Seit bald einem Jahr steht Moritz Döbler an der Spitze der Rheinischen Post. Gefunden hat er seine Rolle offenbar aber noch nicht. Die Redaktion fremdelt mit ihrem neuen Chefredakteur – auch weil er sich oft im Ton vergreift. Gefallen lassen will man sich das nicht mehr.
Am gestrigen Dienstag lud Moritz Döbler seine leitenden Angestellten zu einer Gesprächsrunde ein. Es war der Auftakt eines Formats des offenen Austauschs. Das ist wohl nötig. Denn das erste Jahr mit dem neuen Chefredakteur sei kein angenehmes gewesen, berichten Kollegen gegenüber Medieninsider. Zwischen Döbler und seiner Belegschaft herrscht noch keine Eiszeit, es fröstelt aber gewaltig. Intern zweifelt man daran, dass man noch warm miteinander werden kann.
Döbler, so heißt es aus Gesprächen mit mehreren Quellen, habe Probleme, sich innerhalb der Redaktion zu etablieren. Er gebe keine klare Linie vor, die großen Ansagen fehlten, er verfange sich vielmehr in Mikromanagement. Aus wichtigen strategischen Operationen ziehe er sich raus. Und dann sei da noch die Kommunikation. Döbler vergreife sich oft im Ton, heißt es. Interne Nachrichten, die Medieninsider aus anonymer Quelle zugespielt und mithilfe mehrerer Quellen verifiziert wurden, erhärten diesen Eindruck.
Auf den lauten Bröcker folgt der leise Döbler – ein krasser Kulturwandel
Döbler steht offiziell seit dem 1. Januar 2020 an der Spitze der Redaktion. Er trat den neuen Job damit, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, unter schweren Bedingungen an. Nur wenige Wochen nach seinem Start breitete sich die Corona-Pandemie auch in Deutschland aus. Auch das Jahr der Rheinischen Post war geprägt von Home Office und Wechselschichten im Büro. Ankommen unter solchen Bedingungen ist schwierig, eigene Akzente setzen auch. Hinzu kommt: Döbler bedeutet für die Redaktion ohnehin einen radikalen Kulturwandel.
Der 55-jährige Döbler ist anders als die Chefredakteure vor ihm, vor allem als sein direkter Vorgänger Michael Bröcker. Der 43-Jährige wurde bei der Rheinischen Post sozialisiert, hat dort bereits volontiert, stieg vom Wirtschaftsredakteur in Mönchengladbach zum Chef des Hauptstadtbüros auf, wurde 2014 schließlich Chefredakteur. Bis zu seinem Wechsel zu The Pioneer im vergangenen Jahr hat Bröcker keine andere deutsche Redaktion von innen erlebt. Er hat die Rheinische Post gelebt und geprägt. Das führte in der Belegschaft auch dazu, über manche Defizite hinwegzusehen. Bröcker, so sagen einige, sei nicht immer zu jedem gleich fair gewesen, habe sich nicht auf jeden gleich viel konzentriert, auch habe ihm manchmal der Blick fürs Lokale gefehlt. Er sei laut, manchmal überrumpelnd, aber eben ein Menschenfänger. Bei der Rheinischen Post habe er eine Idee für die Zeitung gehabt, heißt es, Leute überzeugen können und sie zugleich machen lassen. Für das konservative Haus galt er zudem als progressiv. Gegenüber dem kantigen Bröcker wirkt Döbler fast profillos.
Döbler ist nicht laut und generell das ziemliche Gegenteil eines Rheinländers – zurückhaltend, weniger impulsiv, bedacht. Wer eine solche Art nicht gewohnt ist, mag sie als befremdlich empfinden. Gelernt hat der Journalist an der Nannenschule, begann seine Karriere bei den Nachrichtenagenturen dpa und Reuters, bevor er 2005 zum Tagesspiegel wechselte, zunächst als Leiter des Wirtschaftsressorts, danach als Geschäftsführender Redakteur. 2015 holte ihn der Weser Kurier als Chefredakteur nach Bremen, machte ihn drei Jahre später auch zum Mitglied des Vorstands. Döbler vertrat Redaktion und wirtschaftliche Interessen in Personalunion.
