Das Oberlandesgericht Hamburg hat den zuletzt verbotenen Spiegel-Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ über den ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt wieder zur Veröffentlichung zugelassen. Es ist die mittlerweile dritte Entscheidung in diesem Verfahren – worum es in dem Streit geht, welche Fragen offen bleiben und wie es weitergehen könnte.
Das Timing könnte manchmal unpassender kaum sein. Während Julian Reichelt am Sonntagabend im TV-Programm von Servus TV noch davon sprach, dass die Überschrift der Spiegel-Berichterstattung aus März vergangenen Jahres gerichtlich verboten worden sei, sieht die Welt am Tag darauf schon wieder anders aus.
Der Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ ist seit dieser Woche wieder online, inklusive Headline. Das Oberlandesgericht Hamburg hat die jüngste Entscheidung der Vorinstanz, den Artikel zu depublizieren, widerrufen. Medieninsider rollt den Fall noch einmal auf klärt die wichtigsten Fragen.
Worum es beim Streit zwischen Reichelt und dem Spiegel geht
Reichelt war gegen die Berichterstattung des Spiegel vom März 2021 gerichtlich vorgegangen. Für den Artikel befassten sich vier Autoren des Nachrichtenmagazins mit dem „System Reichelt“ und zeichneten auch auf Basis von Zitaten anonymer Quellen ein Stimmungsbild in der Redaktion Deutschlands größter Boulevardzeitung.
Zuvor wurde bekannt, dass der Axel-Springer-Konzern interne Ermittlungen gegen den damals noch amtierenden Chefredakteur eingeleitet hatte. Der Vorwurf: Reichelt soll vor allem gegenüber jungen Frauen seine Machtposition missbraucht haben.
Reichelt, der in jüngerer Vergangenheit mehrfach betonte, sich keiner Schuld bewusst zu sein, ging gegen die Berichterstattung vor, betrachtete sie aus unterschiedlichen Gründen als unzulässig.
Wie Reichelt eine einstweilige Verfügung durchsetzte
Durchsetzen konnte er sich schließlich mit einem speziellen Argument: Das Nachrichtenmagazin habe ihm keine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, so die Kammer. Diese hätte ihm ermöglicht, das vom Spiegel vermittelte Bild noch einmal zu beeinflussen.
Zwar hatten die Reporter den Springer-Konzern zuvor konfrontiert. Reichelt aber erklärte, ihn betreffende Fragen nie weitergeleitet bekommen zu haben. Um seine Aussage zu untermauern, schöpfte er die möglichen Rechtsmittel aus und gab eine eidesstattliche Versicherung ab.
Weshalb der Artikel trotz Rechtsspruch zugunsten Reichelts zunächst online blieb
Reichelt bekam Recht, trotzdem entschied der Spiegel seine Veröffentlichung weiterhin online zu belassen. Der Grund: Das Landgericht untersagte zwar die Weiterverbreitung des Artikels in bisheriger Form. Der Spiegel aber ergänzte seinen Text um die Stellungnahme Reichelts, die er in seiner eidesstattlichen Versicherung abgegeben hatte – ein Zug, den sich Reichelt nicht gefallen ließ.
Über die Kanzlei des bekannten Medienanwalts Matthias Prinz beantragte Reichelt so genannte Ordnungsmittel. Dieselbe Kammer am Landgericht sollte überprüfen, ob die einstweilige Verfügung im Sinne der Richter umgesetzt worden war.
Wie sich sich Reichelt weiter durchsetzte
Nach einer ungewöhnlich langen Periode von sechs Monaten entschied die Pressekammer des Landgerichts im November vergangenen Jahres: Der Spiegel hat gegen die Verfügung des Gerichts verstoßen. Die Ergänzungen seien nicht ausreichend. Der Artikel musste offline genommen werden.
Die Entscheidung des Gerichts ließ offenbar auch so lange auf sich warten, weil sich in der Zwischenzeit die Besetzung der Kammer geändert und ein neuer Richter den Vorsitz übernommen hatte. Dieses Detail wird an anderer Stelle noch einmal wichtig.
Die Kammer in neuer Besetzung erklärte, dass die „ergänzten Passagen wertungsmäßig“ seien und es keinen „relevanten Unterschied zu den mit der einstweiligen Verfügung untersagten Berichterstattungen“ gäbe.
Es werde „weitgehend unverändert wegen des Verdachts des Fehlverhaltens gegenüber Frauen, des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen berichtet“.
Mit anderen Worten: Das Gericht stellte fest, dass die ergänzte Stellungnahme zu keiner anderen Betrachtungsweise geführt hat.
Weshalb der Artikel nun wieder zugelassen wurde
Gegen die erneute Entscheidung legte nun der Spiegel Beschwerde ein, der Fall ging in die nächste Instanz am Oberlandesgericht. Im dort zuständigen Senat sitzt nun die zuvor am Landgericht zuständige Richterin, die die erste Entscheidung im Fall Reichelt gegen Spiegel getroffen hatte. Sie entschied nun: Der Spiegel hatte sie mit seiner ergänzenden Berichterstattung richtig verstanden.
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