Das 100-Millionen-Ziel: Wie die Paid-Strategie von Schibsted aussieht

Schibsted gehört zu den europäischen Vorzeige-Medienhäusern, wenn es um den Aufbau digitaler Vertriebserlöse geht. In diesem Jahr will das Verlagshaus das lang angekündigte Ziel von 100 Millionen Euro Umsatz durch Paid Content knacken. Im Interview erklärt Tor Jacobsen, Senior Vice President für Consumer Marketing und Revenue, wie der Medienkonzern digitale Bezahlmodelle vorantreibt und welche Rolle künstliche Intelligenz dabei spielt.

Cover Medieninsider INSIGHT #1
Aus dem INSIGHT #1 Paid Content & Subscriptions

Medieninsider: Schibsted betreibt in Schweden und Norwegen eine Reihe von regionalen und überregionalen Zeitungen und Webseiten. Haben alle ein Paid-Content-Angebot?
Tor Jacobsen: Das haben sie, unsere 16 Zeitungen und seit jüngstem auch unser Onlinedienst Omni. Wir haben über alle Seiten hinweg Freemium-Modelle installiert, deren Anteil an Premium-Inhalten in der Regel von zehn bis 15 Prozent reicht. Bei einigen Seite liegt er sogar über 50 Prozent. Das Freemium-Modell ist die Basis, bei einigen Medienmarken wie Aftenposten haben wir ein Metered-Modell draufgesetzt.

Weshalb unterschiedliche Strategien?
Wir glauben ganz einfach, dass für unterschiedliche Marken unterschiedliche Dinge funktionieren. Unsere beiden Boulevardmarken Aftenposten und VG haben eine hohe Reichweite, befinden sich aber dennoch in einem kompetitiven Markt, weshalb wir hier mit einem geringeren Anteil an Paid-Content arbeiten. Je regionaler oder lokaler eine Marke arbeitet, desto einfacher ist es, den Anteil an Plus-Artikeln zu erhöhen. Bei unseren Hybriden sehen wir, dass die Plus-Artikel einen zunehmend großen Anteil am Umsatz ausmachen. Die Verkäufe aus dem Freemium-Modell heraus sind fünf bis zehnmal höher als aus dem Metered-Modell.

Wenn es schon keine One-fits-all-Lösung gibt, dann womöglich ein paar Grundregeln, an denen sich Publisher bei der Suche nach einem Modell orientieren können?
Ich denke, es ist wichtig auf die richtige Balance zwischen der Anzahl von bezahlpflichtigen und freien Artikeln zu achten. Beim Aftenposten beispielsweise – der Zeitung mit den meisten Abonnenten in Norwegen – haben wir aus unserer Sicht mit einem Anteil von 35 Prozent Plus-Artikeln das Limit erreicht. Bei einem höheren Anteil würden wir grundsätzlich weniger Besucher auf der Seite erwarten, was gleichzeitig weniger Conversions bedeuten würde. Das Limit ist aber von Marke zu Marke unterschiedlich. Es ist sinnvoller, sich an Umsatzzielen zu orientieren und diese konstant zu evaluieren anstatt die Anzahl von Bezahl-Texten blind zu erhöhen.

Gemessen an der Anzahl der digitalen Abonnements ist Schibsted mit 800.000 im vierten Quartal 2019 das erfolgreichste Medienunternehmen in Europa gewesen. Für 2020 steht das Ziel, einen Leserumsatz von einer Milliarde Norwegischen Kronen (NOK) zu erreichen, was etwa 100 Millionen Euro entspricht. Werden Sie das Ziel erreichen?
Wir haben vergangenes Jahr ein paar Zeitungstitel verkauft, sodass wir derzeit unbereinigt rund 800.000 Nutzer zählen. Seit der Covid-19- Pandemie sind rund 50.000 Abos dazugekommen. Print und Digital zusammengerechnet kommen wir jetzt auf 1,3 Millionen Abonnenten in Schweden und Norwegen.* Das stimmt uns optimistisch, dass wir unser Ziel von einer Milliarde NOK, das wir 2017 bei einem Umsatz von 500 Millionen NOK gesetzt hatten, bis Jahresende erreichen werden.

Erfolg kommt nicht nur durch gute Produkte, sondern auch durch Nachfrage. In Skandinavien liegt die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus viel höher als in anderen Ländern. Was ist Ihre Erklärung dafür?


Das liegt daran, dass wir natürlich einen fantastischen Job machen! Ernsthaft, es gibt mehrere Gründe: Einer mag historisch bedingt sein. In Schweden und Norwegen war es schon immer üblich mehr für Journalismus zu bezahlen und mehrere Zeitungen abonniert zu haben. Daraus ist eine ganz andere Kultur entstanden. Hinzu kommt, dass sowohl Schweden als auch Norwegen bereits sehr digitalisierte Märkte sind. Und natürlich dürfen wir die finanzielle Situation nicht vergessen. Die Menschen hier sind eher dazu in der Lage, Geld für Informationen auszugeben. Last but not least: Im Vergleich zu anderen Märkten geht es in Schweden und Norwegen möglicherweise weniger kompetitiv und mit einer höheren Anzahl von Paid-Content-Inhalten zu.

