Auf der Audio-Spur

Vinzent Leitgeb, Leiter des Audio-Teams von der SZ, im Interview

Auf den Podcasttrend sind längst auch viele deutsche Verlage aufgesprungen. Die Süddeutsche Zeitung fährt dabei zweigleisig: Mit kostenlosen Podcasts will sie die Masse erreichen, mit Paid-Formaten aufwendige Produktionen anbieten. Dafür arbeitet die SZ bereits mit FYEO von ProSiebenSat.1 zusammen, gerade erst kamen Ankündigungen für gleich drei Formate bei Spotify hinzu. Vinzent-Vitus Leitgeb, seit Ende vergangenen Jahres Leiter des Audio-Teams der SZ, gibt im Interview Einblicke in seine Audio-Strategie, spricht über Monetarisierung, die Schwierigkeit der Reichweitenmessung und erklärt, weshalb die SZ für bezahlpflichtige Podcasts mit Audio-Plattformen zusammenarbeitet anstatt die Produktionen alleine durchzuziehen. 

Medieninsider: Die SZ produziert seit Ende 2017 regelmäßig eigene Podcasts, du bist Anfang 2018 zum Team dazugestoßen. Wie sah die Lage damals bei euch aus?

Vinzent Leitgeb: Der Start von Das Thema 2017 war der zweite Podcastversuch der SZ. Von 2007 bis 2010 hatte es die SZ schon einmal mit Podcasts und Audiomagazinen versucht. Damals waren Smartphones noch nicht so weit verbreitet. Ende 2017 gab es dann mit Das Thema anlässlich der Paradise Papers einen neuen Versuch, auch um die Recherchen anders abzubilden und den Rechercheweg transparenter zu machen. Dabei hat uns die Audioagentur Ikone Media als Partner geholfen. Später haben wir die Podcasts dann Schritt für Schritt ins Haus verlagert.

Warum habt ihr euch dazu entschieden, ohne externe Hilfe weiter zu arbeiten?

Wenn man nur ein Format hat, macht es vielleicht Sinn, die Produktion extern zu halten. Man muss nicht so viel in die Produktion und in das Studio investieren. Aber wenn von Anfang an klar ist, dass wir diesen Bereich ausbauen wollen, ergibt es schon Sinn, das Know-how reinzuholen, denn wir wollen auch möglichst viel selbst gestalten können. Zu einem späteren Zeitpunkt ist es denkbar, wieder einzelne Aufgaben nach außen zu verlagern. Zum Beispiel wenn man neue Impulse braucht, weiter wachsen oder sich in andere Richtungen entwickeln will. Aber dafür muss man erstmal wissen – so zumindest unsere Überlegung –, was wir am Ende von der Produktion wollen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir gut wachsen können.

In den USA wurden eine Reihe von Podcast-Produktionsfirmen von Medien aufgekauft. Könnt ihr euch das auch vorstellen?

Das ist zumindest keine Diskussion, die wir jetzt gerade führen. Wir sind gerade auf einem anderen Wachstumsweg, sodass wir uns eher inhaltlich weiterentwickeln oder uns erst einmal mit anderen Formaten selbstständig machen wollen.

„Wir haben bei Podcasts immer ein Zahlenproblem.“

Wie ist das Audioteam in der Redaktion der SZ verankert?

Wir sind natürlich viel im Austausch mit der ganzen Redaktion und sitzen auch in den gleichen Planungsrunden. Wir arbeiten für die Expertise auch mit ganz vielen Fachressorts zusammen. Unsere Mission ist es, die besten Geschichten und Recherchen der SZ zu erzählen. Dafür arbeiten wir mit einzelnen Redakteur:innen zusammen. Für den werktäglichen Nachrichtenpodcast Auf den Punkt sind wir an den zentralen Newsdesk angebunden. Da stimmen wir uns auch mit anderen Ressorts über mögliche inhaltliche Drehs ab oder sprechen darüber, wer gute Ansprechpartner:innen sein könnten.

Wer sind eure Hörerinnen und Hörer und wie unterscheiden sie sich gegenüber anderen Produkten der Süddeutschen Zeitung?

Eines schicke ich vorweg: Wir haben bei Podcasts immer ein Zahlenproblem. Wir glauben trotzdem sehr gut zu wissen, wer uns hört. Wir müssen uns die Daten nur über unterschiedliche Quellen zusammensuchen. Es gibt Plattformen, die mit uns ihre Zahlen teilen. Dort wissen wir sehr genau, wer uns hört. Und dann gibt es Plattformen, bei denen wissen wir es nicht so genau. Wir gleichen alle Daten aber mit Umfragen ab. Da sehen wir, dass Dreiviertel unserer Hörer:innen zwischen 20 und 35 Jahren alt sind, also jünger als das Publikum der Zeitung. Die Umfragen legen auch nahe, dass die meisten Hörer:innen in Großstädten wohnen und regelmäßig reinhören.

