Geplante Presseförderung könnte Fehlanreize setzen

Aus einem Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums geht hervor, wie der Staat die geplante Presseförderung von insgesamt 220 Millionen Euro verteilen könnte – profitieren sollen demnach Häuser mit gedruckten Abo-Titeln und Anzeigenblättern. Christopher Buschow greift das zu kurz. Der Medienwissenschaftler und Innovationsforscher sagt: Die erstmals direkte Förderung privater Medien sei eine Chance, Transformation und Innovation im Journalismus vollumfänglich voranzutreiben. Stattdessen blieben wichtige Akteure außerhalb der klassischen Verlage außen vor. Im Interview erklärt er, weshalb er die Pläne kritisch sieht und wie er sich Medien- und Innovationsförderung vorstellt.

Medieninsider: Herr Buschow, es gibt neue Details zur Verteilung der 220 Millionen Euro, die in den kommenden Jahren als Förderung an die deutsche Presselandschaft verteilt werden sollen. Fließen soll das Geld an Abonnementzeitungen (zu 59 Prozent), -zeitschriften (zu 11 Prozent) und Anzeigenblätter (zu 30 Prozent). Die Höhe wird gekoppelt an die physisch zugestellte Auflage. Ist das ein nachvollziehbarer Verteilungsschlüssel?
Christopher Buschow:
Dass eine Digitalisierungsförderung an Print-Auflagen geknüpft wird, ist schon irritierend. Die Verteilung erfolgt offenbar nach dem Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Denn hohe Auflagen bedeuten in der Regel ja noch gutes Geschäft. Wir kennen das aus dem Ausland, können aber nicht davon reden, dass sich solche Verfahren dort als besonders erfolgreich erwiesen hätten – zumindest nicht mit Blick auf die eigentlich erstrebenswerten Ziele.

Die da wären?
Ich würde von einer öffentlichen Förderung mindestens zwei Dinge erwarten. Erstens: Dass sie die für unsere Demokratie entscheidende Qualität im Journalismus unterstützt. Zweitens: Dass der Staat gezielt Innovationen fördert. Es geht darum, Unternehmen nicht dauerhaft an den Tropf des Staates zu hängen, sondern neuen Projekten den Anschub zu finanzieren, damit sie auf Grundlage dessen schlussendlich auf eigenen Beinen stehen können. Beides darf man von einer Förderung, wie sie nach derzeitigem Kenntnisstand vorgeschlagen wird, nicht erwarten. Das jetzige Förderkonzept geht anscheinend den Weg des geringsten Widerstands: Jeder bekommt einen Schluck aus der staatlichen Pulle und es gibt keine komplexe Diskussionen um Abgrenzung oder Kriterien. Das einzige weitere Kriterium, das ich hier sehe, ist, dass nur Titel mit mindestens 30 Prozent redaktionellen Inhalt bezuschusst werden. Das ist im Übrigen recht wenig. 

Die Idee ist, jene Verlage zu begünstigen, die hohe Aufwendungen für den Vertrieb und deshalb wenig Geld für die Digitalisierung haben. Das unterstreicht die Verteilung an Abo- und Anzeigenblätter, nicht an Medien, die am Kiosk stark sind wie beispielsweise Bild.
Das Prinzip ist dem der im April beschlossenen Corona-Sonderförderung für Medien in Österreich ähnlich. Die Koppelung an die Auflage hilft dabei, das schwierige Printgeschäft weiter betreiben zu können. Daran mag es auch zurecht großes Interesse geben. Es sind ja aber ganz offensichtlich nicht allein Verlage, die digitale Transformation im Journalismus vorantreiben. Und darin steckt ein weiteres Defizit des Förderkonzepts: Es ist keine vollumfängliche Unterstützung von digitalen, journalistischen Angeboten. Dann würden nämlich auch Unternehmen und Akteure berücksichtigt, die keinen klassischen Verlags- oder Pressehintergrund haben. Aber diese saßen ja auch nicht mit am Verhandlungstisch, so wie viele andere Sachkundige, die in der Diskussion leider gefehlt haben. 

„Angehört wurden vorrangig Lobbyisten, auf wissenschaftliche Expertise wurde verzichtet“

Zum Beispiel?
Der Staat engagiert sich erstmalig in Deutschland in der Förderung privatwirtschaftlicher Verlage, es ist das erste Mal, dass er direkte, finanzielle Mittel bereitstellt. Da hätte ich mir inhaltlich einen größeren Wurf gewünscht. Im Ausland werden bereits seit Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt, was in der Journalismusförderung gut funktioniert und was nicht. Ein Austausch kam nicht zustande, wie die Anfrage der Linke aus dem Bundestag zeigt. Angehört wurden vorrangig Lobbyisten, auf wissenschaftliche Expertise wurde verzichtet. Da hätte es auch im Ausland sehr kenntnisreiche Forscherinnen und Forscher gegeben, die die europäische Förderlandschaft eingängig untersucht haben.

Was sehen Sie denn im Ausland, was gut funktioniert, Sie im deutschen Entwurf aber vermissen?
Es fehlt eine wettbewerbliche Komponente, das Ringen um die besten Ideen für die Zukunft des Journalismus. In Dänemark gibt es bereits seit 2013 einen wettbewerblich orientierten Innovationsfonds. In den Niederlanden sogar schon seit 2010. Heißt: Dort können Akteure gezielt über einen bestimmten Zeitraum Geld für einzelne Projekte beantragen, die dann von der öffentlichen Hand eine Anschubfinanzierung erhalten. 

