Strive-Verlegerin Katharina Wolff und ein merkwürdiges Verständnis von Pressefreiheit

Über ein gescheitertes Interview und ein mysteriöses Autoren-Profil bei Strive

An dieser Stelle hätte ich gerne ein Interview mit Katharina Wolff mit dir geteilt. Doch leider wird es nicht erscheinen. Es hat die Autorisierungsschleife nicht überlebt. Bei meiner Recherche nach den Gründen stieß ich auf ein mysteriöses Profil einer Autorin, die es gar nicht gibt. Doch dazu später mehr.

Erst einmal dazu, wer Katharina Wolff eigentlich ist. 

Den meisten Medienmachern außerhalb LinkedIns und Hamburgs – dort war sie mal Kommunalpolitikerin – dürfte Katharina Wolff seit Herbst 2020 bekannt sein. Vor bald zwei Jahren hat Katharina etwas gewagt, das man auch ohne Corona-Pandemie schnell als verrückt bezeichnen könnte: Sie hat einen eigenen Verlag gegründet, um ein Wirtschaftsmagazin für Frauen herauszubringen. Gedruckt. Denn: Ein eigenständiges Magazin für Frauen in der Wirtschaft und in Führungspositionen gab es einfach noch nicht. 

Strive gehört zu den aufsehenerregendsten Medienprojekten der vergangenen Jahre. Wegen der Gründung außerhalb eines etablierten Medienhauses mitten in der Pandemie, wegen seiner Gründerin, die schon Karriere als Politikerin und Sängerin gemacht hat, und ihrer Investoren. Mit Donata Hopfen, heute Geschäftsführerin der DFL, About-You-Gründer Tarek Müller und Flaconi-Gründer Paul Schwarzenholz hat sie namhafte Leute an ihrer Seite, die für Diversität, Innovation und Gründergeist stehen. 

Strive ist ein tolles Projekt. Es hat sich zum Ziel genommen, Wirtschaftsberichterstattung fürs Auge und den Geschmack von Frauen zu machen. Denn Katharina Wolff liegt völlig richtig damit, wenn sie sagt: Die meisten Hefte sind nicht nur für Männer geschrieben, sondern auch für sie gestaltet. Katharina hat eine Nische entdeckt, die wächst und längst nicht von allen beachtet wird. 

Wie Medieninsider über Start-ups berichtet

Das alles sind Gründe, weshalb ich mich über das Interview-Angebot gefreut habe. Ich habe mich auch darüber gefreut, weil mir Mediengründungen sehr am Herzen liegen. Immerhin haben mein Co-Gründer Matthias und ich Medieninsider selbst vor erst zwei Jahren an den Start gebracht und wir sind überzeugt: Es braucht mehr unternehmerischen Mut im Journalismus, mehr Gründungen. Denn viele Innovationen entstehen außerhalb der etablierten Medienhäuser und ihren noch immer starren Strukturen.

Auch deshalb berichten wir bei Medieninsider regelmäßig aufgeschlossen über ausgewählte Neu-Projekte und Start-ups. Es geht uns darum, Ideen vorzustellen, Erfahrungen zu teilen, neue Sichtweisen in die Branche zu transportieren. Auch deshalb ist es immer wieder spannend, wenn Quereinsteiger wie Katharina ein Magazin wie Strive gründen.

Auch Start-ups sind letztlich aber Unternehmen, auch Medien-Start-ups müssen sich an denselben Kriterien messen lassen, wie andere Publisher oder Medienhäuser. Auch bei ihnen gehört ein kritischer Blick auf ihr Treiben dazu.

Die Regeln der Autorisierung

Dass ich das Interview nicht veröffentlichen kann, liegt an offensichtlich unterschiedlichen Auffassungen von journalistischem Handwerk. Katharina Wolff hat in der Autorisierungsphase „stark gekürzt“, wie sie es nennt. Sie hat etwa ein Drittel getilgt. Natürlich aus gutem Willen.

Das Streich-Konzert begründete die Strive-Verlegerin mit Rücksicht auf die Leser von Medieninsider. Sie sei stolz auf ihr Magazin. Aber sie bezweifle, dass jemand zehn Seiten über sie lesen wolle. An dieser Stelle muss man erwähnen, dass das Interview zehn Seiten umfasste, weil der Zeilenabstand auf großzügige 2,0 gestellt war.

