Boie spielt mit dem Weltkrieg. So hätte die Überschrift dieses Artikels lauten können, würden wir uns den Mechanismen des Bild-Chefredakteurs bedienen. Am Dienstagabend veröffentlichte Johannes Boie einen Kommentar zum Raketenscheinschlag in Polen nahe der ukrainischen Grenze. Bis in die Nacht hinein war der Absender des Geschosses, das nach offiziellen Angaben zwei Menschen tötete, unklar. Boie aber war sich sicher:
„Putin spielt mit dem Weltkrieg,“ lautete die Überschrift, „Die russische Armee hat Polen bombardiert“, schrieb er im ersten Satz. Sein Artikel landete als Aufmacher auf Bild.de, sein Kommentar am nächsten Tag auf Seite 2 in der Zeitung, die in ihrer Bundesausgabe titelte: „Putin feuert Raketen nach Polen.“
Spätestens am Mittwochmorgen war klar: Der Einschlag hinter der polnischen Grenze kam von ukrainischer Seite. Es war kein russischer Angriff. Es war kein russischer Angriff auf ein Nato-Mitglied, das in diesem Fall nach Artikel 5 zur internationalen Verteidigung hätte aufrufen können.
Der Kommentar des Bild-Chefs, der kurze Zeit nach seiner Veröffentlichung bei Bild TV eine Reaktion des westlichen Verteidigungsbündnisses forderte, war ein Schnellschuss. Ein Schnellschuss auf Basis der Meldung einer Nachrichtenagentur (AP), die sich auf inoffizielle Geheimdienstquellen berufen hatte – während sich die polnische Regierung, die internationale Politik und das Pentagon in Zurückhaltung übten.
Der Chefredakteur von Bild beging einen kapitalen Fehler. Einen aufmerksamkeitsstarken, denn Bild ist die größte Tageszeitung Europas mit internationaler Aufmerksamkeit – auch mit der des Kreml, der die Anschläge schon am Dienstagabend als polnische Provokation bezeichnete.
Boie verstieß gegen sein selbst aufgestelltes Gebot, Recherche vor These zu stellen – und verzichtet bis jetzt auf Konsequenzen.
Boies Kommentar ist weiterhin online. Wie das BildBlog dokumentiert, fügte die Redaktion in der Nacht auf Mittwoch am unteren Ende des Artikels lediglich einen Absatz hinzu, der auf die Möglichkeit ukrainischer Raketen hinwies. Nach dem ersten Satz fügte man noch den Verweis auf die AP ein (siehe Wayback Machine). Einen Disclaimer gibt es genauso wenig wie eine ordentliche Klarstellung oder gar Entschuldigung.
Beides blieb auch gegenüber der eigenen Redaktion aus. Auch dort war man über den Kommentar im Eifer des Gefechts irritiert. Der Kommentar verbreite Fake News, so eine Führungskraft gegenüber Medieninsider. In der großen Morgenkonferenz am Mittwochmorgen sprach das Thema allerdings niemand an, auch nicht der Bild-Chef. Genauso blieb der interne Redaktionschat „Bild im Gespräch“ leer.
Das sagt der Bild-Chef zu seinem Kommentar
Medieninsider hat bei Johannes Boie nachgefragt. Über ein Sprecher lässt er dementieren, dass es keine interne Stellungnahme gegeben hat. Wo er sie geäußert haben will und wie sie gelautet haben soll, lässt er offen. Zur Entstehung des Kommentars heißt es:
Diese Angebote berechtigen nicht zur Nutzung der Artikel in
Pressespiegeln (o. Ä.).
Klicke hier zum Erwerb von passenden Nutzungslizenzen.