Vom Wechsel von der Weser an den Rhein war man in der Redaktion der Rheinischen Post überrascht. Zuletzt wurde in Teilen der Redaktion Berlin-Chefin Eva Quadbeck als ernstzunehmende Nachfolgerin für Bröcker gehandelt. Die Geschäftsführung aber habe sich schließlich wegen des Blicks für beide Seiten, das Redaktionelle wie auch Verlagsinteressen, für Döbler entschieden, heißt es. Geschäftsführer Johannes Werle formuliert das auf Anfrage von Medieninsider so:
„Für die Berufung zum Chefredakteur der Rheinischen Post sind die journalistischen Kompetenzen entscheidend. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Herausgeber der Rheinischen Post eng in den Auswahlprozess eingebunden waren. Grundsätzlich schadet es in unserer Branche aber sicherlich nicht, wenn Chefredakteure wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen, und Verlagsverantwortliche redaktionelle Kenntnisse haben oder sogar schon einmal in Redaktionen tätig waren.“
Döblers Umgang mit der Belegschaft
Döbler schaut aufs Geld, das ist Teil seiner Jobbeschreibung. Innerhalb der Belegschaft scheinen vielmehr aber Döblers Redaktionsmanagement wie auch sein Umgang mit Mitarbeitern das Verhältnis zu belasten. Erst im vergangenen Monat kam es zum Eklat.
Anfang November erreichte den Chefredakteur ein internes Schreiben, unterzeichnet von 18 Kolleginnen und Kollegen, nahezu die gesamte Führungsmannschaft der Rheinischen Post steht unter dem Brief. Sie wollten den Neuen in die Schranken weisen, zumindest ein Zeichen setzen.
Zuvor hatte Döbler den Artikel einer jungen Kollegin kritisiert. In einem Text über das Negertal, durch das der Fluss Neger fließt, hatte sie den Artikel „der“ statt „die“ verwendet. Ein ärgerlicher Fehler in einem sprachlich sensiblen Zusammenhang. Die Journalistin hatte den Flüchtigkeitsfehler nicht allein übersehen, auch an Text- und Produktionschefs ging er vorbei. Statt in kleiner Runde übte der Chefredakteur Kritik in großer. In sehr großer.
Der Eklat
Im internen Slack-Kanal mit mehr als 300 Mitgliedern schrieb er, das Feature sei in einem „zentralen, peinlichen Punkt falsch“. Und weiter: „Leider ist es in der Zeitung falsch erschienen und wäre eine Korrektur so peinlich, dass ich darauf lieber verzichten möchte.“ Die junge Kollegin hatte er im Slack-Channel nicht nur namentlich erwähnt, sondern konkret adressiert. Für die Kollegen ging das zu weit. „Konkret stößt die Art und Weise Ihrer Kritik an dem Text bei Kolleginnen und Kollegen auf Unverständnis“, heißt es in dem Schreiben an Döbler. Über den Grammatikfehler schreiben sie:
„Über seine Bewertung mag man verschiedener Meinung sein – wir halten ihn mehrheitlich weder für peinlich noch für zentral –, aber wegen des Tons haben wir Ihren Post einhellig als Bloßstellung unserer Kollegin empfunden.“
Und:
„Wir möchten nicht, dass eine solche Ansprache Teil der Kommunikationskultur der Rheinischen Post wird.“
Innerhalb der Redaktion gilt der Vorgang, sich geschlossen mit Kritik an den Chefredakteur zu wenden, mindestens als außergewöhnlich. Manche sprechen von einem Novum. „Die RP ist kein Laden, in dem man sich auf die Hinterbeine stellt. Dort arbeiten brave Leute“, sagt jemand aus der Redaktion. In einem konservativen Medienhaus wie der Rheinischen Post trage man Konflikte normalerweise anders aus. Allerdings habe man ein so kompliziertes Verhältnis zu einem Chefredakteur noch nicht erlebt. „Es ist ein Symptom dafür, dass er den Draht zur Redaktion nicht findet.“ Das machen die Verfasser des Briefs noch einmal deutlich. Es handelt sich nicht um Döblers ersten Ausrutscher. „Viele von uns hat das an Ihren Newsletter vom 11. Juli zur Humbug-Serie erinnert.“
Zur Erinnerung:
Die „Humburg-Serie“ war ein damals von den Volontären der RP durchgeführtes Projekt, angestoßen von Chefredakteur Döbler selbst. Idee war, unterschiedliche Verschwörungstheorien aufzugreifen und mit ihnen aufzuräumen.
