Der Abgang von Bastian Obermayer und Frederik Obermaier ist der vorläufige Höhepunkt einer nunmehr seit drei Jahren anhaltenden Krise bei der Süddeutschen Zeitung. Das Qualitätsmedium verliert namhafte Journalisten. Der Grund: Die allgemeine Unzufriedenheit in der Belegschaft wird größer statt kleiner. Das liegt nicht nur am vor einiger Zeit verabschiedeten Sparprogramm.
Mangelndes Rückgrat gegenüber dem Verlag, Kommunikationsprobleme in den eigenen Reihen, Strukturkonservatismus: Die Chefredakteure Wolfang Krach und Judith Wittwer (Foto) stehen vor selbst gemachten Herausforderungen.
Am Freitag, den 11. März, war für die Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung eine dieser Redaktionskonferenzen, an die man große Erwartungen hatte. Man dachte, es würde Erklärungen geben. Zwei Tage vorher hatte ein Großteil der Belegschaft aus den Medien erfahren, dass zwei ihrer prominentesten Journalisten, die investigativen Aushängeschilder Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die SZ verlassen (Medieninsider berichtete zuerst).
Es wurde schließlich eine dieser Konferenzen, nach denen man nicht wirklich schlauer war als vorher. Obermayer und Obermaier verlautbarten, ohne Gram zu gehen. Man wolle einfach etwas Neues probieren. Doch geht man, wenn man rundum zufrieden ist? Nicht jeder glaubt das. So oder so: Der Abgang der Journalisten wiegt schwer. Ob Panama Papers, Paradise Papers oder zuletzt die Suisse Secrets: Es sind Obermaier und Obermayer, die für die großen Recherchen der jüngeren Geschichte stehen. Sie werden sie zukünftig in ihrem eigenen Start-up Papertrail Media umsetzen, mit dem Spiegel als Partner.
Chefredakteur Wolfgang Krach erklärte jedenfalls, es habe die Investigation bereits vor Obermayer und Obermaier gegeben, es werde sie auch weiterhin geben. Wie und mit wem, führte er nicht näher aus. Die Leitung übernommen hat laut Impressum Ralf Wiegand.
Danach erhielten die SZ-Redakteure die nächste Hiobsbotschaft, über die schon einige Tage spekuliert worden war. Nico Fried wird in den kommenden Monaten die Leitung der Parlamentsredaktion abgeben. Dass Fried, der das Berlin-Büro bereits seit 2007 leitet, den Job nicht mehr lang machen würde, war absehbar. Der Journalist hätte aber gerne noch einige Zeit weitergemacht, heißt es.
Aderlass bei der SZ: Hochkaräter verlassen die Redaktion
In der Redaktion jedenfalls war man von dieser weiteren Personalie überrascht. Gerade erst hat das Parlamentsbüro auch Vize Cerstin Gammelin verloren und damit nicht nur eine in Berlin bestens vernetzte Journalistin, sondern eine der wenigen SZ-Stimmen, die Politik auch mal als Gast in den großen Talkshows erklärte. Zudem war Gammelin mit dem Regierungswechsel gerade erst mit der Berichterstattung über den neuen Kanzler Scholz betraut worden.
Die Personalie reiht sich ein in eine Vielzahl von Abgängen in den vergangenen Wochen und Monaten, mit denen die SZ versierte Journalisten verloren hat:
► So ging vor einem Jahr Stefan Ulrich, der zuletzt das Meinungsressort leitete, zuvor Korrespondent in Paris und Rom war. Ulrich wird als Experte für den Vatikan und Italien hoch geschätzt.
► Als großer Verlust wird auch der zeitgleiche Abgang von Matthias Drobinski gewertet. Der Journalist war über 20 Jahre für die SZ tätig, schrieb für sie als Experte für Kirchen- und Religionsthemen.
► Im Herbst vergangenen Jahres war Schluss für Leo Klimm, der schon seit 2011 aus Paris berichtet und das ab 2015 für die Süddeutsche tat. Klimm, sagen Kollegen, sei einer der wenigen deutschen Journalisten mit Zugang zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, den er bereits zu dessen Zeit als Investmentbanker kennenlernte.
► Zur gleichen Zeit verabschiedete sich auch Österreich-Experte Oliver Das Gupta, der als Teil des Investigativteams an den Recherchen zur Ibiza-Affäre beteiligt war.
► Vorvergangene Woche wurde bekannt, dass Christoph Giesen die Zeitung verlassen hat. Er berichtete seit 2016 für die SZ aus Peking.
► Ende vergangener Woche dann der nächste Abgang: New-York-Korrespondent Thorsten Denkler verlässt die Tageszeitung ebenfalls. 20 Jahre berichtete er für die SZ. Während seiner Zeit als Berichterstatter im politischen Berlin tippte er bei Terminen bereits in den Laptop, während andere noch in den Block kritzelten.
