Die Bundesregierung will die digitale Transformation der Verlagsindustrie unterstützen und stellt dafür 220 Millionen Euro bereit. Digitalen Publishern, die ihre Geschäfte außerhalb der etablierten Verlagsindustrie aufbauen, passt das gar nicht. Sie werfen der Regierung Wettbewerbsverzerrung vor. Beachtet werden sie kaum, denn ihnen fehlt die Lobby. Mit dem „Arbeitskreis Digitale Publisher“ wollen sie sich nun Gehör verschaffen. 20 Unternehmen haben sich zusammengeschlossen und einen ersten Aufruf formuliert – entsteht hier ein neuer Interessenverband?
Christian Humborg ist Mitgründer von Rums Münster, Deputy Director bei Wikimedia Deutschland und ehemaliger Geschäftsführer von Correctiv. Im Interview erklärt er, was es mit dem Arbeitskreis auf sich hat, wieso sich die Journalismus-Start-ups bei etablierten Verbänden wie dem BDZV nicht aufgehoben fühlen und wie die Forderungen an die Bundesregierung lauten.
Medieninsider: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich einen Arbeitskreis. Inwiefern trifft das auf euch zu?
Christian Humborg: Der Begriff Arbeitskreis war nachrangig. Im Kern geht es darum, dass sich 20 Digital-Publisher zusammengetan haben, weil sie die Ansicht teilen, dass die Pläne der Bundesregierung wettbewerbspolitisch einfach daneben sind.
Wieso?
Wettbewerb heißt, dass alle am Markt dieselben Bedingungen vorfinden. Und wenn der eine Geld vom Staat bekommt, der andere aber nicht, dann sorgt das für ungleiche Bedingungen. Wir laufen in der digitalen Transformation alle einen Marathon, nur mit dem Unterschied, dass dann manche von uns Verschnaufpausen bekommen würden, während der Rest an einem Stück durchlaufen muss.
Dazu habt ihr ein Schreiben mit vier Punkten aufgesetzt. Ist das lediglich ein Aufruf oder ist es ein offener Brief, den ihr auch dem Wirtschaftsminister zugestellt habt?
Das ist ein Aufruf, den wir im Internet veröffentlicht haben. Wir gehen in einer digitalen Zeit davon aus, dass es jene mitbekommen werden, die es angeht. Uns geht es darum, allgemein auf den Missstand aufmerksam zu machen. Digitale Angebote, die den gesellschaftspolitischen Diskurs voranbringen, sollen nach Plan der Regierung kein Geld bekommen können, Anzeigenblättchen mit ihrem hohen Werbeanteil aber schon. Das ist nicht unser Journalismusverständnis. Das ganze bisherige Konzept wirkt auf uns nicht wirklich durchdacht.
In welchen Punkten speziell?
In Zeiten, wo viele den Gürtel enger schnallen müssen – insbesondere Journalistinnen und Journalisten – kann es nicht sein, dass ohne Bedarfsprüfung gefördert werden soll. Wer Steuergeld haben will, muss schon nachweisen, dass dieses nicht dazu dient, unangemessene Gewinne an die Eigentümer auszuschütten. Das geht nur durch eine Öffnung der Bücher der vergangenen drei Jahre. Wenn Geld ausgeschüttet wird, muss der Journalismus davon profitieren, der von Journalistinnen und Journalisten gemacht wird, und nicht die Eigentümerinnen und Eigentümer. Davon abgesehen, sind die 220 Millionen Euro für die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Neue Digital-Publisher können mit viel weniger Geld viel mehr bewirken.
Zum Verteilungsschlüssel enthält euer Aufruf keinen konkreten Gegenvorschlag, dabei hat es an der ein oder anderen Stelle schon mal welche gegeben. Sebastian Esser von Steady beispielsweise hat bereits laut darüber nachgedacht. Wieso habt ihr nichts formuliert?
Ich glaube nicht, dass es so leicht ist, einen Vorschlag zu präsentieren, bei dem sofort alle jubeln würden.
Das mag wohl sein. Mein Eindruck aber ist: Lobbyismus funktioniert am besten, wenn man der Politik direkt sagt, was wie auszusehen hat.
Wir müssen nicht so tun, als wäre die Verteilung der 220 Millionen Euro eine einfache Herausforderung. Die Komplexität sollte anerkannt werden. Ich glaube, man kann keine Lösung finden, die wirklich gerecht sein wird. Man kann aber eine finden, die nicht so unglaublich ungerecht ist. Wenn ich erneuerbare Energien fördern will, subventioniere ich ja nicht ausschließlich die Kohleindustrie, damit sie Windräder bauen kann – und Windradbauer bekommen nichts. Das wäre absurd.
Subventionen brauchen eine Lenkungswirkung. Neue digitale Unternehmen müssen nicht gelenkt werden, sie sind schon digital.
Jede Zeitung, die auch nur ansatzweise etwas von ihrem Geschäft versteht, ist inzwischen längst digital. Wer weiter Print machen will, soll es doch tun. Ich habe überhaupt nichts dagegen. So jemand muss auch nicht erzogen werden. Ich kann nur viel Glück wünschen, aber bin skeptisch, dass der tägliche Druck einer Zeitung langfristig rentabel betrieben werden kann. Bei den Subventionen geht es also eher um Ausbau des Digitalgeschäfts – und eben das tun wir auch.
