Die Wiederbelebung des Lokaljournalismus

TitelfotoThomas Geiger

Die Medienkonzentration im Regionalen und Lokalen frustriert Leser und Journalisten zugleich. Monopolisierung und Zombiemärkte aber machen den Weg frei für Neues. Medieninsider zeigt Beispiele auf, wo Journalisten lokale Pionierarbeit leisten, was ihre neuen Projekte vom traditionellen Journalismus unterscheidet und wie sie Geld verdienen wollen. Eine Geschichte über die Wiederbelebung des Lokaljournalismus. 

Ralf Heimann ist kein Arzt oder Rettungssanitäter und trotzdem übt er sich in Wiederbelebung. Sein Patient: der Lokaljournalismus. In Münster, wo Heimann lebt, ist die Berichterstattung noch nicht tot, sie hat aber Kammerflimmern. In seiner Stadt mit mehr als 300.000 Einwohnern gibt es nur noch eine Tageszeitung. 2014 übernahm der Aschendorff-Verlag mit der Münstersche Zeitung den letzten Konkurrenten seiner Westfälischen Nachrichten. Von der Zeitung blieb nicht viel bis auf die Hülle. Befüllt wird sie seitdem von den Redakteuren der Westfälischen (und den wenigen Redakteuren, die vom neuen Verlag übernommen worden waren). Es blieb ein „Münsterscher Zombie“, eine Zeitung mit Inhalt, aber ohne eigene Redaktion, ohne eigene Akzente, ohne Unterscheidbarkeit. 

Eine publizistische Stimme mit zwei Gesichtern reicht Heimann, der bis zum Verkauf der Münsterschen selbst dort angestellt war, nicht. Deshalb ist Heimann jetzt als Redaktionsleiter Teil von Rums, das für Rund um Münster steht und die lokale Berichterstattung als neues, rein Digitales Medium erweitern will. „Eine Stadt lebt von Vielfalt, die sich auch in den Medien widerspiegeln muss. Eine Zeitung mit einer Sicht auf die Dinge reicht nicht aus“, sagt er. Es ist aber auch die Sorge, dass der Lokaljournalismus, in dem viele Journalisten ihre ersten journalistischen Gehversuche unternehmen und ihr Handwerk lernen, komplett verschwindet. „In den USA sehen wir, was dann geschieht. Die Menschen bekommen nicht mehr mit, was um sie herum passiert.“ Tatsächlich steht mehr auf dem Spiel, manche sagen: die Demokratie. 

Lokaljournalismus: Rückgrat einer Demokratie

In den USA stellte man beispielsweise mit, dass die kommunale Politik schlampig wird, wenn ihnen die Kontrolle durch Journalisten fehlt. In Kalifornien zeigte sich in einer Studie, dass bei sinkender Zahl von Lokaljournalisten auch die Zahl der Menschen abnimmt, die zur Wahl gehen oder sich um ein Amt bewerben. „Wenn niemand Informationen über Kandidaten bereitstellt oder über die Gesetzgebung, finanzielle Ausgaben oder die Aufstellung von Budgets berichtet, woher sollen die Menschen dann wissen, dass sie jemanden brauchen, der einen ineffizienten Bürgermeister ersetzt?“, so Meghan Rubado die diesen Zusammenhang in ihrer Forschung für die Cleveland State University hergestellt hat (mehr zu dem Thema findest du auch in dieser Kolumne). Ähnliche Beobachtungen gibt es nicht nur auf der anderen Seite der Welt, sondern schon in der Schweiz


Lookout: Eine Blaupause für neuen Lokaljournalismus?

Ken Doctor hat den Medienwandel jahrelang als Analyst begleitet – jetzt will er mit seinen Erkenntnissen ein eigenes, erfolgreiches Lokalmedium etablieren. Was er anders machen will als die etablierten US-Medien, liest du hier.

Das Aussterben lokaler Zeitungen sind keine Einzelfälle, in den USA breiten sich Nachrichtenwüsten aus. In 1528 der rund 3000 Counties in den Staaten haben nur noch eine einzige Zeitung, meist eine wöchentliche, wie die Hussmann School of Journalism and Media visualisiert. In 225 Counties erscheint nicht einmal mehr eine einzige. 