Die Süddeutsche Zeitung hat laut IVW knapp 250.000 Abonnenten. Wie viele Hörer hat sie?

Zu Zahlen darf ich leider nicht viel nach außen geben.

Deine Kollegin Laura Terberl hat Anfang 2019 bei Übermedien Zahlen genannt. Demnach erreichte Das Thema pro Folge 48.000 Streams und Downloads. Auf den Punkt kam auf 20.000. Was ist da die Größenordnung, in der ihr in den zwei Jahren seitdem gewachsen seid?

Wir sind seither ganz gut konstant und linear gewachsen, sagen wir es so. Bei Auf dem Punkt haben wir 2020 den Coronaboom gemerkt. Das Informationsbedürfnis war wahnsinnig hoch. Wir hatten zu der Zeit fast nur Coronathemen, weil wir alle Gesellschaftsbereiche einmal beleuchten wollten. Wir haben dann auch neue Formate eingefügt, bei denen unsere Hörer:innen Fragen an unsere Wissensredaktion stellen konnten. Das wurde intensiv gehört. Danach gab es dann ein kleines Tief, als alle nach der ersten Welle coronamüde waren. Jetzt in der zweiten Welle sind wir wieder auf dem Niveau von März. Bei Das Thema hatten wir tatsächlich einen kleinen Knick, da wir aus Ressourcengründen den Rhythmus auf alle zwei Wochen umstellen mussten.

Auf den Punkt ist für uns gerade tatsächlich der wichtigste und größte Podcast.“

Aber habt ihr mit einem Format schon die Marke von 100.000 Hörern geknackt?

Nein, pro Folge sind wir da noch nicht.

Haben sich die beiden nachrichtlichen Formate mittlerweile angenähert? Vor zwei Jahren hatte Auf den Punkt weniger als die Hälfte der Reichweite von Das Thema.

Ja, die haben sich angenähert. Auf den Punkt ist für uns gerade tatsächlich der wichtigste und größte Podcast.

Für Zeitungen gibt es die IVW, die Zahlen zur Verbreitung und Reichweite veröffentlicht. Wäre eine Podcast-IVW sinnvoll?

Ja, aber das Problem ist eben, dass man sich in der Podcastindustrie noch nicht auf eine einheitliche Metrik geeinigt hat. Deshalb sind wir auch ein bisschen zurückhaltend, was Zahlen angeht. Es gibt durchaus unterschiedliche Standards. Für uns ist zum Beispiel die Hördauer total entscheidend. Es gibt zwar Versuche, die Metriken zu standardisieren, aber da sind wir noch nicht. Wenn es soweit ist, wäre so etwas wie eine Podcast-IVW vermutlich sinnvoll.

Ist das Zahlen- und Messproblem ein Nachteil für die Vermarktung?

Ich glaube, wir müssen einfach sehr klar kommunizieren, was wir über uns wissen. Wir müssen klarstellen, was wir bieten, wie wir das messen und wie wir garantieren können, eine gewisse Reichweite zu erreichen.

Tragen sich eure Podcasts durch eure Werbeeinnahmen selbst?

Die genauen Umsätze kann ich nicht nennen. Ich glaube, es sind alle zufrieden, weil es Wachstum gab. Es gab aber auch nicht die Ansage, dass sich die Formate tragen müssen. Es gab ein klares Bekenntnis dazu, dass die Süddeutsche Zeitung als digitales Medienhaus auch einen werktäglichen Podcasts hat, und dass wir ihn auch fortführen wollen. Das gilt auch für alle anderen kostenlosen Podcasts. Es gibt niemanden, der uns auf die Finger schaut und sagt, wie viel wir umsetzen müssen.

Beim Spiegel wurden die Werbespots lange von der Redaktion selbst eingesprochen. Wie blickt ihr auf Host-Read-Werbung?

Wir hatten in den ersten sechs Folgen von Das Thema auch Host-Reads, allerdings klar abgesetzt mit anderer Musik. Dann wurde aber sehr schnell entschieden, dass wir die Werbung komplett von der Redaktion trennen – so wie in allen anderen Bereichen auch. Wir kriegen jetzt fertige Spots geliefert, bauen sie ein und das war’s. Da wir die Podcasts frei zur Verfügung stellen, ist eine Werbefinanzierung einfach naheliegend. Die Frage nach der Finanzierung muss sich jeder stellen. Es steckt einfach viel Arbeit darin.

