Liegt die Zukunft lokaler Medien im Bundling?

Der Leseletter #32/20

Hallo Medieninsider!

in Deutschland geht die Sorge um sterbenden Zeitungslandschaft um. Laut einer Studie im Auftrag des Lobbyverbands Deutscher Zeitungsverleger wird die Zustellung von Tageszeitungen aufgrund sinkender Umsätze und steigender Zustellkosten im Jahr 2025 in 40 Prozent aller Gemeinden „unwirtschaftlich“ sein.

Grafik: Schickler
Grafik: Schickler

Die Zukunft findet wie so oft bereits in den USA statt. Nirgends ist die Zeitungskrise deutlicher zu spüren als hier:

► Die Hussman School of Journalism zählt in etwa nur noch jedem zweiten der mehr als 3100 Counties eine Lokalzeitung (viele erscheinen nur noch wöchentlich), in 200 Counties gibt es sogar gar keine mehr. 

► Seit diesem Monat ist mit Wyoming ein ganzer Bundesstaat ohne täglich gedruckte Zeitung.

2100 gedruckte Zeitungstitel sind in den vergangenen 15 Jahren vom US-Markt verschwunden. 

Über die Rettung von regionalen und lokalen Medienhäusern wird nun heftig diskutiert. Und dabei geht es nicht nur um die gedruckte Zeitung. Anders als hierzulande wird die Lösung der Probleme in den USA aber nicht in Staatssubventionen gesucht, sondern in der eigenen Branche. Bei der Debatte besonders im Fokus: Große und wirtschaftlich potente Medienhäuser wie die New York Times. Denn ihnen kommt eine besondere Rolle zu.

► Vergangenes Jahr schrieben die Autoren des Digital News Report von Reuters, dass die Mehrheit der Online-Nutzer überhaupt nur ein Digital-Abonnement besitzt. In der neuesten Edition wurde deutlich, wer das Rennen für sich entscheidet: Rund die Hälfte aller neu abgeschlossenen Abonnements gehen allein an die NYT und die Washington Post.

► Auch in einzelnen Regionen ist die New York Times Marktführer, hat beispielsweise mehr digitale Abonnenten in Seattle als die dortige Seattle Times oder auch mehr als die Dallas Morning News in ihrem Verbreitungsgebiet, wie Tony Haile für die Columbia Journalism Review schreibt

Mit anderen Worten: Die New York Times kann als Teil des Problems gesehen werden – oder als Teil der Lösung. In den USA wird eben das gerade diskutiert, wie die Regionalmedien mit oder ohne die NYT überleben können. Das Mittel zum Zweck ist in beiden Fällen das gleiche: Kooperation. 

So fordert Joshua Benton, Director des Nieman Journalism Lab an der Harvard University, die neue New York Times-CEO Meredith Levien in einem offenen Brief dazu auf, in der dominanten Rolle eine Verantwortung zu erkennen. 

► Die New York Times könnte den existenzbedrohten Medien helfen, wenn sie ihre Reichweite mit regionalen Medien bündelte, um die kleinen Angebote für national Werbungtreibende attraktiver zu machen. 

► Auch im Bereich Data sei eine Zusammenarbeit denkbar. So könnte die New York Times ihre eigens entwickelten Tools zur Verfügung stellen, damit kleinere Häuser ihre Zielgruppen besser analysieren können. Im Gegenzug könnte die New York Times Zugriff auf diese Daten erhalten, um die eigenen Produkte damit zu optimieren.

► Die New York Times und Partner könnten gemeinsame Abo-Bundles auflegen, mit denen die New York Times ihre Reichweite in lokalen Märkten ausbauen könnte. Nutzer müssten sich nicht für ein regionales oder das New York Times-Angebot entscheiden, sondern bekämen beides. 

An Bundle-Angebote glaubt auch der bereits zitierte Tony Haile – nur nicht an die New York Times. Haile unterstellt dem Management anhand älterer Aussagen die Absicht, lokale Märkte selbst zu übernehmen und regionale Medienhäuser als Konkurrenten zu sehen. Er hält Bündnisse mit der Washington Post für realistischer und angesichts der bereits vorhandenen Dominanz der New York Times auch für besser. Zwar haben beide Autoren nicht vergessen, dass es vergleichbare Projekte schon einmal gab, sie heute mit neuer Ernsthaftigkeit aber vielversprechend seien. 