Deutschland: Lokaljournalismus verschwindet von der Fläche

Auch in Deutschland herrscht Alarmstimmung, ähnliche Tendenzen werden deutlich. Bei derzeitiger Markt- und Preisentwicklung würde im Jahr 2025 die Zeitungszustellung in 40 Prozent der Gemeinden nicht mehr wirtschaftlich sein, heißt es in einer vom Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger beauftragten Prognose. 

Mit dem Rückzug des Papiers verschwindet zwar noch nicht der Journalismus, der digital weiter wächst. Doch ist er auf dem Rückzug, weil das digitale Geschäft wirtschaftlich schwieriger ist. Die Folge: Regionale Verlage schließen Lokalbüros ihrer Zeitungen, Journalisten verschwinden damit von der Fläche. Auch Extremfälle wie die Münstersche Zombie-Zeitung sind kein Einzelfall, wenige Jahre zuvor geschah dasselbe mit der Westfälischen Rundschau

Medienhäuser treiben Monopolisierung voran

Wo keine Redaktionen ausgehöhlt werden, entstehen „Synergien“. Gerade erst kam heraus, dass die Madsack Mediengruppe seine beiden Titel Neue Presse und Hannoversche Allgemeine Zeitung zukünftig aus einem „gemeinsamen Newsroom“ produzieren will – Stellenabbau ist programmiert, die übrig gebliebenen Redakteure werden dann für beide Titel arbeiten. Dass die beiden Chefredakteure weiterhin allein für ihre Titel verantwortlich bleiben, kann als Feigenblatt interpretiert werden. 


Lokaljournalismus VierNull

VierNull-Co-Gründer Hans Onkelbach; Foto: Johannes Boventer
In Düsseldorf bauen zwei ehemalige Redaktionsleiter von Rheinische Post und Westdeutsche Zeitung ein neues Lokalmedium auf – was Hans Onkelbach (Foto) und Christian Herrendorf mit VierNull vor haben, liest du hier.

Gleiche Entwicklung, anderer Standort: 2015 wurden Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung miteinander verschmolzen, lediglich zwölf Autoren pro Blatt sollten noch für Unterschiede sorgen. Auch hier blieben die Chefredaktionen getrennt – zumindest für die gedruckte Zeitung. Im Digitalen hat eine Chefredaktion das Sagen für beide Titel. Das kostet Vielfalt und verstärkt Monopolisierung. 

„Ihr Image wird die Zeitung nicht mehr los“

Wo etwas verschwindet, da entsteht Platz für etwas Neues. Projekte wie Rums wollen der Medienkonzentration und der Monopolisierung etwas entgegensetzen, lokalen Journalismus aber auch anders interpretieren. „Es gibt dieses Bild von Lokaljournalismus, dass es da nur um Tauben- und Kaninchenzüchterei geht. Das stimmt natürlich nicht – aber das Image wird die Zeitung nicht mehr los“, sagt Heimann, der das Problem auch darin sieht, dass bei Zeitungen immer weniger Redakteure arbeiten, die mehr leisten müssen. Bei Rums mache man deshalb das Gegenteil. „Die Idee ist, das Lokale stark auf ein wichtiges Thema zu reduzieren, es dafür aber in der Tiefe zu beleuchten.“ 

Rums-Redaktionsleiter Ralf Heimann

Rums erscheint nicht jeden Tag, sondern ohne festen Rhythmus mehrmals die Woche als „Brief“, also als Newsletter per E-Mail, und Podcast. Sonntags melden sich auch Kolumnisten. Mittlerweile sind vereinzelt größere Stücke auf der Website hinzukommen. Bei Rums berichtet man über die Debatte über eine neue Fahrradstraße, über die Stadt-Flucht oder damit einhergehende Probleme. Feste Ressorts beziehungsweise Kategorien gibt es keine, dafür hat das fünfköpfige Redaktionsteam (exkl. Kolumnisten) auch keine Kapazitäten. Dafür setzt die Redaktion auf Schwerpunktthemen die man langfristig verfolgen wolle – beispielsweise Gleichberechtigung in Münster oder die Zukunft des beliebten Hafens.