Ihr sagt: Wenn der Staat doch etwas fördert, dann soll er die journalistische Produktion fördern. Was genau meint ihr damit? Denn genau das plant der Staat doch.
Wir wollen damit betonen, dass niemand – auch nicht der Staat – direkte Einflussnahme will. Wir wollen verhindern, dass es am Ende einen Fördertopf gibt, auf den man sich für Innovationen oder so etwas bewerben kann. Denn: Die meisten der Digitalpublisher brauchen keine Innovationsförderung, weil ihre Gründung allein schon eine ist. Eine reine Innovationsförderung hat eine Projektitis zur Folge, in der sich Publisher etwas ausdenken, was sie normalerweise vielleicht nicht machen würden, nur um an das Geld zu kommen. Das, was Journalismus im Kern aber aus macht und gleichzeitig in jedem Geschäftsmodell teuer ist, sind Personalkosten für gute Journalistinnen und Journalisten. Als Staat sollte ich dafür sorgen, dass Geld genau dorthin fließt: In Menschen, die Journalismus machen.
Aus mehr Leuten entsteht ja nicht automatisch ein neues Geschäftsmodell.
Die neuen Geschäftsmodelle, die entstehen doch von alleine. Wenn die Regierung beabsichtigt, irgendwelche Apps und Online-Tools zu subventionieren, dann entstehen auch keine neuen Geschäftsmodelle . Mehr Personal macht besseren Journalismus. Überall wird doch nur noch gekürzt, weniger Journalistinnen und Journalisten müssen immer mehr Content produzieren. Das führt dazu, dass sie quasi gezwungen sind, Pressemitteilungen ab- oder umzuschreiben.
Euer Arbeitskreis umfasst jetzt 20 Publisher. Es wird schwierig, sich damit Gehör zu verschaffen. Starken Lobbyismus kann der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Wieso habt ihr euch dort keine Hilfe geholt?
Da wären wir wieder beim Vergleich aus dem Energiesektor. Was soll ein Windkrafthersteller beim Lobbyverband der Kohleindustrie?
Der Verband will für digitale Publisher außerhalb der etablierten Medien attraktiver werden. Behauptet er zumindest.
Als wir unseren Aufruf veröffentlicht haben, war die erste Reaktion des BDZV, dass er sich über seinen offiziellen Twitter-Account über den Namen einer unserer Partner der Initiative lustig gemacht hat. Bei so einem Umgangston kann man doch nicht ernsthaft die Frage stellen, weshalb wir uns dort keine Hilfe geholt haben. Da melden wir uns mit sachlichen und vernünftigen Gedanken in einer Debatte zu Wort und als Reaktion wird auf Kindergartenniveau reagiert. Ich weiß nicht, ob das ein Mangel an Umgangsform, Größenwahn oder Arroganz ist. Die Frage ist, wer sich bei wem Hilfe holen sollte.
Der BDZV antwortete auf einen Tweet von Steady-Co-Gründer Philipp Schwörbel, dass es „Schwurbel“ sei. Gemeint war aber offenbar weniger euer Papier als vielmehr der Tweet von Schwörbel. Er hatte nahegelegt, dass die 220 Millionen ein Geschenk der Bundesregierung im Vorfeld der Bundestagswahlen seien. Er unterstellte damit unterschwellig politische Manipulation.
Ich teile die Auffassung des Kollegen Schwörbel nicht, aber die kann er doch haben? Man kann der Meinung sein, dass seine These Unfug ist. Aber ich mache mich doch nicht einfach platt über seinen Namen lustig? Ein seriöser Verband sollte in der Lage sein, einen sachlichen Diskurs zu führen.
Der BDZV hat den Tweet danach als „unangemessen“ bezeichnet. Ihr habt als Digital-Publisher jetzt gemeinsame Interessen entdeckt, aber keinen Verband, bei dem man sich aufgehoben fühlt – wird aus der Arbeitsgruppe ein neuer Interessenverband?
Das weiß ich nicht. Den meisten von uns geht es zunächst um ein Signal in Sachen Presseförderung. Ansonsten steht für jede und jeden von uns an erster Stelle, Journalismus zu machen, der von Nutzerinnen und Nutzern honoriert wird. Jetzt einen Verband zu gründen, der Organisation und Verwaltung benötigt, daran denkt für mein Empfinden derzeit niemand. Das entspricht auch nicht dem Selbstverständnis eines Entrepreneurs und einer Entrepreneurin.
Kann man so nicht sagen. Die Start-up-Branche hat sich auch in einem Verband zusammengefunden und erzielt damit einige Erfolge.
Für so einen Verband müssen mehrere, konkrete Probleme zusammengekommen. Vielleicht gibt es dann Lösungsideen und die richtigen Menschen dafür. Vielleicht wird das geschehen. Es wäre jetzt aber falsch, eine Ankündigungspolitik zu machen. Das ist nicht, worum es hier geht. Eins nach dem anderen.
Das Schreiben des Arbeitskreises Digitaler Publisher kannst du hier aufrufen.
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