Die interne Krisenkommunikation bei Axel Springer geht in die nächste Runde: Nachdem sich CEO Mathias Döpfner am Freitag erstmals bei Bild-Mitarbeitern und Betroffenen entschuldigt hatte, folgte am Montag ein ausführliches Q&A. Eineinhalb Stunden lang beantworteten Döpfner, News-Vorstand Jan Bayer sowie die gesamte Bild-Führungsriege Fragen von Mitarbeitern.
Die Truppe schaltete sich – zusammen versammelt und nebeneinander stehend – aus einem Büroraum im Axel Springer-Gebäude hinzu. Neben Döpfner und Bayer waren auch die drei Chefredakteure Alexandra Würzbach, Claus Strunz und Johannes Boie anwesend sowie die beiden Geschäftsführer Carolin Hulshoff-Pol und Claudius Senst.
Es ging um…:
► … das neue Motto bei Bild, das an die Wahlkampagne der SPD erinnert.
► … die neuen Leitlinien, die Chefredakteur Boie eine Woche nach Amtsantritt formuliert hat.
► … die Gründe für ein Trio an der Spitze von Bild.
► … die Versäumnisse des Managements und in der Krisenkommunikation.
► … die Reaktionen von Investor KKR.
Medieninsider hat die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.
Bild wirbt jetzt mit „Respekt“
Ziel der Veranstaltung war nicht nur eine gewisse Transparenz zu verdeutlichen, sondern der Belegschaft Perspektive aufzuzeigen. Immer wieder appellierte die Führungsriege daran, den Blick nach vorne zu richten. Geschäftsführer Senst:
„Bild soll nach außen strahlen und nach innen wieder leuchten.“
CEO Mathias Döpfner, der sich zu Beginn noch einmal für die Strapazen der vergangenen Wochen entschuldigte („Es tut mir sehr leid, dass es Euch nicht erspart geblieben ist“), betonte ebenfalls noch einmal:
„Wir müssen diese fürchterliche Krise nutzen.“
Ein Begriff, mit dem in diesem Jahr bereits die SPD gewisse Erfolge feierte, soll nun auch bei Bild ein fest verankertes Schlagwort werden: Respekt. BamS-Chefin Würzbach:
„Das Wort Respekt hat wieder Einzug erhalten in diesem Haus.“
TV-Chef Strunz:
„Respekt ist die zentrale Begrifflichkeit.“
Döpfner mit Blick auf die Unternehmenskultur:
„Es geht um Respekt und Angstfreiheit.“
Das neue Credo griff auch Johannes Boie auf. Eine Woche nach seinem überraschenden Amtsantritt brachte er gleich vier neue Leitsätze mit:
Erstens: Kultur des Respekts stärken. Der Chefredakteur kündigte gleich einen Umbau auf der Chefetage im 16. Stock an. Der Kulturwandel solle sich auch architektonisch widerspiegeln. Heißt: Das große, alte Chefredakteursbüro, das noch den Geist der Vorgänger Diekmann und Reichelt atmet, dürfte bald passé sein. Das dürfte auch für weitere Büros gelten.
Zweitens: Journalistische Exzellenz stärken. Im Zentrum stehe fortan die Leistung. Außerdem Boies Ziel: „Ich möchte, dass uns 80 Millionen Deutsche mögen.“
Drittens: Story first. Im Mittelpunkt solle immer die Geschichte stehen, nicht der Ausspielweg. Die Produkte (Print, Digital, TV) sollen wieder gleichrangig behandelt werden, Konferenzen grundsätzlich auf die Inhalte ausgerichtet sein. Damit kassiert, wie bereits Döpfner, nun auch Boie den Ansatz „TV first“ seines Vorgängers.