Rums-Themen sind keine, die in der lokalen Presse nicht zu finden sind. Auch die Westfälische Rundschau greift solche Themen auf. Man versuche sie aber anders zu denken, erklärt Heimann. „Lokalberichterstattung heißt nicht zwingend, nur über die eigene Stadt zu berichten. Wenn zum Beispiel über die autofreie Innenstadt diskutiert wird, kann es auch interessant sein, einfach darüber zu schreiben, wie das anderswo funktioniert.“

Themenauswahl, Aufbereitung, Ansprache: Ist Lokaljournalismus nicht mehr zeitgemäß?

Journalismus anders machen als die etablierten Medienhäuser will auch Alexandra Haderlein. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist die 32-Jährige im Lokaljournalismus (Verlag Nürnberger Presse) tätig, Anfang des Jahres gab sie ihre Festanstellung auf, um ihr eigenes Medium zu starten. Ihr Grund: „Der Lokaljournalismus einer Tageszeitung ist nicht der, den ich konsumieren möchte.“ Weil sie glaubt, dass es auch anderen Millennials so geht, hat sie das Lokalblog Nürnberg gestartet. 

Alexandra Haderlein, Gründerin des Lokalblogs Nürnberg. Foto: Thomas Geiger

In ihrem dazugehörigen wöchentlichen Lokalbrief verspricht die Journalistin News mit Lösungen statt negativer Schlagzeilen und setzt auf konstruktiven und erklärenden Journalismus. Einmal in der Woche versendet sie ihren Newsletter mit einer umfangreichen Geschichte – dann erklärt sie, wie sich die Einnahmen der Stadt Nürnberg zusammensetzen, beschäftigt sich mit häuslicher Gewalt in ihrer Stadt und zeigt auf, wie Opfer, aber auch Täter sich helfen lassen können.

Auch ihre Leser assoziierten Lokaljournalismus zu oft mit Kaninchenzüchterverein und Chronistenpflichten über die Neueröffnung von Kindergärten und Supermärkten – Themen, die für viele zu uninteressant seien. Während die Tageszeitung die vollumfängliche Aufgabe hat, stelle sie an ihr Produkt einen eher selektiven Anspruch, nimmt sich bei einer Geschichte über Obdachlosigkeit in Corona-Zeiten Zeit, Betroffene ausführlich zu begleiten. Wenn eine Geschichte deshalb nicht rechtzeitig zum nächsten Lokalbrief fertig ist, wird die Ausgabe geschoben, den Nutzern die Situation erklärt, später dafür umso ausführlicher berichtet.

Haderlein setzt mit ihrem Lokalblog auf eine besondere Beziehung zum Leser, spricht ihn direkt und mit „Du“ an und macht ihn zum „Programmmacher“. „Wir setzen auf allen Ebenen unseres Entstehungsprozesses auf Partizipation“, sagt sie. Über Umfragen oder Communitys in sozialen Netzwerken sammelt sie Feedback zu Artikeln oder Darstellungsformen genauso ein wie auch neue Themen. „Wir wollen uns mit unserer Community ständig austauschen, sie kennenlernen, sie sogar treffen. Vielerorts wird noch geglaubt, dass ein Gewinnspiel zur Pflege der Leserschaft ausreicht.“ Haderleins Community-Gedanke geht dabei so weit, dass sie für digitale Lesertreffen in Corona-Zeiten vortags sogar Bier und Wein ausfährt. 

Wo der Leser zum Chefredakteur wird

Dass die Zeitung zu wenig nach Interessen und Wünschen ihrer eigenen Leser ausgerichtet ist, hat auch Manuel Conrad gestört  – und sein eigenes Medium radikal anders aufgestellt. Conrad stammt aus einer Journalistenfamilie, ist selbst aber keiner. Möglicherweise fiel es dem Betriebswirt gerade deshalb leicht, das Ruder aus der Hand zu geben. In der Redaktion von Merkurist für – 24 Menschen arbeiten insgesamt im Unternehmen – gibt seit dem Start vor fünf Jahren der Leser die Agenda vor, nicht einmal einen Chefredakteur gibt es hier. 

Die Themen für Merkurist, das es in Mainz und Wiesbaden gibt, stammen aus der Community. Wer Mitglied ist, darf Vorschläge machen und zur Abstimmung bereitstellen, auch Recherchematerial sammelt die Redaktion über ihre Mitglieder ein. 25.000 registrierte Nutzer zählt Merkurist in Mainz, 9.000 in Wiesbaden. Lesen darf wiederum jeder.