Eine Autorisierung dient streng genommen nur zur Freigabe des Gesagten. Es liegt im Ermessen der Redaktion, das Gespräch für die Veröffentlichung noch einmal zu kürzen. Es ist dann auch Aufgabe der Redaktion, dies verantwortungsvoll zu tun, um Dinge nicht aus dem Zusammenhang zu reißen. Ich selbst kenne diese Kürzungspraxis nur auf dem platzbegrenzten Printsegment, online nimmt man Änderungen nach der Autorisierung in der Regel nicht vor.

Medieninsider pflegt bei Autorisierungen keinen strengen, wohl aber einen selbstbewussten Stil. Wir sehen Interviews als gemeinsames Format mit unseren Gesprächspartnern und sind für nachträgliche Bedenken, Anpassungen, Ergänzungen oder Änderungen gesprächsbereit – sofern sie ordentlich angemeldet werden und im Rahmen des journalistisch Vertretbaren sind. Das Umformulieren oder sogar Wegstreichen ganzer Passagen und Eingriffe in Fragen bewegen sich außerhalb der Toleranzgrenzen. Wir erwarten, dass Interviewpartner im Gespräch nicht darüber hinwegsehen, dass sie Journalisten gegenübersitzen und auf ihre Worte achten. Bei Medienprofis, die selbst Zeitschriften mit journalistischem Anspruch herausbringen, sollte so etwas selbstverständlich sein. Eine Autorisierung ist kein Freifahrschein.

Streich statt Strive

Interessant ist aber nicht nur Katharina Wolffs Umsichtigkeit im Namen unserer Leser. Interessant ist auch, was sie aus dem Interview gestrichen hat. Es waren ganze Absätze inklusive der Fragen.

Das ist schade, denn es war ein offenes und erfrischendes Gespräch. Katharina Wolff ist bekannt für ihre direkte Art und Klarheit. Etwas, das in der Branche oft fehlt. Die Aktion ist aber auch unverständlich, weil Katharina das Interview nicht nur angeboten, sondern viele Aspekte auch selbst angesprochen hatte.

Ich darf die von mir in die Autorisierung gegebene Version leider nicht wortwörtlich teilen. Darauf hat Katharina Wolff noch einmal hingewiesen, nachdem ich sie später um Stellungnahme zu weiteren Recherche-Ergebnissen fragte. Ich kann aber beschreiben, was stehen geblieben und was gestrichen worden ist.

Was stehen blieb

Stehen blieb größtenteils nur, was der Vermarktung von Strive nützte. Unter anderem:

► Dass Katharina sich nicht als Verlegerin begreife, sondern als Start-up-Unternehmerin. Und dass sie als Verlegerin/Unternehmerin eng mit ihrer Chefredakteurin Susanna Riethmüller im Austausch stehe, diese aber über Themen und ihre Drehs entscheide.

► Dass sich Strive und ihre parallel betriebene Personalberatung D-Level gegenseitig befruchteten, es inhaltlich aber eine strikte Trennung gäbe.

► Dass der größte Teil ihrer Arbeitszeit in Strive fließe, sie sich um den Anzeigenvertrieb und die Finanzen kümmere.

► Dass die Finanzierung von Strive trotz wirtschaftlich angespannter Lage bis 2024 gesichert sei, auch weil die Investoren noch einmal 300.000 Euro nachgeschossen hätten.

► Dass Strive profitabel arbeite und pro Ausgabe etwa 65.000 Euro benötige, was machbar sei.

► Dass es Angebote wie Strive in etablierten Verlagen schwer hätten, weil Business-Frauen (laut Wolff 1,3 Millionen in Deutschland) dort als Nische wahrgenommen würden und die Entwicklung neuer Magazine auch nicht so schlank erfolge wie notwendig.

► Dass Leserinnen von Strive keine Lust hätten auf negative Storys über Wirtschaft und Konzerne, dass man niemanden unnötig klein schreibe für Klicks – und dass man sehr wohl aber kritisch frage, wenn nötig.

Wie erwähnt: Es war (auch in dieser autorisierten Fassung) ein offenes Gespräch, in dem Katharina Wolff sogar über Zahlen sprach und erwähnte, dass Strive 2500 Abonnenten zähle. Das passiert in unserer Branche selten. Die Fassung ist aber für Anzeigenkunden und Investoren geschrieben. Die Message: Strive ist ein attraktives Produkt für Werbekunden, die Finanzierung ist gesichert.