Lange war es so, dass der Werbespot gekauft, in den Podcast eingebaut wurde und dort auch geblieben ist. Mittlerweile gibt es flexiblere Möglichkeiten, sodass die Werbung auch ausgetauscht werden kann, sobald der Rahmen der Buchung ausgeschöpft ist. Wie ist da die Entwicklung in Deutschland?

Dynamic Ad Insertion hat viele Vorteile. Gerade für Serien wie Serial, die eigentlich schon abgeschlossen sind. Durch das flexible Einsetzen können auch später aktuelle Werbespots gebucht werden. So kann ein Podcast von vor vielen Jahren immer noch Umsätze generieren. Ich glaube, damit hat die New York Times auch gerechnet, als sie Serial Productions, die Produktionsfirma hinter Serial, gekauft hat. Dynamic Ad Insertion wird auch in Deutschland kommen. Es wird dann auch nur eine Frage der Zeit sein, dass lokale Kampagnen gebucht werden können.

Spotify hat angefangen, Werbung zu personalisieren, sodass die Hörer Werbung je nach Interessen eingespielt bekommen. Wie verändert das den Podcast-Markt?

Das ist die große Frage! Spotify hat als Plattform natürlich sehr viele Nutzerdaten. Die Frage ist, inwieweit sie Werbung personalisieren.

Spotify ist für Medien ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bieten sie Publishern attraktive Einblicke in das Hörverhalten Andererseits machen sich Medien mit steigender Dominanz immer abhängiger von einem Großkonzern.

Die Frage ist, wie abhängig wir wirklich von Spotify sind oder ob wir nicht auch auf anderen Plattformen präsent sein können.

Aber war das nicht auch damals die Argumentation bei Facebook?

Ich sehe die Befürchtungen, aber es gibt im Moment auch keine Indizien, dass Spotify bestimmte Inhalte priorisieren will. Man kann natürlich sagen, dass man von einer Plattform abhängig ist. Oder man arbeitet daran, dass man jetzt auf Spotify entdeckt wird und dadurch eine Bindung zu den Hörer:innen aufbaut, sodass der Podcast dann auch ohne Spotify funktionieren kann.

Wieso hat die Süddeutsche Zeitung für ihre Audio-Dokumentationen Deutsche Abgründe und Going to Ibiza mit der Paid-Podcastapp FYEO von ProSiebenSat.1 zusammengearbeitet?

Wir haben im Jahr 2019 einfach sehr gut zusammengefunden. Das Konzept zu Deutsche Abgründe lag schon in der Schublade, FYEO war auf der Suche nach Audio-Dokumentationen und hatte großes Interesse am Thema. Die Vorteile für uns: Es gibt eine feste Vergütung pro Format, dadurch können wir aufwendig produzieren, uns über viele Monate Zeit nehmen und Sounddesigner bezahlen. Die Folgen stehen dann bei FYEO hinter der Paywall und etwas zeitversetzt bei SZ Plus.

Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Wir haben regelmäßige Termine, in denen wir uns über Inhalt, Aufbau und Fortschritt der Produktion abstimmen. Aber das meiste Inhaltliche passiert bei uns. Wir setzen die Folgen um und FYEO merkt eventuell Dinge hinsichtlich des Sounds an.

Hat FYEO ein redaktionelles Mitspracherecht?

Die Redaktion liegt bei der Süddeutschen Zeitung und FYEO liest natürlich auch schon mal in Skripte rein. Aber wir treffen die inhaltlichen Grundentscheidungen. Von uns kommen die Recherche und die Inhalte.

Wieso schafft die Süddeutsche Zeitung diese Audio-Dokumentationen nicht ohne Dritte?

Ich glaube, das ist keine Frage, die sich nur der SZ stellt, sondern die sich an alle Verlage und Medienhäuser richtet. Es kostet einfach sehr viel Geld und benötigt viel Aufwand, so lange an einem Thema zu arbeiten und zu recherchieren.

„Ein Paid-Feed ist etwas, das absolut auf unserem Plan steht.“

Es ist ja ein grundsätzlicher Trend, dass viele Medien einige ihrer Podcasts hinter die Bezahlschranken anderer Plattformen legen. Der Spiegel und der Stern haben zum Beispiel exklusive Audioformate bei Audible, der Stern hat aber auch ein Format bei Audionow und das Handelsblatt eines bei Podimo. Wieso geben so viele Medien ihre Produkte in die Hände dieser Anbieter und setzen nicht auf Paid-RSS-Feeds, bei denen die zahlenden Nutzerinnen und Nutzer eine URL bekommen, über die sie dann den Podcast in der App ihrer Wahl abonnieren können?

