Axel Springer hat Julian Reichelt als Chefredakteur von Bild entlassen. Der Grund: Nach Recherchen und Anfragen von Journalisten habe sich herausgestellt, dass Reichelt weiterhin Privates und Berufliches miteinander vermische. Damit mag ein Problem augenscheinlich gelöst sein. In Wahrheit gibt es längst viel mehr. Denn der Schaden für Springer geht mittlerweile über Bild und Deutschland hinaus.
In der Redaktion von Bild sei es am heutigen Montag so geräuschlos zugegangen wie schon lange nicht mehr. Mitarbeiter berichten, manche Kollegen seien quasi in eine Schockstarre verfallen. Selbst im internen Slack-Kanal war alles auffällig ruhig. Nicht erst mit Abwesenheit von Julian Reichelt in der großen Morgenkonferenz dachten einige: Es passiert noch etwas.
Der am Vorabend in der New York Times erschienene Artikel war nicht einfach der nächste Aufschrei gegen Bild, nicht einfach wieder ein Medienbericht. Er war der Zünder einer tickenden Zeitbombe, die pünktlich zum Feierabend explodierte. Um 18.00 Uhr informierte Axel Springer seine Mitarbeiter per Mail und gleichzeitig mit der Öffentlichkeit:
„Nach neuen Erkenntnissen: Axel Springer entbindet Julian Reichelt von seinen Aufgaben“
Julian Reichelt ist nicht mehr Chefredakteur der Bild-Zeitung, er wird durch den boulevard-unerfahrenen Johannes Boie ersetzt. Der Grund: Trotz nachgewiesenen Fehlverhaltens und dem aufreibenden Compliance-Verfahren im Sommer habe er weiterhin berufliche und private Angelegenheiten miteinander vermengt. Erfahren habe der Vorstand davon erst durch Medienanfragen, Reichelt selbst habe die „Unwahrheit“ gesagt, so der Verlag.
Neben der New York Times recherchierte auch eine Reporterin der ins Ippen-Netzwerk aufgegangenen BuzzFeed-Redaktion. Das Ergebnis ihrer monatelangen Arbeit ist mittlerweile beim Spiegel erschienen – weil ihre von Verleger Dirk Ippen zurückgehalten wurde.
Aus Döpfners Bewährungs- ist eine Zerreißprobe geworden
Dass Julian Reichelt nun offenbar Mangels Einsicht und wegen seiner Unbelehrbarkeit fliegt, ist erst einmal eines: bitter nötig. Es ist vor allem aber auch: viel zu spät. CEO Mathias Döpfner hat nicht erst reagiert, als der Druck zu groß wurde, sondern die Situation eskaliert ist. Das Ergebnis: Der Schaden für den Konzern ist immens.
Aus Döpfners Bewährungsprobe im Fall Julian Reichelt ist eine Zerreißprobe geworden, die über den Chefredakteur hinaus anhalten wird. Womit wir wieder beim Bericht der New York Times sind.
Nach der Veröffentlichung am Wochenende steht mehr auf dem Spiel als das ramponierte Image einer Boulevardzeitung, die Skandale nicht nur auf der Titelseite produziert. Spätestens jetzt geht es um die internationale Reputation des Konzerns, der mit dem Kauf von Politico gerade erst seine globalen Ambitionen untermauert hat.
NYT-Autor Ben Smith lieferte in seinem mehr als 16.000 Zeichen langen Text eine Fülle an pikanten Details, Anspielungen und Aneinanderreihungen, die den Druck auf Axel Springer und CEO Mathias Döpfner erhöhen. Ausgerechnet im Wachstumsmarkt USA, dessen Türen vor allem der dort beheimatete Großinvestor KKR geöffnet hat, entsteht nun ein für den Konzern verheerendes Sittenbild.
Bild eines Irrenhauses
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