Lokaljournalismus VierNull: Düsseldorfer Ex-Redaktionsleiter starten eigenes Angebot

In den regionalen und lokalen Medienmärkten bewegt sich etwas. In Mecklenburg Vorpommern hat gerade das Katapult-Magazin Startkapital für eine Regionalredaktion gesammelt, in Nürnberg und Münster entwickeln und treiben ehemalige Mitarbeiter der hiesigen Medien eigene Lokalmedien an. Das soll nun auch in Düsseldorf geschehen. Und dort gründet derzeit nicht irgendwer.

Hinter dem neuen Online-Medium VierNull stehen nicht einfach ehemalige Redakteure der hiesigen Lokalzeitungen – sondern Christian Herrendorf und Hans Onkelbach, die ehemaligen Lokalchefs der Westdeutschen Zeitung und der Rheinischen Post. Sie wollen der schrumpfenden Medienlandschaft in ihrer Stadt etwas entgegensetzen, Nutzern das Wesentliche bieten – gute, lokale Geschichten.

Die beiden Journalisten kommen auf mehr als 50 Jahre Berufserfahrung, gelten in der Stadt als bestens vernetzt sowie konkurrenzfähig. So beschreiben ehemalige Weggefährte der beiden Journalisten. Hinzu kommt: Sie haben große Lust. Das ließ sich Hans Onkelbach, der es im Alter von 67 Jahren noch einmal wissen will, im Gespräch anmerken. Im Interview spricht er über die Gründungsidee von VierNull, das Geschäftsmodell sowie die Gründe, bei der Suche nach Investoren auf Crowdfunding zu setzen – und nur 40.000 Euro sammeln zu wollen.

Medieninsider: Herr Onkelbach, Sie und Ihr redaktioneller Mitgründer Christian Herrendorf bringen grob überschlagen mehr 50 Berufsjahre im Journalismus mit, Sie selbst sind 67 Jahre alt. Wieso jetzt noch einmal etwas Neues?

Hans Onkelbach: Christian und ich sind beide jeweils monatelang mit dem Gedanken herumgelaufen, ein eigenes Blog für Düsseldorf zu starten. Als wir uns mal miteinander unterhielten, haben wir festgestellt, dass unsere Idee identisch sind. Der Antrieb ist ganz einfach. Wir sind Kenner der Stadt, Christian ist geborener Düsseldorfer, ich lebe seit den Achtziger Jahren hier. Mit unserem Wissen und unseren Kontakten wollen wir die Medienlandschaft wieder etwas vielfältiger machen. Denn die ist erheblich geschrumpft: In der Zeit, in der ich Lokalchef in Düsseldorf war, hatten wir hier fünf Lokalredaktionen – die Rheinische Post, die NRZ, die WZ, mit Express und Bild gab es noch zwei gute Boulevardredaktionen. Davon ist kaum etwas übrig geblieben. NRZ und WZ werden mittlerweile von der Rheinischen Post beliefert. Die Lokalseiten der Bild wurden auf eine Seite herunter gestutzt, sie bildet nicht nur Düsseldorf ab, sondern den gesamten Niederrhein. Wir sehen eine Lücke aufgehen für eine Berichterstattung, die über das hinausgeht, was den Menschen hier noch geboten wird. 

Ist die Lücke, die Sie publizistisch beschreiben, auch wirtschaftlich da?

Klar, das Anzeigengeschäft ist rückläufig und schränkt die Möglichkeiten
ein. Umso wichtiger sind vom Werbemarkt unabhängige Geschäftsmodelle
und die Konzentration aufs Digitale. Das findet oft nicht beherzt genug statt. Das Vorgehen einiger Verlage erschließt sich mir nicht, für die regionalen Medien sind die Lokalausgaben das Alleinstellungsmerkmal, da sind sie wirklich stark. Die Redaktionen sind oder waren vor Ort gut vernetzt, sie kennen sich in ihren Regionen gut aus, dort bündelt sich das Know-how. Die lokalen Einheiten sind aber über die Jahre eher geschwächt als gestärkt worden. Dafür liegt häufig der Fokus auf dem Überregionalen. Das ist zweifellos wichtig, diese Berichte aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu haben. Aber Medien wie RND, Süddeutsche, Spiegel, FAZ oder das Handelsblatt sind übermächtige Konkurrenten und schwer zu schlagen.

Sie und Christian Herrendorf haben die lokale Medienlandschaft jahrelang mitgestaltet, unter anderem als Lokalchefs bei der RP und WZ. Wie einfach ist es, jetzt etwas Neues zu starten, das auch anders ist?

