Seit Juni ist die von der EU vorgegebene Richtlinie zum Leistungsschutzrecht in Deutschland in Kraft. Geld fließt deshalb noch lange nicht. Zahlreiche Fragen bleiben vorerst ungeklärt und ebenso zahlreiche unterschiedliche Interessen gestalten die Lage undurchsichtig. Wer zahlt eigentlich wie viel Geld an wen – oder an wen auch nicht? Und wie steht es um die Konflikte mit Axel Springer? Medieninsider verschafft einen Überblick über das Chaos.
Es kam überraschend wie Weihnachten, das Leistungsschutzrecht (LSR). Mehrere Monate konnten sich Verlage darauf einstellen, dass die via EU-Richtlinie vorgegebene Urheberrechtsreform im Juni in Kraft tritt. Monate, wenn nicht sogar Jahre, hatten sie Zeit, sich zu organisieren. Stattdessen: nichts. Man wartete, man zögerte. Man wusste ja nicht, wie der Gesetzestext letztlich konkret lauten würde. Und nun streicht wieder wertvolle Zeit ins Land. Verlage beschäftigen sich – mal wieder – erst mal mit sich selbst. Oder um es mit den Worten von Philipp Welte, dem Zeitschriftenvorstand bei Burda und VDZ-Vizepräsidenten, zu sagen:
„Jedes Unternehmen muss für sich überlegen, welche Strategie es bei der Umsetzung des Rechts verfolgt“
Genau das geschieht nun seit Wochen. Und es ist weitgehend unklar, in welche Richtung die Branchenbeteiligten tendieren – und ob sie es gemeinsam tun. Wenig spricht dafür. Das hat mehrere Gründe: Zu viele unterschiedliche Interessen, zu unterschiedliche Beziehungen zu den jeweiligen Plattformen, unter Umständen zu unterschiedlich große Egos. Und: eine große Komplexität.
Der Streit ums Leistungsschutzrecht für Presseverleger; er spielt auf mittlerweile so vielen Ebenen. Es sei das aktuell komplizierteste und unübersichtlichste Thema, sagt ein Verlagsmanager im Gespräch.
Medieninsider benennt die zahlreichen ungeklärten Fragen und Konfliktherde, mit denen fast immer auch Axel Springer etwas zu tun hat.
Quo vadis, Verwertungsgesellschaft?
Die Frage, die sich gerade alle Beteiligten stellen müssen: Wie kommen die Verlage an potenzielle Gelder?
Der einfachste Weg führt über Verwertungsgesellschaften, die stellvertretend für die Verlage an den Verhandlungstisch treten und Lizenzdeals mit den einzelnen Plattformen abschließen. Die Auswahl ist begrenzt, knapp über ein Dutzend Verwertungsgesellschaften gibt es in Deutschland, doch nur die wenigsten davon kommen für das Leistungsschutzrecht für Presseverlage in Frage. Hierbei gilt: Je mehr Verlage eine Verwertungsgesellschaft hinter sich vereint, desto größer ist ihr Einfluss.
Viele Verlage haben in den vergangenen Jahren deshalb die VG Media in Stellung gebracht und dahinter versammelt. Heute heißt die VG Media Corint und hat viele ihrer namhaften Unterstützer verloren. Gründe werden aus der Verlagsszene dafür einige genannt:
► Der Kampf ums Leistungsschutzrecht wurde teuer: Jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen produzierten Kosten, die viele nicht mehr mittragen wollten. Andere fanden juristische Kreuzzüge von vornherein überflüssig. „Da sind Millionen verbrannt worden“, heißt es.
► Die Erfolgsaussichten wurden trüber: Je länger Streitigkeiten dauerten desto eher verloren Verlage den Glauben, sich mit dem Leistungsschutzrecht durchsetzen zu können.
► Zu hohe Kosten auch im Apparat: Nicht nur Rechtsstreitigkeiten gingen ins Geld, sondern auch die Verwertungsgesellschaft an sich. Viele Gesellschafter empfanden die internen Kosten – beispielsweise fürs Personal – als zu hoch. Jüngst bestellte Corint mit Christoph Schwennicke einen zweiten Geschäftsführer neben dem Juristen Markus Runde.