Wird innerhalb der Community ein größeres Interesse an einem Thema deutlich, wird es von der Redaktion kurz evaluiert, dann beginnt ein Journalist mit der Recherche. Das Ergebnis: Merkurist berichtet, weshalb gerade erst gebaute Fahrradständer wieder demontiert werden, weshalb an der Uniklinik Mainz ein Mann kein Blut spenden durfte, obwohl er die Voraussetzungen erfüllt, oder was aus der Fläche des ehemaligen Karstadt-Gebäudes in der Innenstadt wird. Ebenfalls Themen, die auch in der Lokalzeitung stehen könnten. Merkurist bringt sie aber dann, wenn der Nutzer sie gerade braucht. Nur in Ausnahmefällen entscheidet die Redaktion autark. Wenn es beispielsweise nach einem Unfall zum Stau kommt, braucht es schnelle Informationen. 

Auch nach Veröffentlichung wird noch abgestimmt – je mehr Zustimmung ein Artikel bekommt, desto länger bleibt er prominent auf der Seite stehen. Dass er irgendwann verschwindet, entscheidet kein Redakteur, sondern ein eigener Algorithmus.

Sarah Heil, Geschäftsführerin von Merkurist Mainz und Wiesbaden

„Wir als kleine Redaktion können nicht überall sein und setzen unsere Ressourcen gezielt im Interesse der Leser ein“, sagt Geschäftsführerin Sarah Heil, „sie sind auf etwas aufmerksam geworden oder wollen etwas wissen, wir liefern ihnen die Hintergründe journalistisch aufbereitet.“ Ewige Themen-Konferenzen und Kompetenzgerangel fallen damit weg. „Wenn ich mitbekomme, welche Prozesse und Strukturen in manchen Medienhäusern herrschen, bekomme ich manchmal Gänsehaut.“ 

Neue Projekte werden Lokalzeitung nicht ersetzen

Auch Merkurist sieht sich nicht in der Chronistenpflicht einer Tageszeitung. Abseits der Themen, die Nutzer gerade verlangten, versuche man trotzdem, an anderen wichtigen Themen, dran zu bleiben, sagt Heil. Die Redaktion beobachte trotzdem die Kommunalpolitik und beispielsweise Entscheidungen vom Stadtrat. „Unser Anspruch ist, die Themen auf dem Schirm zu haben, um dann auch schnell reagieren zu können, wenn das Interesse steigt. Ansonsten versuchen wir Themen dahinter zu finden, die unsere Nutzer interessieren könnten.

Neue Projekte wie Rums, das Lokalblog oder auch Merkurist können oder wollen keine Generalisten sein. „Ich glaube jetzt nicht, dass unser Modell die Lokalzeitung ersetzen wird“, sagt auch Heimann. Sie nutzen aber Nischen, die etablierte Verlage aufmachen oder versäumen zu füllen. Nischen, die eher zum Nutzerverhalten jüngerer Zielgruppen passen, die Zeitungen so dringend erreichen müssen. 

Investitionen in Innovationen stehen nicht auf der Verlags-Agenda

Das hält auch Journalismusforscherin Wiebke Möhring fest: „Der Gedanke, dass eine gedruckte Zeitung immer nur als Ganzes verkauft werden kann, erscheint mindestens den Generationen, die schon mit starken individualisierten Digitalangeboten groß geworden sind, einigermaßen abstrus oder auch absurd“, sagte sie in einem Interview beim Deutschlandfunk. „Warum soll ich sozusagen ein Abo bezahlen für ein Produkt, von dem mich am Ende vielleicht ein Drittel wirklich interessiert?“ Laut Möhring sei allerdings die Angst der Verlage vor Disruption und Kannibalisierung – und damit vor weniger Profit in einem immer noch gewinnträchtigen Geschäft – nach wie vor groß.


Warum die Rettung des Journalismus nicht immer einen Jeff Bezos braucht

Besonders regionaler und lokaler Journalismus wird für große Verlage zunehmend ein unattraktives Geschäft. Neue, tragfähige Geschäftsmodelle lassen auf sich warten, doch für den Journalismus gibt es Hoffnung – auch ohne Jeff Bezos. Alexandra Borchardt nennt Beispiele.