Ich würde nicht ausschließen, dass das nicht dazukommt. Durch die Zusammenarbeit mit den Plattformen ergibt sich die tolle Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und sich auszuprobieren. Zudem können vielleicht neue Nutzer:innen dazu gewonnen werden. Gleich auf Paid-Audio im Rahmen von SZ Plus zu setzen, wäre eine riskante Wette, bei der es unklar wäre, ob diese Form auch für uns funktioniert. Für uns hat sich damals eben die Möglichkeit ergeben, mit FYEO zusammenzuarbeiten. 

SZ Plus-Abonnenten stehen dadurch im Nachteil. Entweder sie kaufen noch ein FYEO-Abo oder sie müssen die Podcasts im Browser auf eurer Website hören.

An dem Ausspielweg auf der Website arbeiten wir noch. Wir wissen selbst, dass da noch mehr geht. Es wird aber bereits gut genutzt, auch wenn es vielleicht noch nicht der idealste Ausspielweg ist, um die Serien zu hören. Ein Paid-Feed ist etwas, das absolut auf unserem Plan steht.

Laut einer Umfrage des Reuters Institute gaben mehr als ein Drittel der Befragten in Deutschland an, dass sie wahrscheinlich für Podcasts zahlen würden – eine hohe Zahl, dafür, dass das Gros an Podcasts kostenlos ist. Überlegt ihr weitere Podcasts nur mit SZ Plus verfügbar zu machen?

Wir setzen gerade vor allem auf freie Podcasts, um Reichweite zu machen. Die Audio-Dokumentationen sind als Zusatzangebot für SZ-Plus-Kund:innen zu verstehen. Wir haben momentan nichts in Planung, bei dem wir sagen, das wird ein reines Pay-Audioprodukt.

Liegt die Zukunft für Medien im Podcast-Game eher im eigenen Vertrieb oder darin, die Produkte bei externen Anbietern wie Podimo, FYEO & Co. unter deren Konditionen zu vertreiben?

Ich glaube,  es wird eine Mischung geben. Es wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, welche Plattformen sich durchsetzen, oder ob das breite Angebot funktioniert. Vielleicht werden sich die Plattformen auch nochmal auf unterschiedliche Zielgruppen oder Themenbereiche spezialisieren. Und dann werden sich für jeden Verlag die Fragen stellen: Wo passe ich mit meinen Inhalten gut rein und was macht strategisch Sinn? Für uns werden die freien Podcast immer zentral sein. Wenn wir mit Plattformen zusammenarbeiten, muss es inhaltlichen passen.

In welchem Themenbereich wäre eine Redaktion am besten aufgehoben, wenn sie einen neuen Podcast starten will?

Das ist eine schwierige Frage, weil ich glaube, dass man in allen Segmenten noch immer Hörer:innen durch seinen eigenen Ansatz gewinnen kann. Da ist im Markt noch sehr viel Potenzial. Es gab bei uns 2018 auch die Diskussion, ob wir jetzt mit einem täglichen Nachrichtenpodcast zu spät dran sind. Es gab ja schon verschiedene solcher Formate. Unsere Zahlen beweisen, dass wir damit erfolgreich sind. Und das beweisen, glaube ich, auch die Zahlen der FAZ, die noch später gestartet ist. Entscheidend ist die Machart, die Ansprache gegenüber den Hörer:innen und dass man weiß, welche Zielgruppe man erreichen will. Man würde wahrscheinlich auch mit dem sehr übersättigten Format True Crime viele Hörer:innen erreichen, wenn man die Fälle anders erzählt.


Das Interview ist ein Auszug aus dem Medien-Podcast Unter Zwei von Levin Kubeth. In der Audiofassung spricht Vinzent Leitgeb auch darüber, wie die SZ in ihren Podcasts Themen setzt, wie sie das Publikum anspricht und darüber, ob Audio-Drop-In Angebote wie Clubhouse die Podcastbranche verändern werden. Den Podcast gibt es bei Apple Podcast, Spotify und bei allen gängigen Anbietern.

Das Interview wurde geführt, bevor SZ und Spotify ihre neue Kooperation bekannt gegeben haben.

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Levin Kubeth
Levin Kubeth
Levin ist freier Journalist. Er produziert den Medienpodcast Unter Zwei und gründete das Podcastressort beim Campusradio Radioaktiv. In Mannheim studiert er Politikwissenschaft.

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