Was ist mit dem Neutralitätsgebot des Staates?
Bei selektiver Förderung, und das ist eine wettbewerbliche Förderung, wird es immer kompliziert. Da braucht es aufwendigere Konstruktionen, um möglichst große Staatsferne herzustellen. Solche werden immer, gerade auch von Populisten, angreifbar sein. Das heißt aber nicht, dass man nicht über die besten Förderverfahren diskutieren sollte. Vielleicht ist es aber noch zu früh, um das im Detail zu bewerten. Möglicherweise wird es im Förderkonzept des BMWi eine wettbewerbliche Komponente geben. Bislang heißt es, dass subventionsberechtigte Verlage ihre Investitionen ins Digitale „schlüssig nachweisen“ müssen. Mir erschließt sich noch nicht, was das genau bedeuten soll. 

„Fehlanreize könnten gesetzt werden.“

Geld an Verlage fließt nur, wenn sie sich selbst am Projekt beteiligen, und zwar zu mindestens 55 Prozent. Heißt: Sie müssen schon präzisieren, wofür sie das Geld aufbringen wollen. Es bekommt nicht einfach jeder etwas ab.
Das ist aus meiner Sicht auch richtig so. Im Konzept ist mir allerdings ein Fördergegenstand besonders aufgefallen: Dort heißt es, dass die finanziellen Mittel auch für den „Aufbau von Online-Shops, Rubrikenportalen und Apps“ genutzt werden sollen. Wenn das so kommt, schaffen wir womöglich eine Förderung, die Verlage beim schrittweisen Rückzug aus dem Journalismus unterstützt. In der Forschung ist belegt, dass Verlage ohnehin auf dem Weg sind, Geschäfte außerhalb des Kerngeschäfts Journalismus aufzubauen. Ein von mir und Christian-Mathias Wellbrock erstelltes Gutachten für die Landesmedienanstalt NRW zeigt, dass wenn Investitionen von Verlagen getätigt werden, dies eher in Bereichen abseits des Journalismus passiert. Das heißt: Hier könnte die Förderung sogar noch Fehlanreize für Investitionen in journalismusfremde Geschäfte setzen.

„Es geht zu stark um die Innovationen von Einzelunternehmen“

Der Entwurf umfasst nicht nur Maßnahmen für Classified-Geschäfte, sondern auch die Entwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, Bezahlsystemen, neue Produkte im Online-Audio-Segment oder Schulungsmaßnahmen. Das klingt schon ganz sinnvoll.
Ja, und das ist auch wichtig. Aber man muss auch klar hervorheben: Die Innovationsförderung für den Journalismus muss mit dem Journalismus verknüpft bleiben. Zwischendurch gab es ja mal die Diskussionen über eine Art Zustellförderung für Journalismus im Digitalen, beispielsweise das Spotify-Modell für den Journalismus. So etwas ist im Entwurf jetzt mit „verlagsübergreifenden Plattformen zum Vertrieb der Inhalte“ erwähnt, dem hätte der Staat aber auch eine hervorgehobene Rolle geben können. 

Das kommt bei Nutzern gut an, bei Verlagen eher weniger. Im Entwurf wird die Lenkungswirkung, die Subventionen haben müssen, betont. Kommt sie hier zu wenig durch?
Aus meiner Sicht geht es im Förderkonzept zu stark um die Innovationen von Einzelunternehmen. Eine avancierte Innovationspolitik hat auch das Gesamtsystem im Blick, fördert etwa Verbünde und Kooperationen zwischen Akteuren verschiedener Branchen. An diesen Schnittstellen zwischen beispielsweise Medien und Technologie, Forschung und Wissenschaft entstehen die spannendsten Innovationen. 

An wem zielt das aktuelle Programm derzeit vorbei?
Neben diesen Verbünden sind das aus meiner Sicht zwei weitere Akteure: Einmal die Start-ups, sowohl gewinnorientierte wie auch gemeinnützige Neugründungen. Für sie gibt es zwar schon einzelne Möglichkeiten wie das MediaLab Bayern und das Journalismus Lab der Landesmedienanstalt in NRW, aber die Programme sind regional gebunden und ihre Budgets relativ klein. Die zweite Kategorie sind individuelle Medienschaffende. Man kann natürlich festlegen, dass man keine Einzelförderung von Journalistinnen und Journalisten machen will. Aber trotzdem bleibt die Frage: Was ist denn mit der entstehenden Creator Economy im Journalismus? Sie haben bei Medieninsider gerade darüber geschrieben, dass zunehmend Journalistinnen und Journalisten ihre Redaktionen verlassen, um Newsletter zu gründen oder andere Projekte bewusst außerhalb etablierter Medien anstoßen (s. hier und hier). Das sind Entwicklungen, die potenziell hohe Innovationskraft entfalten können, die das vorgelegte Förderkonzept aber überhaupt nicht in Rechnung stellt.

Wir haben eine Menge Dinge erörtert, die das Programm nicht oder zu wenig beachtet. Können Sie der Förderung denn etwas Positives abgewinnen? 
Positiv ist, dass der Bund das Thema nun überhaupt einmal aufgreift. Der Journalismus kommt mehr und mehr in dieselbe problematische Situation, die wir auch in anderen europäischen Ländern beobachten. Deshalb brauchen wir eine Medienpolitik, die in der Lage ist, auch Subventions- und Innovationspolitik zu denken, und da auch keine Berührungsängste hat. Wie gesagt, ist diese Förderung ein Novum und vermutlich für einige Zeit einmalig. Deshalb sehe die Gefahr, dass wir nun eine wichtige Chance vergeben.


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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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