► Noch nicht offiziell, nach Medieninsider-Infos aber ausgemachte Sache: In einigen Wochen geht auch die zweite Frankreich-Korrespondentin, Nadia Pantel. Bleiben sollte sie eigentlich bis Mitte 2023. Immerhin: Den derzeit stattfindenden Wahlkampf und die darauffolgenden Wochen wird sie noch begleiten.
Der publizistische Schwund der SZ führt fatalerweise zur Stärkung des Wettbewerbs. Die Zeitung musste abbauen, während andere überregionale Häuser die größten Sparanstrengungen überwunden haben und wieder investieren. Der Braindrain findet vor allem in Richtung Spiegel statt, der gleich mehrere der versierten Journalisten weiter beschäftigt (Obermaier, Obermayer, Giesen, Klimm, Das Gupta, Pantel). Und auch an Parlamentschef Nico Fried baggert das Nachrichtenmagazin, wie die Hauptstadtjournalisten von The Pioneer andeuten.
Den Personalien gingen eine Reihe weiterer Abgängen kompetenter Kollegen vorweg, besonders 2020 und Anfang 2021 verlor die SZ an vielen Stellen Digital- und Nachrichtenkompetenz. Auffällig und gleichermaßen bezeichnend: Damals gingen innerhalb kurzer Zeit besonders viele Frauen.
Die aktuelle Entwicklung ist der vorläufige Höhepunkt einer seit drei Jahren anhaltenden Krise. Begonnen mit Unruhen und Grabenkämpfen zwischen Print und Online mit einem öffentlichkeitswirksamen Machtkampf, den die damalige Online-Chefin Julia Bönisch verlor, über Transformationsstrapazen bis hin zum anhaltenden Exodus.
Auch wenn die jüngsten Abgänge nicht auf das 2020 verordnete Sparprogramm zurückzuführen seien, wie die Chefredaktion der SZ auf Anfrage erklärt, so sind zumindest indirekte Zusammenhänge nicht völlig von der Hand zu weisen. Zur Erinnerung: Im Herbst 2020 musste die SZ 50 redaktionelle Stellen abbauen (etwa zehn Prozent). Dieser Einschnitt hat die SZ verändert.
In der Redaktion wird darüber gestritten, ob das Ziel nicht längst übererfüllt sei. Überhaupt wird darüber geklagt, dass der Personalabbau noch mal höher ausfällt, wenn man die vergangenen Jahre betrachtet. Im Herbst vergangenen Jahres stritten Betriebsrat und Chefredaktion über die Zahlen.
Während sich die Chefredaktion auf die zehn Prozent seit Beginn des Sparprogramms zurückzieht, verweist der Betriebsrat auf einen Schwund von 15 bis 20 Prozent, wenn man das gesamte Jahr 2020 einbezieht. Genaue Angaben fielen den Arbeitnehmervertretern schwer, weil der Verlag keine genauen Zahlen teile. Medieninsider liegt die Mail des Betriebsrats über das „Verwirrspiel“ der SZ vor. Gegenüber Medieninsider nennt die Chefredaktion eine Reihe von Zugängen, mit denen man sich redaktionell verstärken werde:
► Mit Marie-Louise Timcke habe man im Januar eine neue Leiterin für den Datenjournalismus der SZ bestellt. Sie kam von der Berliner Morgenpost. Ab Mai werden Oliver Schnuck vom Bayerischen Rundfunk und die Datenjournalistin Natalie Sablowski das Team ergänzen.
► Die Nachfolge von Peking-Korrespondent Giesen wird Florian Müller antreten – derzeit als Nachtredakteur des deutschen Diensts für die AFP in Hongkong.
► Ebenso werden Nils Minkmar, seit seinem Ausscheiden beim Spiegel frei unterwegs, sowie Nele Pollatschek fürs Feuilleton genannt.
► Darüber hinaus führt die Chefredaktion eine Reihe von ehemaligen Pauschalisten und Volontären, die nun fest für die Süddeutsche arbeiteten.
Damit reagiert die Chefredaktion quantitativ auf den Abgang vieler Kollegen, qualitativ liegen viele Baustellen allerdings noch offen. Auch andere Probleme löst das nicht.
Stimmung nahe dem Nullpunkt
Die Stimmung innerhalb der Süddeutschen ist am Boden. Wie sehr, das haben die Verantwortlichen der SZ schwarz auf weiß. Anfang vergangenen Jahres stellten Verlags- und Redaktionsführung eine Mitarbeiterumfrage vor. Sie beschreibt das Dilemma, in dem das Haus steckt:
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