Liebevolle Abschiedsgrüße – nur nicht für Döbler
Die beiden Vorfälle mit den jungen Frauen sind nicht die einzigen, die die Gemüter in der Redaktion erhitzen. Erstaunt war man auch über die Abschiedsmail einer lokalen Redaktionsleiterin und langjährigen RP-Mitarbeiterin. Zwischen der Journalistin, die ihre Position in Teilzeit (dem Vernehmen nach 80 Prozent) ausgefüllt hatte, und dem Chefredakteur muss es zuvor zu einem ernsten Konflikt gekommen sein. In ihrer hauptsächlich liebevollen Abschiedsmail Ende Juli schrieb sie an einen großen Verteiler:
„Eins noch, weil es mir wichtig ist, Herr Döbler: Es ist nicht das Problem einer berufstätigen Mutter!“
Über den konkreten Vorfall wird innerhalb der Redaktion nur spekuliert. Nicht jeder hält ihren Abgang, den sie ohne Kontext formuliert hat, für gelungen. Manch einer vermutet eine gezielte Spitze. Auf Nachfrage erklärt Döbler, die Mitarbeiterin habe von sich aus gekündigt, zu Personalgesprächen könne er sich nicht äußern, aber: „In der Redaktion gibt es einige berufstätige Mütter, auch in Führungspositionen, die allesamt hervorragende Arbeit leisten. Ich unterstütze das ausdrücklich und habe großen Respekt vor dieser Doppelbelastung, für die sich Männer immer noch zu selten entscheiden.“
Was zuvor vorgefallen ist, erklärt der Chefredakteur nicht, auch die betroffene Kollegin lehnt eine Stellungnahme ab.
Der Umgang Döblers mit Kollegen stoße in der Redaktion oft auf Unverständnis. „Er trifft selten den richtigen Ton“, sagt jemand. Mitarbeiter griffen seine Äußerungen entweder als zu negativ oder im Falle von positivem Feedback als zu überschwänglich auf. Ein Mittelmaß erlebe man kaum. Besonders in Redaktionskonferenzen erlebe man ihn besserwisserisch, sagen einige. Döbler lege eine „Top-Checker-Attitüde“ an den Tag, beschreibt es eine Führungskraft. Eine andere ergänzt: „Er beansprucht für sich die Absolutheit“. Im direkten Umgang sei der Chefredakteur zugänglicher, berichten einzelne.
„Ich dachte jetzt schlägt seine Stunde, als großer Stratege“
Situationen wie diese stiften Unruhe und schaffen Unsicherheit in einer Phase, in der die Transformation eines Medienhauses zuletzt durch Corona noch einmal an Bedeutung gewinnt. In der Redaktion wünscht man sich eine klare Richtung, in die es durch die Krise gehen soll.
Entsprechend war man auf Führungsebene auch am 23. Mai dieses Jahres erstaunt, als Döbler zum Strategiemeeting lud. Es sollte um eine neue Organisation innerhalb der Rheinischen Post gehen, um die Struktur unter Moritz Döbler, um seine Akzente.
„Ich dachte, jetzt schlägt seine große Stunde als Stratege“, erinnert sich eine der teilnehmenden Personen. Die Erwartungen aber sollten nicht erfüllt werden, Döbler präsentierte keinen Plan. Stattdessen stellte er eine Arbeitsgruppe zusammen, sich etwas zu überlegen. „Er hat die Konzeptionierung einfach delegiert“, sagt jemand. Denn: Döbler selbst habe sich an der Arbeitsgruppe nicht beteiligt.
Möglicherweise wollte der Chefredakteur damit Vertrauen symbolisieren, die Redaktion in ihrer Selbstständigkeit bestätigen. Er selbst erklärt auf Nachfrage: „Die Arbeitsweise in der neuen Struktur sollte gerade nicht von oben verordnet werden. Eine Reihe von Projektgruppen hat eigenständig Ergebnisse erarbeitet, die wir jetzt gemeinsam umsetzen.“
Einige haben es als solche Geste erkannt. Die Projektarbeit hätte eine Möglichkeit gegeben, Prozesse aktiv mitzugestalten, erklärt jemand aus dem Redaktionsumfeld. Andere haben die Aktion anders aufgenommen. Vor allem als Desinteresse.
