Neben all dem strukturellen Reformbedarf müssen die Öffentlich-rechtlichen Fortschritte bei der Verjüngung des Programms machen. Nachdem ARD und ZDF mit Funk eine beitragsfinanzierte Creator Economy geschaffen haben, kämpfen sie nun darum, junge Talente zu halten. Das betrifft vor allem die ARD. Die Gründe dafür liegen nicht nur im Finanziellen.
In den vergangenen Monaten verging fast keine Woche ohne Negativschlagzeilen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dabei im Fokus: die ARD. Die nicht enden wollende Affäre beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger wie auch die Vorkommnisse in zwei Landesfunkhäusern des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hallen nach. Der Vertrauensverlust, den dadurch der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt erlitten hat, dürfte immens sein. Die Politik, die Presse und das Publikum drängen (die einen mehr, die anderen weniger) auf Aufklärung, neue und effiziente Kontrollmechanismen und grundlegende Reformen.
Kosten senken, effizienter produzieren und mehr Zusammenarbeit – aus Sicht von ARD und ZDF ist das seit langem Teil ihres Tagesgeschäfts, aber für die Politik und die kritische Öffentlichkeit nicht in ausreichender Weise. Diese Gemengelage setzt die öffentlich-rechtlichen Sender derzeit massiv unter Druck. Denn gleichzeitig müssen sie mit Wucht die digitale Transformation ihrer Programmangebote angehen. Zwar werden Organisationsstrukturen umgebaut, dreistellige Millionenbeträge umgeschichtet und eine Vielzahl neuer Projekte gestartet, um mehr exklusive Inhalte für die digitale Medienwelt zu produzieren und jüngere Programmmacher und Produzenten zu binden. Nach Jahren des Aufbaus einer quasi öffentlich-rechtlichen Creator Economy kämpft das System mittlerweile aber mit sich selbst. Ausgerechnet hier kommt sich vor allem die ARD wieder selbst in die Quere.
Die Arbeitsgemeinschaft tut sich als föderales Gebilde deutlich schwerer als das zentral organisierte ZDF. Bei der ARD scheinen die Strukturen nicht ideal zu sein, um jüngere Protagonisten an sich zu binden, die Podcasts, Social-Media-Inhalte oder Webvideos produzieren. In der jüngeren Vergangenheit haben mehrere Talente und Nachwuchsproduzenten, die unter dem ARD-Dach groß und populär wurden, eine Zusammenarbeit nicht fortgesetzt oder den Senderverbund ganz verlassen.
Erst aufgebaut dann abgehauen: Diese Jungtalente haben der ARD den Rücken gekehrt
Das zuletzt wohl prominenteste Beispiel: die Podcast-Reihe Cui bono, die mit sich mit umstrittenen Internetphänomenen befasst. Mit der preisgekrönten ersten Staffel (WTF happened to Ken Jebsen?), die über fünf Millionen Mal abgerufen wurde, konnten sich die auftraggebenden Anstalten NDR und RBB noch schmücken. Die Produzenten zu halten, gelang ihnen jedoch nicht. Die zweite Staffel, in der die Geschichte von Ex-YouTuber Rainer Winkler erzählt wird (Wer hat Angst vorm Drachenlord?), läuft nicht mehr unter dem ARD-Label. Stattdessen sind die Macher zum deutlich kleineren Konkurrenten RTL+ übergelaufen.
Der Abgang der Cui Bono-Produzenten ist kein Einzelfall. Besonders deutlich wird der Trend bei der 2016 von ARD und ZDF gemeinsam gestarteten Jugendmarke Funk, die non-lineares Programm für 14- bis 29-Jährige machen soll. In den vergangenen Jahren kamen vor allem ARD-seitig zahlreiche junge Talente abhanden.
Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (maiLab) wechselte ohne große Not vom Südwestrundfunk (SWR) zum ZDF. Das Satire-Format Browser Ballett, das wie Cui Bono bei mehreren ARD-Anstalten beheimatet war, verabschiedete sich zu ZDFneo. Vor acht Monaten gab das Webvideo-Angebot Simplicissimus (ebenfalls SWR) bekannt, nach zweieinhalb Jahren komplett aus dem öffentlich-rechtlichen Kosmos auszuscheiden und allein weiterzumachen. Sie alle konnten sich bei Funk ausprobieren, entwickeln und professionalisieren. Dann sind sie gegangen.
Was sind nun die Gründe, dass es für die ARD schwieriger ist, jüngere Protagonisten zu halten bzw. ihnen im Senderverbund weitere Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten? Zumal sich dieses Phänomen auch beim linearen Fernsehen der ARD beobachten lässt: So wechselten im Jahr 2021 die Journalistinnen Pinar Atalay und Linda Zervakis zur kommerziellen Konkurrenz. Atalay ging zu RTL, Zervakis zu ProSieben. Unterhaltungsmoderatorin Sabine Heinrich verließ den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und heuerte beim ZDF an. Sie alle drei sind Sendergesichter, die ein eher jüngeres Publikum ansprechen.
In der ARD sieht man vor allem ein Problem: das Geld. Das gilt vor allem, wenn es darum geht, junge Protagonisten und ihre Formate zu halten, sobald sie bei Funk zu alt für die Zielgruppe werden. Diese Haltung vertrat zumindest SWR-Programmdirektor Clemens Bratzler in einer Sitzung des Rundfunkrats im vergangenen Dezember. Dass die ARD hier Schwierigkeiten hat, hängt für Bratzler mit der Budgetverteilung zusammen: Das Geld sei „überwiegend immer noch im linearen Programm gebunden“. Jemand, der über 30 Jahre alt und mit Funk sozialisiert worden sei, möchte aber sein Format weiter haben und „nicht plötzlich Kai Pflaume oder das ARD-Buffet sehen“. Diese Wettbewerbsfähigkeit zu halten, sei zuletzt nicht einmal in der ARD gelungen, räumte Bratzler mit Blick auf die ZDF-Wechsler Mai Thi Nguyen-Kim und das Browser Ballett ein. Die Konsequenz für den SWR-Manager: „Wir müssen umschichten auch zu Lasten der linearen Programme, um die Anschlussfinanzierung […] hinzukriegen.“
Wo und wie sich die Schwerfälligkeit der ARD zeigt
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