Viertens: Boulevard revitalisieren. „Wir müssen positive Emotionen auslösen, dass man auch mal lacht, wenn man die Zeitung aufschlägt.“
Worin der neue Chefredakteur, der laut Mitarbeitern selbstbewusst und bestimmend auftrat, keinen Anlass zur Nachjustierung sieht:
„Inhaltlich, politisch sehe ich wenig Korrekturbedarf.“
„Große Härte gehört auch dazu. Wer denkt, wir schauen nicht so genau hin, hauen bei Fehlverhalten von Politikern nicht mehr drauf, der irrt.“
Niemand müsse vor Bild Angst haben, außer den „5000 Mächtigen“, so Boie weiter. Und Döpfner:
„Wir sind stolz auf das Prinzip Boulevardjournalismus. Woran wir arbeiten müssen, sind kulturelle Missstände.“
Dennoch – allerdings gelobte hier auch schon Julian Reichelt Besserung – schwingen auch versöhnlichere Töne mit. Claus Strunz:
„Ich glaube Bild als Gesamtbrand kann sich verbessern in der Hinsicht, dass wir nicht immer nur gegen alles sind. Wer dauernd gegen etwas ist, muss auch mal sagen, wofür er ist. Ich habe mir vorgenommen, bei er Ausrichtung des TV-Programms auch darauf zu achten.“
„Die Doppelspitze ist gescheitert“
Um Respekt ging es auch beim Umgang mit Alexandra Würzbach. Neben Reichelt noch zur Co-Chefredakteurin berufen, findet sie sich nun unter Johannes Boie und neben Claus Strunz wieder. Innerhalb der Redaktion sorgte das in Teilen für Verwunderung. Döpfner in Anspielung auf die damalige Doppelspitze Reichelt/Tanit Koch:
„Wir wollten das, was zweimal nicht funktioniert hat, nicht ein Drittes Mal probieren.“
Auch Würzbach gab zu:
„Die Doppelspitze ist gescheitert, das ist Fakt. Die Anwesenden kennen die Gründe.“
Wohl humorvoll fügte sie hinzu:
„Aus zwei mach drei, kenne ich noch nicht.“
Dass nicht Würzbach, sondern Boie den Vorsitz der Chefredaktion übernommen hat, begründet Döpfner wie folgt:
„Es sollte jemand von außen sein.“
Und weiter:
„Meine Prognose ist: In dieser Struktur wird Alexandra Würzbach mehr gestalten können und mehr zu sagen haben als vorher in der Doppelspitze.“
Blieben noch viele Fragen zu Reichelt, die der Vorstand nur bedingt beantwortete, sowie zur Berichterstattung über Axel Springer. Bayer zur Frage, weshalb man Reichelt nicht bereits früher abberufen habe:
„Mit den Erkenntnissen, die wir damals hatten, glauben wir auch noch heute, damals richtig entschieden zu haben.“
Boie verspricht: keine Boy-Groups mehr
Das Bild, das nun in der Öffentlichkeit gezeichnet werde, findet der News-Vorstand „nicht in Ordnung“. Auf die Frage, ob Reichelt letztlich nur wegen der Berichterstattung der New York Times und dem damit verbundenen Druck abberufen worden ist, sagt Bayer:
„Das ist Quatsch.“
Und führt fort:
„Wir haben nicht wegen der New York Times gehandelt, sondern auch im Zuge einer anderen Recherche weitere Hinweise bekommen und deswegen gehandelt. Allein wegen der Berichterstattung in der New York Times zu handeln, wäre ein bisschen billig gewesen.“
An Johannes Boie richtete sich die Frage, wie er verhindern will, dass zukünftig weiter „Boy-Groups“ das Sagen hätten. Zum Hintergrund: In einem ersten Porträt rückte der Spiegel den neuen Chefredakteur ebenfalls in die Nähe einer Club-Mentalität. Seine Antwort:
„In dem ich das nicht zulassen werde. So habe ich nie gearbeitet, so werde ich auch nie arbeiten. Das ist nicht mein Stil, davon hätte ich auch nichts. Das werdet ihr merken.“
Kritik an Krisenkommunikation
Auf die Frage, ob man kommunikativ alles richtig gemacht habe, sagt Bayer:
„Nein, haben wir nicht. Wir hatten natürlich auch eine besondere Dynamik.“
Döpfner über seine Video-Ansprache kurz vor Abflug nach Washington:
„Also um 5 Uhr morgens Videos zu Hause auf dem Dachboden zu drehen, ist nicht die allerbeste Idee. Ich wollte aber unbedingt schnell ein Signal senden.“
Zurechtgerückt wurde auch noch einmal die transportierte Haltung, Whistleblower aus dem Compliance-Verfahren zu verfolgen. Döpfner erklärte, dass Whistleblower ein entscheidender Bestandteil der Offenheitskultur seien und deshalb Rückhalt gewährleistet werden müsse. Bayer stellt noch einmal klar, dass man juristisch lediglich gegen die Veröffentlichung von anonymen Gesprächsprotokollen vorgegangen sei – „als Arbeitgeber aus Fürsorgepflicht, um die Beteiligten zu schützen“. Dies sei nicht als Aktion gegen Whistleblower zu verstehen.