Einfach ist das nicht, die Erwartungen sind bereits jetzt ziemlich hoch. Wer etwas Neues hinstellt, muss damit rechnen, dass die Leute etwas erwarten, das sich vom bisherigen unterscheidet. Wir werden den Journalismus aber nicht neu erfinden, im Gegenteil. Wir beide werden das machen, was wir schon immer gemacht haben: Wir suchen die außergewöhnlichen Geschichten, recherchieren sie gründlich und legen Wert darauf, sie gut aufzuschreiben. Das gilt nicht nur für Texte, sondern auch für die Gestaltung unseres Produkts. Wir haben mit Andreas Endermann einen tollen Fotografen im Team. Es gibt genügend Geschichten, die wir sehen, die von den etablierten Medien aber nicht bedient werden. Das liegt daran, dass ihnen die Ressourcen dafür fehlen, auch weil sie sich gleichzeitig auf viel mehr Themen stürzen müssen. Von einer großen Lokalzeitung erwarten die Menschen Infos aus der Nachbarschaft genauso wie Vereinsberichterstattung, Blaulicht- und Justizmeldungen. Wir gehen da deutlich selektiver vor und setzen uns ein bisschen intensiver mit den Themen auseinander. 

Haben Sie ein Beispiel?

Schauen Sie zum Beispiel auf das Oberthema Umwelt und Verkehr, das bei uns ein eigener Schwerpunkt sein wird. Es wird über viele einzelne Projekte gesprochen, mit denen die Kommune etwas verändern will. Gerade wurden so genannte Umweltspuren des vorherigen Oberbürgermeisters wieder entfernt. Wir schauen uns da konkret die Begründungen an, erklären, was passiert und weshalb manche Dinge unternommen werden müssen. Wir sehen uns auch an, weshalb manche Entscheidungen zwar gut sind, Probleme aber noch nicht vollends beheben. Bei Porträts suchen wir vielmehr außergewöhnliche Charaktere, überraschende Menschen. Wir haben zum Beispiel gerade einen Rechtsanwalt für Wirtschaftsrecht porträtiert, der von oben bis unten tätowiert ist. Das sind Geschichten, die Sie hier derzeit nirgends woanders bekommen. 

Dafür sammeln Sie derzeit Geld ein. Statt für klassische Investoren haben Sie sich für Crowdfunding entschieden. Weshalb?

Wir haben anfangs über klassische Investitionen nachgedacht und auch mit zwei Investoren gesprochen. Es hat sich aber relativ zügig herausgestellt, dass wir nicht zusammenkommen. In einem Fall merkte man dem Investor – selbst im weitesten Sinne aus der Medienbranche – an, inhaltlich sehr mitsprechen zu wollen. Es kristallisierten sich auch Themenideen für Menschen heraus, die weniger Probleme mit dem Geldbeutel haben. Für das allgemeine Publikum wären sie aber nicht von Interesse gewesen. Es zeigte sich zügig, dass dort ein Verständnis von Medien und Journalismus herrschte, das wir selbst für überaltert halten. Im anderen Fall, einer Gruppe von Investoren, wollte man sehr genau von uns wissen, wann wie viel Geld mit uns zu verdienen ist. Sie haben auch nicht wirklich an unser Modell geglaubt. Das hat unserem Verständnis nicht entsprochen, weshalb wir allen mitgeteilt haben, es selbst zu versuchen. Crowdfunding erschien uns logisch. 

Die Startfinanzierung ist eine wichtige Frage, viele Medien-Start-ups gehen den ungewissen Weg des Crowdfundings, auch weil es nicht so viele Investoren gibt. In Düsseldorf gibt es mit Karl Hans Arnold einen Verleger, der genügend Finanzmittel haben dürfte, aber keinen Verlag mehr hat. Das klingt doch attraktiv?

Ich kenne Karl Hans Arnold schon seit Jahren und auch er hat von uns gehört und sich neugierig erkundigt. Er fand die Idee auch ganz gut. Nun eine Brücke zu schlagen, dass er bei uns einsteigen könnte, halte ich aber für ziemlich kühn. 

Wieso denn das? Er ist immerhin Medienunternehmer mit Verbundenheit zu Düsseldorf und Geld. Das scheint mir logisch statt kühn.

Wieso sollte er einen solchen Schritt gehen? Er ist gerade nach vielen Jahren, die seine Familie bei der Rheinischen Post beteiligt war, ausgestiegen. Und auch von unserer Seite käme ein solcher Schritt nicht in Betracht, weil wir aus den genannten Gründen unabhängig bleiben wollen und werden.