Haile, das darf man an dieser Stelle nicht unterschlagen, hat durchaus ein Interesse an der Durchsetzung seiner eigenen Idee. Er ist Gründer von Scroll, das mehrere Medien in einem Angebot zusammenfassen und per Abonnement – dafür werbefrei – an die Nutzer bringen will und derzeit noch versucht, Fuß zu fassen. Zwar zeichnet er in seinem Artikel die New York Times als Feindbild, am Ende profitiert sie aber auch von Scrolls Erfolg; immerhin ist sie am Start-up beteiligt. 


Nach der Lektüre habe ich mir die Frage gestellt, ob die Gedankenspiele aus den USA auch auf unseren Heimatmarkt in Deutschland übertragbar sind. Zwar finden wir in unserer Medienlandschaft kein so dominantes Medium wie die New York Times, wohl aber wird die Sorge über die Nachrichtenwüsten geteilt. Einige regionale Medien kooperieren bereits jetzt mit Überregionalen, wenn auch die Werbevermarktung im Vordergrund steht und keine Abos. 

Unabhängig von der Frage, ob sich regionale Zeitungspleiten durch gemeinsame Abos mit FAZ, SZ oder Welt verhindern ließen, bleibt in Deutschland die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten. Erst vor drei Jahren haben Verlage in aufwendiger Lobbyarbeit eine Änderung des Wettbewerbsrecht durchgesetzt, die eine Zusammenarbeit zwischen Verlagshäusern generell erleichtern sollte – viel geschehen ist bis dato noch nicht. 

Eine kurze Expertise gibt dazu Prof. Dr. Rupprecht Podszun ab. Er ist Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Universität in Düsseldorf und sagt:

„Nach meiner ersten Einschätzung wäre eine solche Kooperation grundsätzlich in Deutschland möglich – genau derartige Ideen waren es, die zur Änderung des Pressekartellrechts führten. Die Verlage wollten für Online-Kooperationen Rechtssicherheit. Eine Hürde gibt es allerdings: Sobald der zwischenstaatliche Handel spürbar beeinträchtigt ist, ist europäisches Recht anwendbar, das keine Ausnahme für die Presse kennt.“


Mehr News der Woche

Bloomberg schließt Bundle-Deal

Bloomberg und The Athletic setzen die Theorie teils in die Praxis um. Der Finanzdienst ergänzt sein Abo-Angebot um Inhalte der Sportnewsseite The Athletic. Im Bundle erhalten Bloomberg-Abonnenten vergünstigt Zugriff auf The Athletic

Bloomberg setzt damit seine Strategie, das eigene Angebot um Nischenprodukte zu ergänzen fort. Seit Beginn des Jahres besteht bereits eine Kooperation mit The Information

Mehr Informationen hält Axios dazu bereit

BuzzFeed startet E-Commerce-Plattform

BuzzFeed war schon immer kreativ darin, zur Finanzierung seines Journalismus alternative Geschäftsmodelle zu finden – dabei hat das US-Unternehmen immer schon Grenzen übergangen, die man eigentlich für unüberwindbar gehalten hat. BuzzFeed ist im Content-Marketing unterwegs, hat schon Kochplatten verkauft und – festhalten – versucht sich sogar in Paid Content. 2018 startete das Portal ein Membership-Programm, in diesem Jahr kam ein werbefreies Abo hinzu. 

Besonders lukrativ aber ist das Geschäft mit Affiliate-Links. 300 Millionen US-Dollar Umsatz hat BuzzFeed im vergangenen Jahr mit dem Verlinken von Produkten gemacht – beim Kauf winkt eine Provision. Jetzt baut BuzzFeed das Programm aus und legt dazu gleich einen ganzen E-Commerce-Bereich auf. Damit wird BuzzFeed nicht zum Vermittler von Kunden, sondern selbst zum Anbieter. Angeboten werden Produkte des Kooperationspartners Bonsai, 25 Prozent Provision ruft das US-Portal dafür auf. Weitere Details hat das Wall Street Journal zusammengefasst.

Addendum wird eingestellt

Das Österreichische Onlineportal Addendum , hinter dem Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz steckt, wird nach fast drei Jahren eingestellt. Trotz „erheblichen Mitteleinsatzes” und „relevanter Rechercheprojekte“ seien die Erwartungen nicht erfüllt worden, heißt es. Laut dem Standard kommt das Aus, von dem 57 Mitarbeiter betroffen sind, überraschend. „Selbst in den oberen Etagen des Medienhauses soll vor einer Woche keiner vom plötzlichen Ende gewusst haben.“

Addendum setzte vor allem auf Erklärvideos bei YouTube, erreicht damit zuletzt knapp 15.000 Abonnements. Als Rechercheplattform war das Medium Teil des „European Data Journalism Network“, fiel immer mal wieder aber durch seine „selektive Berichterstattung“ auf, wie der Deutschlandfunk es einmal in einem Porträt formulierte.


