Seit September informiert das Bundesgesundheitsministerium mit dem Nationalen Gesundheitsportal die Bevölkerung direkt über Krankheiten und Symptome. Damit will der Bund, so die erklärte Absicht, Falschinformationen und Verschwörungstheorien aktiv etwas entgegensetzen. Nun wird das Angebot von der reichweitenstarken Suchmaschine Google unterstützt. Verlage sind über die staatliche Konkurrenz empört. Ist die Kooperation rechtens? Und darf das Gesundheitsportal in seiner Form überhaupt bestehen? Eine Übersicht.
Bei der Vorstellung des Nationalen Gesundheitsportals vor einigen Wochen sprach Jens Spahn wie ein ambitionierter Verlagsmanager. Das neue Informationsangebot solle Anlaufstelle Nummer 1 bei Google werden.
„Wer Gesundheit googelt, soll künftig zuerst bei uns landen.“
Auf Worte sollten Taten folgen. Zweieinhalb Monate nach der Ansage ist Spahns Gesundheitsportal zwar nicht beim Stichwort Gesundheit sofort aufzufinden. Dafür aber bei zunächst etwa 160 mit Gesundheit verwandten Begriffen, allen voran Krankheiten. Wer Migräne, Grippe oder Mandelentzündung googelt, kommt an gesund.bund.de nicht mehr vorbei.
Das liegt vor allem an einer neuen Kooperation mit Google, die der US-Konzern und das Ministerium in dieser Woche vorgestellt haben. Dafür greift sich Google die Informationen des Gesundheitsportals und weist sie direkt in den Ergebnissen seiner Suchmaschine aus. Dargestellt werden sie als Knowledge Panels, die über Krankheitsbild, Symptome und Behandlung aufklären. Direkt unter dem Panel für weiterführende Informationen verlinkt: gesund.bund.de.
Kooperation zwischen Staat und Google: Verlage sind empört
Ziel des Gesundheitsportals, das bereits vor Spahns Amtszeit als Gesundheitsminister geplant und beauftragt worden war, sei es, den „wildesten Theorien zu bestimmten Medikamenten, Impfungen oder heilkundlichen Verfahren“ etwas entgegenzusetzen. Vier Millionen Euro pro Jahr will das Ministerium dafür im Schnitt ausgeben. Der Staat im Kampf gegen Desinformationen und Verschwörungstheorien. Ein ehrenwertes Ziel – doch wird es erreicht?
Mit dem Schritt, bei den Google-Suchergebnissen an vorderster Stelle aufzutauchen, tritt das Gesundheitsportal zunächst einmal in den direkten Aufmerksamkeitswettbewerb mit Angeboten privater Medienhäuser. Ohnehin gleicht das Portal im Aufbau und der inhaltlichen Ausgestaltung Angeboten wie der Apotheken Umschau oder Netdoktor. Den Verlagen, in denen es zum Start des Portals im September (Medieninsider berichtete) noch verhalten zuging, passt das spätestens seit dieser Woche gar nicht. Die Empörung ist groß. Allen voran beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger:
„Die Kooperation des Gesundheitsministeriums mit Google versetzt der freien journalistischen Gesundheitsinformation einen schweren Schlag und ist nicht zu tolerieren.“
Auch aus den betroffenen Verlagen wird die Kritik laut.
Dennis Ballwieser, Geschäftsführer des Wort & Bild Verlags, der die Apotheken Umschau herausbringt:
„Niemand käme auf die Idee, in der Google-Suchergebnisliste bei Politikthemen das Angebot des Bundespresseamtes dem von Verlagen vorzuziehen.“
Jens Richter, Chefredakteur und COO des Burda-Portals Netdoktor:
„Die bedingungslose Bevorzugung der staatlichen Inhalte in den Google-Suchergebnissen greift auch dann, wenn sie weniger umfassend als die der objektiven privaten Anbieter oder sogar politisch motiviert sind. Der vermeintlich faire Google-Algorithmus wird an dieser Stelle außer Kraft und der private Markt der Informationen außer Gefecht gesetzt.“
Google-Kooperation ruft auch Landesmedienanstalt auf den Plan
Die Kooperation zwischen Staat und Google ruft nicht nur die Medien auf den Plan, die sich politisch wie auch wirtschaftlich attackiert fühlen, sondern auch die entsprechenden Aufsichtsbehörden. So informierte die Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein, die Einleitung eines Verfahrens gegen Google zu prüfen. Man wolle nun dem Anfangsverdacht nachgehen, ob mit der Kooperation eine „Diskriminierung journalistisch-redaktioneller Angebote“ vorliege.
Dabei geht es um die Frage, ob Google das Angebot des Gesundheitsministeriums tatsächlich durch einen aktiven Eingriff priorisiert ausspielt. Google selbst betonte in einem Blog-Posting, dass Knowledge Panel „prominent durch einen Kasten auf der Ergebnisseite hervorgehoben“ werden.
Laut Medienstaatsvertrag, der seit dieser Woche offiziell in Kraft ist, ist eine Bevorzugung nicht erlaubt. Bevor es zu einem offiziellen Verfahren kommt, dürfte Google zunächst von der Landesmedienanstalt angeschrieben werden, um das Vorgehen genauer zu erläutern. Wie Google sein Vorgehen erklärt und auf die Kritik reagiert, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht beantworten, verwies lediglich auf einen weiteren Blog-Eintrag mit Beispielen für Knowledge Panels aus anderen Bereichen.