Dass Döbler die Redaktion noch nicht verstanden habe und auf Kommunikation weniger wert lege, habe auch ein Vorschlag gezeigt, den er zur Diskussion stellte, sagen Mitarbeiter. Dabei ging es um die Abschaffung des so genannten NRW-Teams, ein Mantelressort, das die Seite 3 genauso bespielt wie den Panorama-Teil. Döbler soll eingeworfen haben, die festen Seitenzuständigkeiten aufzulösen, aus dem Ressort ein Reporterteam zu formen. Es habe weniger der Gedanke an sich gestört als vielmehr, dass Döbler die betroffenen Führungskräfte zuvor nicht mit der Idee konfrontiert hatte. „Es war ein Gedankenspiel, aber eines, dass wirklich überrascht hat“, heißt es. Jemand anderes erinnert sich, man habe Döbler Idee „aufwendig“ wieder ausreden müssen. Döbler selbst sagt: „In einem internen Workshop haben wir verschiedene Szenarien diskutiert, aber eine Auflösung des Ressorts gemeinsam verworfen.“
Für einige aus dem Redaktionsumfeld führt aber auch die neue Struktur zu Unzufriedenheit. Vor allem die Ressortleiter hätten Einfluss verloren, heißt es. Das liegt daran, dass die Umstrukturierungen in einem Punkt entschlossener sind als noch unter Döblers Vorgänger angedacht. Fürs Digitale wurde bereits unter Bröcker beschlossen, ein Newsmanagement einzurichten, das über das Agenda Setting entscheidet. Die Ressortleiter sollten sich hingegen weiter um Print kümmern. Unter Döblers Ägide hat das Newsmanagement nun für alle Kanäle das Sagen. Die Ressortleiter bestimmen nur noch inhaltlich mit. Besonders langjährigen Mitarbeitern soll das weniger gefallen, heißt es.
Wenig Hoffnung auf Besserung
Der schwierige Stand Döblers hat also unterschiedliche Gründe. An der Verärgerung durch neue Strukturen lässt sich wohl wenig ändern, womöglich aber an der Kommunikation. Möglicherweise benötigt er zukünftig nicht mehr knapp drei Wochen, um auf einen Brandbrief seiner Führungskräfte zu antworten. Darin schrieb er dann aber:
„Sie haben recht – ich habe die Zahl der Desk-Channel-Nutzer nicht auf dem Schirm gehabt und merke tatsächlich erst durch Ihre Mail, was ich angerichtet habe. Das tut mir leid.“ Um eine Bloßstellung sei es ihm nicht gegangen – auf die Peinlichkeit aber beharrte er, eine Parallele zu seinem Newsletter-Fauxpas erkenne er nicht. „Aber auch für mich gilt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“
Auf Medieninsider-Anfrage, weshalb Redaktion und Chef den Draht zueinander noch nicht gefunden haben, ergänzt Döbler gegenüber Medieninsider:
„Wir haben die Organisation und die Abläufe in einem gemeinsamen, sehr konstruktiven Prozess in der gesamten Redaktion grundlegend verändert, um die Anforderungen unserer digitalen Medien konsequent erfüllen zu können. Dass dabei Reibungspunkte entstehen, erst recht in diesen ohnehin schon schwierigen Corona-Zeiten, versteht sich von selbst. Wir sind auf einem sehr guten Weg.“
In der Redaktion erkennt man an, dass er das Verhältnis nicht einfrieren lassen will. Der Termin am Dienstag, auf den bereits vier weitere folgen sollen, wird als Bemühung verstanden. Ob die Gespräche mit der Führungsriege das unterkühlte Verhältnis wieder erwärmen können, bleibt abzuwarten. In der Redaktion ist man nach den ersten zwölf Monaten unter Döbler skeptisch. Um es mit einer der bisherigen Stimmen aus der Redaktion zu sagen: „Wir befinden uns in einem Mix aus Waffenstillstand und Duldungsstarre.“
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