Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat bei RTL Deutschland die Führung übernommen, um Entwicklung und Erfolg des Zukunftsprojekts RTL+ sicherzustellen. Mit erratischen Aussagen zur Ausrichtung der Digitalstrategie und intern weiter anders lautenden Zielen stiftet er jedoch nicht nur Verwirrung, sondern schürt Frustration. Ein Blick hinter die Kulissen.
Im Laufe des Frühlings wird Eva Messerschmidt die Leitung der Unternehmenskommunikation von RTL Deutschland übernehmen. Mitte November des vergangenen Jahres stellte sie ihre Qualitäten als designierte PR-Chefin auf besondere Art und Weise unter Beweis. Der Anlass: CEO Thomas Rabe – beziehungsweise Aussagen von ihm, die durch Medieninsider öffentlich wurden.
Rabe hatte der Belegschaft des Stern am Standort in Hamburg erklärt, die bisherige Digitalstrategie über den Haufen zu werfen. Dabei rechnete er auch mit der „One App, all Media“-Strategie ab, die alle Aktivitäten aus dem Bertelsmann-Kosmos bündeln sollte. Wörtlich sagte er:
„Ich glaube nicht, dass wir am Ende ein Produkt im Sinne von einer App haben werden. Ich glaube, das überfordert den Nutzer. Das ist dann die Super-App, die alles kann, aber niemand will.“
Und:
„Vielleicht war es ein Fehler in der Vergangenheit sehr auf RTL+ zu setzen und zu glauben, dass RTL+ auch Teil der Transformationsgeschichte von Gruner ist.“
Die Aussagen hatten es in sich. Rabe hatte den gebeutelten Print-Kollegen aus dem Hause Gruner + Jahr damit eine Zukunft in Aussicht gestellt, in der sie nicht komplett hinter der Marke RTL verschwinden würden. Er hatte ihnen damit den Glauben vermittelt, dass die digitalen Verlagsmarken aus eigener Kraft heraus ein nachhaltiges Geschäftsmodell finden könnten. Schon an den Wortbeiträgen einiger Redaktionsmitglieder konnte man erkennen: Aus Rabes Worten schöpfte man Hoffnung.
In Köln-Deutz wusste man davon: nichts.
Seit Monaten arbeitet man dort an der „Multi-Purpose-App“, wie sie intern heißt. Es ist ein Mammutprojekt, an dem über 100 Produktentwickler und Programmierer beteiligt sind. Ihr Ziel: Filme, Serien, Musik, Radio und Inhalte der Gruner-Magazine in einer App zu bündeln. Praktisch, anschaulich, intuitiv. Damit soll die App besser werden als die bisherigen Produkte. Man hatte sich vorgenommen, etwas zu bauen, das es so noch nicht gibt. RTL+ gilt als essentieller Teil der Rabe-Strategie, einen „nationalen Champion“ zu formen, einen, der Netflix, Amazon und Co. etwas entgegensetzen kann. Soweit zumindest die Theorie – und damit zurück zur designierten Kommunikationschefin Messerschmidt:
Wie groß die Überraschung über Rabes Rolle rückwärts war, zeigt auch ihre Krisenkommunikation. Unmittelbar nach Bekanntwerden von Rabes Aussagen bezeichnete sie die Abkehr von der Multi-Purpose-App in einer Mail an Mitarbeiter als „totalen Quatsch“. Man habe noch wenige Stunden zuvor mit Rabe und der Unternehmensberatung McKinsey zusammengesessen und „genau das Gegenteil verabschiedet“. Zur Berichterstattung schrieb sie: „Das ist alles frei erfunden.“ Um sich nicht irritieren zu lassen, sollte man die Berichterstattung im besten Falle „ignorieren“.
Mit dieser Empfehlung setzte die zukünftige Kommunikationschefin dort an, wo Vorgänger aufgehört haben. Die Worte ihres eigenen Chefs zu dementieren und Berichterstattung zu diskreditieren, zeugen allerdings von besonderer Qualität – und legen offen, wie groß das Kommunikationsdesaster auch intern ist. Denn Rabes Aussagen sind belegt.
In den entsprechenden Bereichen bei RTL sind Verunsicherung wie Verärgerung groß. Während man in Hamburg nun versucht, dem digitalen Stern wieder Leben einzuhauchen und an eigenen Paid-Content-Strategien arbeitet, ist man in Köln derzeit eher orientierungslos. Rabe selbst hat seine Äußerungen aus Hamburg bislang nicht weiter erklärt. Von ihm persönlich gibt es keine Ansage.
„RIP Magazines“
Im All-Hands-Meeting nach Messerschmidts Mail beteuerten sie und die anderen Verantwortlichen für RTL+ zwar, dass sich an den Plänen nichts geändert habe und Multi-Purpose-App mit all ihren Funktionen und damit auch den Inhalten der Gruner-Marken weiterhin das Ziel sei. Allerdings sagen die aktuellen Planungen nach Recherchen von Medieninsider etwas anderes.
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