Kritik: Gesundheitsministerium stützt Googles Geschäftsmodell
An der Stelle, wie priorisiert und prominent die Ergebnisse des Gesundheitsministeriums präsentiert werden, dürfte gestritten werden. In der Desktop-Variante der Google-Suche werden die Informationen des Gesundheitsportals nicht direkt in den Suchergebnissen präsentiert, sondern rechts am Rand.
In der mobilen Variante, dessen Anteil am Suchtraffic stetig steigt, sieht das anders. Hier ist das Knowledge Panel erstes, prominentes Ergebnis. Nur bezahlte Anzeigen spielt Google vorher aus.
Netdoktor-Chef Jens Richter übt hier weitere Kritik. Das Gesundheitsministerium fördere das Geschäftsmodell von Google. Es trage dazu bei, dass Nutzer die Suchmaschine nicht mehr verlassen müssten, die über dem Panel angezeigten Anzeigen würden durch die Darstellung noch gefragter. „Der Wert dieser Google-Anzeigenplätze hat sich damit über Nacht vervielfacht – mit freundlicher Unterstützung des Bundesgesundheitsministers.“
Und:
„Eine Verlagerung von digitalen Werbebudgets zu Google AdWords wird die Folge sein, weil Werbungtreibende grundsätzlich dem Verhalten der Nutzer folgen. Der Steuerzahler bezahlt also Inhalte, die im Anschluss hochlukrativ von Google monetarisiert werden.“
Beim Gesundheitsministerium will man aller Kritik nicht folgen – oder kann es nicht. Ein Sprecher erklärt:
„Die eigentlichen Suchergebnisse werden dadurch in keiner Weise beeinträchtigt. Vielmehr spielt Google – wie auch in anderen Themengebieten – nur sogenannte Knowledge Panels aus. Darin ist der Hinweis auf das Gesundheitsportal des Bundes gesund.bund.de integriert. Dieses Portal wird anders als andere Gesundheitsportale nicht durch Werbung finanziert, sondern basiert ausschließlich auf wissenschaftlicher Expertise. Diese fachlich fundierte Information zu Gesundheitsthemen einfacher zugänglich zu machen, ist Sinn der Kooperation mit Google.“
Nationales Gesundheitsportal: Darf der Staat das überhaupt?
Hinter der aktuellen Diskussion liegt derweil noch eine weitere Frage. Hat das Nationale Gesundheitsportal an sich überhaupt eine Daseinsberechtigung?
Dabei geht es vor allem darum, ob es sich bei den Aktivitäten noch um berechtigte Öffentlichkeitsarbeit handelt oder schon um ein mediales und redaktionelles Angebot. Eigene Medien zu betreiben ist dem Staat – mit Ausnahme der Deutschen Welle – nicht erlaubt. Informationen im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit bereitzustellen schon. Handelt es sich beim Gesundheitsportal noch um so etwas wie eine digitalisierte Infobroschüre oder schon um ein redaktionelles Produkt? Auf der Seite von gesund.bund.de finden sich nur Symptom- und Krankheitsbeschreibungen, sondern auch aufbereitete Inhalte zu den Themen Ernährung und Bewegung.
Auch Thomas Fuchs, Direktor der Landesmedienanstalt in Hamburg fragt: Und: „Gibt es wirklich ein besonderes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu Migräne und Bandscheibenvorfall, das bisher nicht abgedeckt wurde?“
Landesmedienanstalt fühlt sich nicht mehr zuständig
Nachgehen kann er der Frage in seiner Rolle als Leiter der Aufsichtsbehörde nicht. Während die Google-Kooperation in seine Zuständigkeit fällt, gilt das für alleinige Aktivitäten des Gesundheitsministeriums nicht. Doch auch die Landesmedienanstalt Berlin Brandenburg sieht sich in der Sache keine Möglichkeit einzugreifen. Nach neuem Medienstaatsvertrag sei man für Angebote wie das Gesundheitsportal nicht zuständig, teilt man mit. Hier falle die Kontrolle in den Aufgabenbereich des Parlaments. Kontrolliert wird das mehrheitlich von den Regierungsparteien SPD und CDU, die das Portal lanciert haben.
In der Opposition ist das Gesundheitsportal hingegen bislang kaum Thema. Aus den Büros der medienpolitischen Sprecher von Linke und Grüne war innerhalb von 24 Stunden keine Stellungnahme zu erhalten. In einem der beiden Büros entstand der Eindruck, als habe man sich mit den Aktivitäten im Gesundheitsministerium bislang noch gar nicht befasst.
Eine Stellungnahme verfasste der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Thomas Hacker. „Die marktbeherrschende Stellung von Google stellt für einen breiten Zugang der Bevölkerung zu seriösen Gesundheitsinformationen natürlich einen Vorteil dar, der aber zulasten privater Portale geht, die viel in ihre medizinische Expertise investiert haben“, sagt er.
„Insbesondere die Kritik der Verlage an der Bereitstellung eines eigenen Gesundheitsportals mit umfassender Redaktion ist berechtigt – hier muss man sich fragen: Was ist zentrale Aufgabe eines Gesundheitsministeriums?“
Darüber hinaus wolle man nun der Frage nachgehen, welche Vereinbarungen der Kooperation zwischen Google und dem Gesundheitsministerium noch zugrunde liegen, vor allem finanziell.
Klarheit in die Sache bringen können letztlich offenbar nur Gerichte. Die Option, das machte der Wort&Bild-Verlag zuletzt deutlich, halte man sich offen.
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