Als in den vergangenen Jahren mit Bloggern erstmals Konkurrenz für Regionalverlage im Internet aufkam, erklärten viele Chefredakteure und Verlagsmanager, reichweiten- und meinungsstarke Blogger einfach ins eigene Angebot integrieren zu wollen. Geschehen ist nichts. Mit Blick auf danach entstandene Hyperlokalmedien oder neue Nischenprodukte scheint sich selbiges zu wiederholen. Mit Investitionen in lokalen Journalismus hält man sich zurück. Ein Gutachten im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW attestierte kürzlich generell: Etablierte Verlage kümmern sich nicht um Investitionen in journalistische Innovationen. Stellen sie Geld bereit, dann oft für Unternehmen außerhalb ihres Kerngeschäfts.

Generell reagieren etablierte Medien auf die Neuen mit Ignoranz. Gebe es mal Anlass zum Zitieren, werde die Nennung der Marke umgangen, erinnert sich Rums-Macher Heimann. Alexandra Haderlein schrieb kürzlich in ihrem Lokalbrief aus Nürnberg, die örtliche Konkurrenz habe ihren Namen samt Zitat sogar aus einer Beilage gestrichen.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Was vor einigen Jahren beim Merkurist geschah, darf man deshalb als Ausnahme verstanden wissen. „Am Anfang hat man nicht gerade begeistert auf uns reagiert“, erinnert sich Heil mit Blick auf den örtlichen Verlag. „Irgendwann hat man dann doch gemerkt, dass wir so schnell nicht mehr weggehen und auch eine Zielgruppe erreichen, die sie nicht oder schlecht erreichen.“ Schließlich habe es einen Menschen gegeben, der das Gespräch gesucht habe. Die VRM Mediengruppe, die im Verbreitungsgebiet die Allgemeine Zeitung (Mainz) und den Wiesbadener Kurier heraus gibt, setzte sich mit den Merkurist-Machern an den Verhandlungstisch – und stieg ein. 50 Prozent hält der etablierte Verlag nun am Start-up. „Ich denke, jetzt ist eine Zusammenarbeit entstanden, von der beide Seiten profitieren.“ 


Das Ökosystem journalistischer Neugründungen

Wie entwickelt sich das journalistische Ökosystem außerhalb etablierter Medienhäuser? Für die USA und Kanada gibt ein neuer Report Aufschluss darüber. Lies den Artikel hier.

Die Unbeweglichkeit der Verlage, die Innovationsmüdigkeit, der zunehmende Sparzwang sind es, die Journalisten wie Haderlein dazu bewegen, mit Projekten wie ihrem Lokalblog lieber ins eigene Risiko zu gehen. „Ich hatte versucht, im Verlag voranzukommen, was aber nicht geklappt hat. Wenn man auf Zeit und Umfang für konstruktiven Journalismus schaut, muss man auch sagen: Das ist im Redaktionsalltag nicht so einfach zu schaffen.“

Hinzu komme ein grundsätzliches Gefühl, dass man gar nicht vorankommen könne, dass Mitarbeiter als Arbeitskräfte, aber nicht als Talente gesehen werden. Will man etwas erreichen, ließen sich ihrer Erfahrung nach auch zu wenig Unterstützer finden. „Ich habe bei meinem alten Arbeitgeber auch Menschen erlebt, die versucht haben, Dinge möglich zu machen. Aber eine oder wenige Personen reichen nicht aus.“ Von Kollegen aus anderen Medienhäusern höre sie ähnliches. 