Unser INSIGHT ist ein umfassendes Status-Update über den digitalen Bezahljournalismus in Deutschland, er ist aber auch ein nutzwertiger und praxisnaher Bericht für Medienmacher auf der Suche nach Inspiration. Als Medieninsider sparst du 50 Prozent auf den Verkaufspreis. Mehr Infos findest du hier.

Bei der Entwicklung digitaler Abomodelle gehen Medien durch unterschiedliche Phasen beziehungsweise müssen unterschiedliche Aspekte wie Conversions, Retention, die Optimierung des Umsatzes pro Nutzer beachtet werden. Worauf liegt derzeit der Fokus bei Schibsted?
Unterschiedliche Dinge zu fokussieren trifft es in der Tat besser. Natürlich soll die Zahl der Abonnenten immer weiter steigen, während man gleichzeitig die Umsatzoptimierung im Blick hat. Uns geht es derzeit vor allem darum, Preise und die damit verbundenen Pakete zu optimieren. Das heißt, unterschiedlichen Zielgruppen mit inhaltlichen Angeboten gerecht zu werden – beipielsweise mit Basispaketen, Premiumpaketen, Sonderangeboten für Sport- oder Finanzthemen.

Wird es durch De-Bundling und Fragmentierung aus Nutzersicht nicht unübersichtlich?
Produkte, die man zusammengeführt hat, wieder voneinander zu trennen, mag eigenartig klingen. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass sich die Bedürfnisse auf Konsumentenseite fortlaufend entwickeln und ändern. Flexibel zu bleiben ist das allerwichtigste. Datenanalyse gibt uns heute die Möglichkeit, unser Wissen über den Nutzer und seine Bedürfnisse zu vertiefen und entsprechend zu reagieren. Aber es ist richtig: Es darf nicht chaotisch werden.

Inwiefern hilft Datenanalyse, Nutzer besser zu verstehen?
Das Thema gewinnt zunehmend an Bedeutung und wir unternehmen einiges, um vorhandene Daten auszulesen. Es gibt aber auch noch viel Potenzial, das wir noch nicht nutzen.

An welchen Stellen funktioniert die Datenanalyse gut?
Bei Aftenposten werden Daten intensiv genutzt, um die Homepage zu
gestalten. Nicht jeder Inhalt wird von einem Algorithmus ausgesteuert,
aber eben eine signifikante Anzahl.

Das bedeutet, dass Nutzer unterschiedliche Inhalte ausgeliefert
bekommen. An welchen Stellen nützen Ihnen Daten im Bereich Paid Content?

Beim Svenska Dagbladet testen wir gerade ein Daten-Tool, das den Newsroom bei der Auswahl von Paid-Inhalten unterstützen soll. The Oracle, so heißt das Programm, versendet via Slack Hinweise auf Geschichten, die möglicherweise besser hinter der Paywall stehen sollten. Selbst wenn die Redakteure anders entscheiden, so führt das Programm dazu, dass zumindest noch einmal darüber nachgedacht wird – eine große Hilfe mit überraschenden Ergebnissen.

Beispielsweise?
Wir haben bislang gelernt, dass selbst Informationen oder Geschichten, die Nutzer auch woanders bekommen, gut konvertieren können. Der Grund: In manchen Fällen wollen die Nutzer diese Geschichte bewusst von unseren Journalisten lesen. In der Medienbranche wird Content oft als austauschbares Rohmaterial betrachtet, während die Loyalität mancher Nutzer unterschätzt wird. Wenn Menschen Entscheidungen treffen, sind Emotionen ein wichtiger Treiber. Tools wie Oracle helfen uns dabei, kompetitive Situationen weniger zu fürchten.

Wie funktioniert das im Detail?
Das Tool analysiert den Impuls und das Verhalten der Benutzers. Wenn es registriert, dass ein Artikel eine hohe Anzahl an Impressions und starkes Engagement verzeichnet – daneben gibt es weitere Faktoren –, dann gibt Oracle ein Signal in den Newsroom.

Das hilft dabei, neue Nutzer zu gewinnen. Auf der anderen Seite müssen sie auch gehalten werden. Die Schibsted-Medien geben mit neun bis zehn Prozent eine sehr geringe monatliche Churn-Rate an – in Deutschland eher eine Wunschvorstellung. Wieso sind Sie dennoch unzufrieden. Warum?
Das ist ein spannendes Thema, weil wir darüber immer noch diskutieren. Neun bis zehn Prozent sind im Vergleich mit Spotify, HBO oder Netflix ein hoher Wert. Aber ist das denn überhaupt problematisch? Der einfachste Weg, die Churn-Rate zu senken, wäre, alle externen Marketing- oder Pricing-Kampagnen einzustellen. Das würde aber auch bedeuten, auf der Sales-Seite sehr viel defensiver vorzugehen und könnte sich später rächen. Wir haben den langfristigen Umgang damit für uns noch nicht gefunden.


* Das Interview ist eine Auskopplung aus dem INSIGHT #1 zum Thema Paid Content & Subscriptions und wurde im Sommer 2020 geführt.

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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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