Döpfner wird noch einmal emotional
Döpfner wiederholte seine Aussage vom Freitag. Er stelle sich die Frage, ob man nicht hätte schneller handeln sollen, um Opfer und Bild-Mitarbeiter zu schützen. Zeitgleich verteidigte er Bayers Position, dass das Wissen damals nicht ausgereicht habe:
„Ich bin da sicher nicht in einer selbstzufriedenen Phase.“
Und dann macht Döpfner seiner Unzufriedenheit plötzlich noch einmal Luft – und sucht Verantwortung beim Betriebsrat:
„Was mich vielleicht am allermeisten ärgert: Wir haben uns vor drei Jahren dafür eingesetzt, eine klare Regelung im Haus zu haben, dass private Beziehungen transparent gemacht werden müssen. Das ist damals nicht umgesetzt worden. Das ist letztlich an Persönlichkeitsschutzrechtsargumenten auf der Seite der Arbeitnehmervertreter gescheitert. Das halte ich aus heutiger Sicht für einen Fehler und da habe ich mich vielleicht nicht genug energisch gegen alle Widerstände eingesetzt. Denn dann wäre uns jetzt vieles erspart geblieben.“
„Ich kann jetzt nur hoffen, dass wir das jetzt wirklich ganz schnell hinkriegen.“
Schließlich holte Döpfner noch einmal gegen Theorien aus, dass es auch auf Vorstandsebene eine Buddy-Kultur gäbe, dass dort persönliche Interessen vorherrschten, Reichelt zu decken und deshalb nichts unternommen zu haben:
„Da muss ich sagen, das ist für mich eigentlich das verletzende Missverständnis. So etwas gibt es bei mir nicht, hat es nie gegeben, wird es nie geben. Wir versuchen es einfach nur gut zu machen, aber manchmal machen wir es eben nicht gut genug.“
„Glaubt uns bitte, dass wir im Vorstand Menschen sind, die es einfach gut für dieses Unternehmen, gut für Bild entscheiden wollen. Und dass das manchmal schwerer ist, als es aus der Perspektive mit viel Abstand und von außen erscheint.“
„Vor mir muss keiner Angst haben. Wenn mir einer die Wahrheit sagt, hat niemand etwas zu befürchten.“
Döpfner: „Alles großer Mist“, trotzdem keine persönlichen Konsequenzen
Trotz aller Reue-Reden und Vertrauensbekundungen, gab sich Döpfner allerdings weiterhin unantastbar. Auf die Frage, ob auch er als CEO Konsequenzen ziehen würde, sollte der neue Bild-Chef ebenfalls scheitern, sagte er lediglich:
„Wenn er scheitert, kommt der nächste. Und ich glaube, er wird nicht scheitern.“
Zum Abschluss appellierte der CEO noch einmal daran, den Fokus nicht aus den Augen zu verlieren:
„Das ist alles ganz großer Mist und ich weiß, was bei euch vorgeht.“
Aber:
„Versucht einfach, euch wirklich total darauf zu konzentrieren, dass wir alle jetzt überraschen mit der Qualität und mit der Leidenschaft, mit der wir Bild machen – und mit der Entschiedenheit, mit der wir wirklich aus diesen bitteren Erfahrungen jetzt lernen und uns an die Spitze moderner Arbeitskultur setzen.“
Überhaupt appellierte die Führungsriege immer wieder an die Arbeitsmoral der Belegschaft, forderte dazu auf, es Außenstehenden jetzt noch einmal zu zeigen und eine Kraftanstrengung vorzunehmen – obwohl im selben Termin Überforderung, Überlastung und Kollaps (vor allem mit Blick auf Bild TV) eingestanden worden sind. Gewisse Widersprüche waren an diesem Tag also nicht zu verkennen.
Gutes Verhältnis zu KKR bestehe weiter
Kurz ging es auch um die Rolle von KKR. Aufgehängt am dort gerade erfolgten Vorstandswechsel fragte jemand nach dem Rückhalt des US-Investors. Wie stehen die beiden neuen CEOs zu Axel Springer? Döpfner:
„Ich kenne die kaum und das weiß ich nicht. Aber Henry Kravis (Miteigentümer von KKR, Anmerk. d. Red.) bleibt bei uns im Shareholder-Committee. Er hat mich angerufen und gesagt, für Axel Springer ändert sich nichts. Es ist das Investment, das er am Anfang zuerst mit uns besprochen hat und er fühlt sich da auch persönlich absolut weiter motiviert, an Bord zu bleiben und neben Johannes Huth der entscheidende Ansprechpartner für uns zu bleiben.“
Gleiches gelte auch für die jüngsten Vorgänge im Unternehmen. KKR habe sowohl die Entscheidung für Julian Reichelt im Frühjahr unterstützt als auch die nun erfolgte Entscheidung, den Chefredakteur von seinem Amt zu befreien. Döpfner stellte mit Blick auf die Demission unmissverständlich klar:
„Es standen nicht wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund, sondern es ging darum das Richtige zu tun.“
Offen blieb bei dieser Runde, wie Julian Reichelt selbst zu den jüngsten Vorwürfen und Ereignissen steht. Der Ex-Chef von Bild ist seit seiner Demission – die im dem Vernehmen nach während des Urlaubs erfolgte – abgetaucht. Der Vorstand jedenfalls wollte auf keine Nachfragen zu Reichelts Person, seinem noch anhaltenden Anstellungsverhältnis oder Details des Compliance-Verfahrens beantworten. Ob Reichelt sich selbst noch einmal gegenüber Bild-Mitarbeitern erklären werde, so Bayer, liege bei ihm.