Was gestrichen wurde

Gestrichen wurde, was über die Eigenvermarktung hinaus ging und erfrischend wie streitbar klang:

► Aussagen über die Unterschiede zwischen dem Leben als Politikerin, Sängerin, Unternehmerin und Learnings daraus für ihre Arbeit als Verlegerin.

► Aussagen über die Trennung von Anzeigengeschäft und Redaktion und das allgemeine Verständnis sowie die Bedeutung der Zusammenarbeit dieser Abteilungen. Darunter auch Aussagen über ihre Rolle als Anzeigen-Verantwortliche und die Zusammenarbeit mit der Redaktion.

► Aussagen über die Darstellung und Berichterstattung über Anzeigenkunden in Strive. Katharina legte hier an einem Beispiel dar, wie man die Trennung verstehe.

► Weiterführende Aussagen über Zusammenhänge von Strive und Katharinas Personalberatung D-Level. Dabei ging es auch um die Finanzierung ihrer eigenen Stelle.

► Aussagen über „Femwashing“ in der Werbeindustrie und den Umgang damit als journalistisches Produkt.

► Aussagen über die personelle Aufstellung, Komplikationen bei der Personalsuche, Fluktuation und Ansprüche durch ein hohes Tempo.

Ich kann bezüglich der gestrichenen Aussagen nicht konkreter werden, um rechtlich im Rahmen des Vertretbaren zu bleiben. Es hilft aber, um deutlich zu machen, dass ich ihr Vorgehen nicht nur als übergriffig empfinde, sondern als Missbrauch des allgemein sensiblen Autorisierungsprozesses und als Eingriff in die redaktionellen Belange.

Ist man sich über das Ergebnis eines Interviews nicht einig, geht man der Praxis oft ins Gespräch und sucht Kompromisse. Ich habe schon viele solche Gespräche geführt. Oft geht es beim Autorisierungsprozess zu wie bei Scheidungs- oder Koalitionsverhandlungen, manchmal schon wie auf dem Trödelmarkt. Für Formulierungen, die man wieder gewinnt, gehen andere drauf. Dabei geht es oft um einzelne Sätze oder Halbsätze, aber nie um ganze Absätze oder Fragen inklusive der Antworten.

Wegen der umfangreichen Änderungen ohne Vorankündigung hat für mich die Grundlage für solche Gespräche gefehlt. Katharina hatte mit ihrer Version auch so etwas wie vollendete Tatsachen geschaffen. Auf meine Erklärung, weshalb das Interview in autorisierter Fassung nicht erscheinen wird, antwortete sie, dass man es anders leider nicht veröffentlichen könne.

Wer die Freiheiten einer Autorisierung so weit ausdehnt, produziert letztlich mehr Fragen als Antworten. Das weckt Misstrauen. Als Journalist versucht man, die Antworten zu finden.

Die „Offenheit“ noch einmal über das Interview zu reden, kehrte erst am gestrigen Dienstag zurück. Plötzlich nannte Katharina allerdings einen anderen Grund für die gestrichenen Passagen. Sie erklärte, dass das Geschriebene nicht dem Gesprochenen entspreche (Das Interview liegt als Tonaufnahme vor. Ich bin jederzeit bereit, das Material sowie autorisierte und unautorisierte Fassung zur Verfügung zu stellen). Diese Erklärung erfolgte, nachdem ich sie mit Ergebnissen weiterer Recherchen konfrontierte.

Eine mysteriöse Autorin namens Nora Weber

Das Autorin-Profil von „Nora Weber“

Katharina hat auch in den gestrichenen Passagen deutliche Worte gefunden, kein Blatt vor den Mund genommen und klare Stellung bezogen. Es ging im Gespräch immer mal wieder auch um das Thema Aufrichtigkeit. Sie gab Einblick in den Aufbau eines neuen Mediums, brachte eine neue Perspektive in Fragestellungen ein, die wir innerhalb der Branche regelmäßig diskutieren. Sie fügte auch eine Perspektive zu einem Thema hinzu, das viele Start-ups betrifft: Die Suche nach geeigneten, strapazierfähigen Mitarbeitern.

Auch Strive hat in den vergangenen Monaten etwa eine Handvoll Zu- und Abgänge verzeichnet. Auch innerhalb kurzer Zeit. Medieninsider wurde darauf bereits vor einigen Wochen aufmerksam gemacht, dann kam (davon unabhängig) das Interview-Angebot. Katharina hatte die Fluktuation selbst angesprochen und eigentlich ordentlich begründet.