► Springers Rolle ist zu groß: Das dürfte der wohl entscheidendste Grund für jüngste Abgänge sein. Der Springer-Konzern ist nach Seven.One von ProSiebenSat.1 mit 13,36 Prozent zweitgrößter Anteilseigner der Verwertungsgesellschaft und übt den größten Einfluss aus. Springer pflegt ein intensives Verhältnis zu Geschäftsführer Markus Runde, auch Schwennicke versteht sich mit dem Konzern gut, der mit Oliver Schmidt bei Corint auch den „Head of Content Strategy“ gestellt hat. Mit Torsten Rossmann, zuvor Geschäftsführer des TV-Senders Welt, kommt auch der Aufsichtsratsvorsitzende von Axel Springer. Was der eine als Engagement bezeichnet, sehen andere als zu großen Einfluss.
Stellvertretend werden als Beispiel die Diskussionen um einen Verteilungsschlüssel genannt. Jüngst forderte Madsack-CEO Thomas Düffert öffentlich, die Lizenzeinnahmen nicht nach erzielter Reichweite zu verteilen, sondern nach anderen qualitativen Maßstäben. Zwar wurden bisherige Verteilungsphantasien lange Zeit nicht infrage gestellt, der Vorstoß kam damit spät. Allerdings endete die Debatte darüber offenbar so verhärtet, dass Madsack den Ausstieg aus Corint verkündete, um den Verhandlungsdruck zu erhöhen. Geändert hat sich daran bislang nichts.
Vorwürfe wie diese werden seitens Springer und Corint selbstverständlich nicht geteilt. Dass Springer über hohe Anteile an der Verwertungsgesellschaft halte, ließe sich schließlich durch ein Einstieg anderer verwässern, heißt es aus Unternehmenskreisen. Darüber hinaus lautet die Verteidigung, dass Springer in den vergangenen Jahren auch die höchsten Kostenanteile gehalten habe, während sich andere zurückzogen.
Corint braucht mehr Mitglieder
Aus dem Umfeld der Verwertungsgesellschaft heißt es zudem, Springer sei durchaus zu Kompromissen bereit. Auch die Gespräche bezüglich der Rückkehr Madsacks liefen konstruktiv, über weitere Verteilungskriterien werde verhandelt. Das war nicht unbedingt zu erwarten, nachdem Düffert dem Springer-Konzern vor ein paar Wochen heftig in die Parade gefahren war. Unerwartet und kurz vor einem Auftritt von Mathias Döpfner bei einer BDZV-Veranstaltung platzierte der Madsack-Chef, dass Springer vom umstrittenen Deal zwischen Upday und Facebook zurücktreten wolle. Düfferts Aktion sorgte bei Springer für mächtig Verärgerung.
Springers Dominanz dürfte auch der Grund für Hemmungen vieler sein, nun nach Inkrafttreten des LSR zu Corint Media zurückzukehren und sich von ihr vertreten zu lassen. Hinzu kommt: Das Leistungsschutzrecht ist – auch dank Corint – jetzt verabschiedet, der Weg bereitet und die Kommunikationskanäle zu manchen Plattformen besser als zuvor.
Will Corint in Verhandlungen mit den großen Plattformen gewichtig auftreten, wird die Verwertungsgesellschaft allerdings noch mehr Anklang in der Branche finden müssen. Derzeit vertritt sie weniger als die Hälfte der bestehenden Rechte in Verlagen. Anspruch sind eher 70 bis 80 Prozent.
In der Klientenliste fehlen vor allem überregionale Publisher. Weder die Verlage der Zeit, Handelsblatt, FAZ, Süddeutsche oder des Spiegel stehen im Corint-Portfolio. Für viele andere Unentschlossene hätten sie aber eine gewisse Sogwirkung. Zwischen den Verlagsbossen und Corint gibt es immer wieder Gespräche, eine Annäherung bislang aber nicht.
Wenn nicht Corint, wer dann?
Unterdessen stellt sich für viele Verlage die Frage nach Alternativen – und die sind begrenzt. Eine gemeinsame Verhandlungsallianz zu schmieden, ist kartellrechtlich nicht möglich, eine neue Verwertungsgesellschaft auf- oder eine bestehende umzubauen (wie damals VG Media) kompliziert, langwierig und ebenfalls teuer. Ausgeschlossen ist es aber nicht.
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