Im Journalismus wird viel über Diversität gesprochen und geschrieben. In der Serie „Was sich ändern muss“ der Süddeutschen Zeitung schrieb der freie Journalist Mohamed Amjahid jüngst:

„Das größte Problem, das spannenden Journalismus verhindert, sind Führungskräfte, die der Aufgabe nicht gewachsen sind, ein vielfältiges Team anzuleiten.“

Und:

„Die amtierenden weiß-cis-männlich-dominierten Entscheidungsebenen sollten sich an die Realität anpassen und erkennen, dass es mit der homogenen Zusammensetzung in den Chefetagen eigentlich nicht mehr weitergehen kann.“

Dass es in vielen Redaktionen und Verlagshäusern um Diversität noch nicht ausreichend bestellt ist, dürfte als unbestritten gelten. Wie homogen es aber tatsächlich zugeht und wie die Entwicklung ist, das hält kaum einer selbst und für alle nachvollziehbar fest. Anders die Washington Post. Zwar hat auch sie beim Thema Diversity noch einiges zu tun, dank des ersten Demographics Report ist dies aber nun für jedermann nachvollziehbar. Ein paar Fakten aus der eigenen Untersuchung: 

► Während in der Redaktion die Geschlechter nahezu ausgeglichen verteilt sind (50,5 Prozent Männer, 49,3 Prozent Frauen), sind auf Verlagsseite die Männer deutlich in der Überzahl: Nur 37 Prozent der Belegschaft sind weiblich. Das gleiche gilt für die Führungsebenen.

► Der Anteil weißer Menschen innerhalb der Redaktion beträgt aktuell 71 Prozent, 2017 waren es 75. Der Anteil der Schwarzen liegt bei neun Prozent, der von Asiaten bei acht Prozent, nur fünf Prozent in der Redaktion sind Hispanic. Auf der redaktionellen Führungsebene sank der Anteil der Weißen seit 2015 von 80 auf 77 Prozent.

► Auf Verlagsebene gibt es deutlich mehr Schwarze, mit 27 Prozent in 2020 sind es allerdings neun Prozent weniger als noch 2015. Der Anteil der Weißen stieg um einen Prozentpunkt von 46 auf 47 Prozent, der Anteil der Asiaten stieg – von elf auf 15 Prozent. Auf Führungsebene lag der Anteil der Weißen bei zuletzt 61 Prozent, zwei Prozentpunkte niedriger als 2015. 

Mit ihrem Report zieht die Washington Post der New York Times nach. Sie veröffentlicht ihren Diversity and Conclusion Report bereits seit 2017.

Lesetipp 

„Sie trägt einen Nietengürtel, ein T-Shirt mit dem Aufdruck ‘Love St. Pauli, Hate Racism’, ihre Haare sind kurz geschoren, ihre Arme und ihr Hals tätowiert. Sie kommt aus der Frankfurter Punkszene und lebt in einem queerfeministischen Hausprojekt in Berlin-Mitte, das aus einer Besetzung hervorgegangen ist. (…) Marie Frank ist seit Juni eine von zwei Ressortleitern des großen Ressorts ‘Hauptstadtregion’ für Berlin und Brandenburg.“

Im obigen Zitat ist von Neues Deutschland die Rede, der Zeitung, die jetzt nur noch nd heißt und 30 Jahre nach der Wende versucht, sich neu zu erfinden. Die ehemalige SED-Zeitung, einst bei einer Auflage von über einer Million, kämpft mit derzeit nur noch knapp 20.000 um den Bedeutungsverlust. Mit Redakteurinnen wie Marie Frank und einer neuen Strategie, soll der verhindert werden. Weniger Partei, mehr Antifa – so in etwa lässt sich das Motto herunterbrechen. SZ-Journalist Philipp Bovermann war zum Redaktionsbesuch in Berlin Friedrichshain und hat ein paar interessante Eindrücke aufgeschrieben. Seinen lesenswerten Artikel findest du hier

Hab noch eine schöne Woche! 

Viele Grüße

Marvin

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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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