Heimann glaubt, dass es in etablierten Verlagen an der Fähigkeit mangelt, neue Ideen zu entwickeln. „Ich denke, dass wir aus Perspektive etablierter Medien einfach ein schwer verständliches Produkt machen – eben nicht vollumfänglich, viel weniger exklusiv, wir aggregieren auch viel aus anderen Medien, wenn sie gute Geschichten haben. In Verlagen wird immer noch in anderen Kategorien gedacht.“

Neuer Lokaljournalismus auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen

Den Start-ups gibt das Zeit, ihre Geschäfte auf Profitabilität zu trimmen und oder überhaupt erst einmal Geschäftsmodelle zu finden. Die Frage, wie sich mit neuen Ideen und in Nischen Geld verdienen lässt, ist nämlich noch offen. Merkurist sei zwar auf dem Weg in die Profitabilität, sagt Heil, schreibt aber eben noch keine Gewinne. Bislang setzt das Portal ausschließlich auf Erlöse aus der Werbevermarktung, auch hier habe die Coronakrise die Volatilität des Geschäfts spürbar gemacht. Zwar befasse man sich immer mal wieder mit der Frage, ob auch Nutzer zahlungsbereit seien, sagt Heil. „Für uns steht es aktuell aber nicht zur Debatte, weil wir vermutlich Reichweite einbüßen würden, die wir derzeit gut monetarisieren können.“

Derweil hat sich durch die selbst entwickelte Software ein eigenes Geschäftsmodell aufgetan. Über eine gesonderte Kapitalgesellschaft lizensiert Merkurist sein Modell für andere Publisher – beispielsweise für neue Projekte in Augsburg oder Niederkassel. Versuche anderer Verlage mit dem Merkurist-Modell hat es auch in Ulm gegeben, Merkurist selbst hatte sich am Medienmarkt Frankfurt versucht – allerdings war hier die lokale Konkurrenz noch zu groß.

Die Rums-Macher wollten eigentlich mit einer groß angelegten Crowdfunding-Aktion starten. Corona warf die Pläne durcheinander. Hinter Redaktionsleiter Heimann stehen unter anderem die beiden Gründer Christian Humborg und Marc-Stefan Andres, aber auch Investoren wie Correctiv-Gründer David Schraven oder Medien-Investor Sebastian Turner. Im August startete Rums nach mehreren kostenlosen Monaten ein Membership-Programm. 900 zahlende Abonnenten verkündete Heimann einen Monat später, rund ein Viertel der bisherigen Rums-Leser. 

Alexandra Haderlein hat ihr Geschäftsmodell noch nicht gefunden. Bislang erscheint das Lokalblog werbefrei und gratis. Um Kosten zu decken und Produkt zu entwickeln, hat sie sich Förderungen besorgt. Auch bei der Frage der Refinanzierung soll die Community mitreden. Das Problem: Werbefinanzierung mache Leser misstrauisch, andere erfreuten sich an frischem Journalismus, wollen aber nicht zahlen. „Wir erleben da ein Spannungsfeld, das uns aber auch dazu anregt, über andere Möglichkeiten nachzudenken.“ Derzeit loten sie und ihr Team ebenfalls mithilfe eines Stipendiums die Möglichkeiten einer Gemeinnützigkeit aus. Möglicherweise wird es aber auch ein Membership-Modell geben oder eine Spendenbox. Mal sehen, was die User am Ende mögen. 

Update, 13. November 2020:

Merkurist stellt Betrieb ein

Wie schwierig die Suche nach neuen Geschäftsmodellen für neue journalistische Angebote ist, hat sich im Falle von Merkurist nun gezeigt. Das Start-up wird noch im November seinen Betrieb einstellen, wie die VRM Mediengruppe bekannt gab. Zum Jahresende wird das Unternehmen aufgelöst.

„Das Ziel, Lokaljournalismus mit User-Beteiligung und Werbeeinblendungen als ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu etablieren, ist nicht im geplanten Zeitrahmen erreicht worden“, so die Begründung. Dem Unternehmen habe auch die Corona-Pandemie samt ausbleibender Werbeumsätze zu schaffen gemacht. VRM-Geschäftsführer Joachim Lieber: „Die Angebote Merkurist Mainz und Merkurist Wiesbaden sind leider ein Opfer der zweiten Corona-Welle geworden.“


Wie blickst du auf den Markt der regionalen und lokalen Medien – welche Chance räumst du neuen Nischenprojekten und ihren Geschäftsmodellen ein? Kennst du noch weitere Projekte, die wir nicht erwähnt haben oder kennst Fälle, in denen Regionalhäuser in lokale Innovation investieren? Teil es uns in den Kommentaren mit! Du kannst das Thema natürlich auch in unseren Gruppen bei Facebook, LinkedIn oder Xing (hier und hier) diskutieren!

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Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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