Wer im Journalismus arbeitet, braucht starke Nerven. Wer in einem journalistischem Start-up arbeitet, braucht vielleicht auch mal Nerven aus Stahl. Eine hohe Fluktuation ist derzeit allgemein üblich. Bei einem Medium in Aufbauphase läuft vieles anders als in etablierten Häusern.

Unüblich und sogar fragwürdig ist jedoch, worauf ich während meiner Recherche nach Gründen für die ganzen Streichungen im Interview noch gestoßen bin. Ich wurde auf ein mysteriöses Autorenprofil aufmerksam.

Im Jahr 2021 veröffentlichte eine Nora Weber eine Reihe von Beiträgen, insgesamt 22 Interviews zwischen Januar und November vergangenen Jahres. Einige von ihnen sind ohne weiteres aufrufbar, andere stehen hinter der Bezahlschranke. Bei den Interviewpartnern handelt es sich teilweise um namhafte und einflussreiche Unternehmer oder Personen des öffentlichen Lebens: Nordsee-Chef Carsten Horn, Unternehmerin und Seriengründerin Verena Pausder, Unternehmerin und Politikerin Verena Huberts (mittlerweile SPD-Fraktionsvize im Bundestag) oder Strive-Investorin Donata Hopfen.

Einige Merkwürdigkeiten: Anders als bei anderen Autoren-Stücken von Strive finden sich zu Nora Weber keine weiteren Angaben zur Person. Auch eine Websuche gibt keinen weiteren Aufschluss über eine Nora Weber bei Strive. Dafür eine Bildersuche.

Die Ergebnisse der Bilder-Suche nach „Nora Weber“

Das Autorenfoto im Profil von Nora Weber ist offenbar ein Stockfoto, es findet sich zigfach im Internet wieder, nur mit dem Unterschied: Bei der Nora Weber im Strive-Profil wurde ein Tattoo am sichtbaren Handgelenk wegretuschiert, das Notizbuch in der Hand ist grün statt schwarz.

Medieninsider hat bei einigen der Protagonisten in den Interviews nach Nora Weber gefragt. Eine Person erklärt, keine Nora Weber zu kennen, aber einen Kontakt zu Verlegerin Katharina Wolff herstellen zu können. Die PR-Agentur von Nordsee antwortet auf Nachfrage, zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht zuständig gewesen zu sein und keine weiteren Informationen zu haben. Auch hier ein Verweis an die Redaktion von Strive. SPD-Politikerin Verena Hubertz erklärt über ihren Büroleiter, der Kontakt für das Interview sei über Katharina Wolff direkt zustande gekommen. Man sei miteinander bekannt. Auf die Frage, ob es direkten oder persönlichen Kontakt mit Nora Weber gab, heißt es: „Frau Hubertz stand damals in telefonischem Kontakt mit der Autorin.“ Aber: „Kontaktdaten haben wir leider nicht mehr.“

Wer auch immer am Telefon gewesen sein mag, Fakt ist: Nora Weber gibt es nicht. Bei dem Strive-Profil handelt es sich um einen Fake. Wer es angelegt und darunter veröffentlicht hat, darüber gibt es aus dem Strive-Umfeld unterschiedliche Spekulationen.

Ich habe Katharina Wolff auf ihre Autorin Nora Weber angesprochen. Sie bestätigt, dass es sich bei der Autorin um keine echte Nora Weber handelt. Vielmehr sei das Profil als „einheitliches Alias“ angelegt worden, da es „zum Beispiel Praktikant:innen“ gegeben habe, „die nicht unter ihrem Namen veröffentlichen wollten“.

Es ist eine – gelinde gesagt – eigenartige Erklärung. Zumindest ich habe bislang noch keine Praktikanten erlebt, die nicht unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen wollten. Schließlich werden heutzutage zahlreiche Arbeitsproben benötigt, um überhaupt weiterzukommen im Journalismus. Wer außer „zum Beispiel“ Praktikanten noch unter dem Alias, das an keiner Stelle als solches kenntlich gemacht wurde, veröffentlicht hat, verrät Katharina Wolff nicht. Sie hält das alles auch für „extrem harmlos“ und lässt wissen: „Ich habe nichts zu verschweigen.“

Update, 9. September 2022, 10.23 Uhr:

Weitere Recherchen zeigen: Es gibt berechtigte Zweifel an Wolffs Aussagen zum Fake-Profil Nora Weber. Mehr darüber erfährst du hier.

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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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