Dann bleibt es erst einmal bei der Crowd als Investor, von der Sie bis Mitte Mai gerne 40.000 Euro bekommen würden. Vier erfahrene Medienmacher kann man davon nicht bezahlen. Wie sehen Ihre finanziellen Startbedingungen aus?

Die bisherigen Investments in VierNull gehen auf uns zurück, Anschaffungskosten und erste Ausgaben stemmen wir aus privaten Mitteln. Wir haben nicht nur Geld investiert, sondern auch Arbeit. Boris Bartels, unser Mann fürs Marketing, hat mit seiner Truppe Website und Layout bereitgestellt. Wir recherchieren seit Wochen an den ersten Beiträgen und Geschichten, Andreas Endermann arbeitet bereits an Fotostrecken. 

Die VierNull-Gründer (v.l.n.r.) Christian Herrendorf, Hans Onkelbach, Andreas Endermann und Boris Bartels; Foto: Johannes Boventer

Wie wollen Sie das bezahlen, wofür sollen die 40.000 Euro ausgegeben werden?

Wir alle vier gehen anderweitigen Beschäftigungen nach und verdienen als Freiberufler unser Geld. Das heißt, dass wir auf die Einkünfte aus dem neuen Projekt nicht angewiesen sind. Das klingt hochtrabend und natürlich wünschen wir uns einen Zeitpunkt, ab dem man davon leben kann. Darauf kommt erst jetzt erst einmal aber nicht an. Die 40.000 Euro benötigen wir für weitere Ausgaben, Autorenhonorare, Miete, weitere Anschaffungen. 

Glauben Sie, dass eine Gründung im Nebenjob funktionieren wird?

Von einem Nebenjob kann man wirklich nicht sprechen. Wir machen gerade die Erfahrung, dass das in Teilen in Vollzeit übergeht. Bislang haben wir das alles aber ganz gut im Griff. 

Inhalte sind im Web nur die halbe Miete, sie müssen auch unter die Leute gebracht werden. Wie soll VierNull wachsen?

Wie bereits erwähnt bin ich weit über 60 und kenne mich damit naturgemäß weniger aus als viele andere Kollegen. Wir verfügen dafür über Expertise, die wir uns über Bekannte hereinholen und die uns helfen. Darauf will ich gerade aber nicht weiter eingehen, weil wir in der Findungsphase sind. 

Sie haben eingangs den Werbemarkt angesprochen. Der ist zwar rückläufig, trotzdem ist noch Geld da. Wieso setzen Sie in Ihrem Geschäftsmodell ausschließlich auf Nutzereinnahmen?

Wir haben uns entschieden, auf Werbung zu verzichten, um wirklich absolut unabhängig zu sein. Wir merken an den ersten Reaktionen, dass das gut ankommt. 

8 Euro, 15 Euro, 40 Euro lauten die Beiträge, die Nutzer im Monat zahlen können. Was wird es dafür geben?

Wir wollen jeden Tag mindestens ein umfassenderes Stück produzieren. Dazu gibt es einen Newsletter, den wir morgens versenden werden. Hinzu kommt ein täglicher Nachrichtenüberblick, in dem wir das wichtigste in unter 40 Sekunden Lesezeit aggregieren. Wir arbeiten derzeit noch an einem Podcast-Format, das zeitnah umgesetzt werden soll. 

Woran haben Sie sich bei der Gründung von VierNull inspiriert, gab es internationale oder nationale Vorbilder?

Die gab es nicht. Wir haben uns im Zuge unserer Konzeption natürlich andere Angebote aus Düsseldorf angesehen, kleine Websites und Blogs, die hier erscheinen. Wir haben aber die Geschichten, die wir gerne schreiben und lesen, dort nicht gefunden. Dass es anderswo, beispielsweise in Münster mit Rums, etwas gibt, das der Sache sehr ähnelt, habe ich persönlich erst später festgestellt. Seitdem tauschen wir uns natürlich miteinander aus. 

Abschlussfrage: VierNull ist angelehnt an die Postleitzahl von Düsseldorf, deren ersten beiden Ziffern vier und null lauten. Ist unter der Dachmarke Platz für Hyperlokalausgaben wie 40-213 für Altstadt, 40-217 für Unterbilk?

Mit der Postleitzahl haben Sie erst einmal Recht, auch der nahegelegene Ort Meerbusch hat eine 40 vorne genauso wie Mettmann, beide Städte sind eng mit Düsseldorf verbunden. Themen, die dort wie auch in Düsseldorf bewegen, sind natürlich denkbar. Erst einmal kümmern wir uns aber um Düsseldorf insgesamt. Einzeln ins Kleinere, also in die Stadtteile, können wir gehen, wenn wir weitere Kolleginnen und Kollegen beschäftigen können. 


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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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