gezahlt?“. Zu glauben, durch eine proaktive Begründung erreicht man eine höhere Akzeptanz, ist naiv. Man muss natürlich reaktiv Rede und Antwort stehen können, wenn der Abonnent nachfragt. Aber das machen sehr wenige.

Der britische Guardian hat zum Beispiel sehr gute Erfahrungen damit gemacht, seinen Online-Lesern ausführlich zu begründen, warum guter Journalismus Geld kostet. Die machen den Nutzern damit ein schlechtes Gewissen. Denn man kann den Guardian online auch lesen, ohne zu bezahlen. Mit dieser Strategie hat das Medium sogar den Turnaround geschafft. 

Wenn Sie mehr Fans als Abonnenten haben, mag diese Begründung funktionieren. Das sieht man in Deutschland auch an der taz. Man wirbt dann um Mitglieder, nicht um Abonnenten im klassischen Sinne. Meistens wollen die Kunden aber keine Mitglieder sein, sondern nur Abonnenten. Außerdem muss man den Ansatz des Guardian in Bezug auf die Online-Inhalte auch anders bewerten: Hier geht es ja häufig darum, überhaupt einen Preis einzuführen, nicht nur einen bestehenden Preis zu erhöhen. Das ist entscheidungspsychologisch eine völlig andere Ausgangssituation.

„Nichts ist schlimmer, als Leuten etwas zu geben, das sie nicht wollen.“ 

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Alexandra Borchardt
Alexandra Borchardthttps://alexandraborchardt.com/
Dr. Alexandra Borchardt ist Journalistin mit mehr als 25 Jahren Berufspraxis, 15 davon in Führungspositionen (Süddeutsche Zeitung, Plan W). Sie ist Buchautorin, Beraterin und Medienforscherin mit besonderem Blick für Leadership und Digitalisierung.

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