In welche Journalisten-Falle tappst du?

Dein Lese-Letter #35/20

Hallo Medieninsider!

Es ist noch keine zwei Monate her, dass der Tagesspiegel sein digitales Bezahlangebot Tagesspiegel Plus gestartet hat und damit über den Newsletter Checkpoint hinaus Geld von seinen Lesern verlangt. Ich habe die Chefredakteure Mathias Müller von Blumencron und Christian Tretbar unmittelbar nach dem Start zum Gespräch für den INSIGHT zum Thema Paid Content und Subscriptions getroffen. Zum Launch haben wir das Interview für dich als Medieninsider ausgekoppelt und auf der Website veröffentlicht. Blumencron und Tretbar sprechen offenen über die technologischen Herausforderungen, die sie beim Aufbau von Tagesspiegel Plus hatten, wie auch über die kulturellen Vorbereitungen innerhalb der Redaktion. Beides hatte den Start, der schon 2018 angekündigt war, verzögert. Tretbar sagt:

„Um einmal deutlich zu machen, aus welchem Stadium wir gekommen sind: Bis vor etwa einem Jahr haben wir E-Paper-Abonnenten ihre Zugänge noch per Post geschickt. Für Tagesspiegel Plus war es erst einmal notwendig, ein ordentliches digitales Fundament zu bauen.“

Vor den technischen Neuerungen sei es aber erst einmal um interne Abläufe und eine neue Arbeitskultur gegangen, so Blumencron weiter. Man habe zuerst Online- und Print-Einheiten zusammengeführt, Teams für kanalunabhängige Recherchen sowie für die Produktion und Steuerung von Inhalten für Print und Online installiert. So habe man es geschafft, dass auch Print-Redakteure gut fürs Netz arbeiten. Müller von Blumencron:

„Das bedeutete aber erst einmal ein großes Umdenken im Kopf.“

Blumencron und Tretbar sprechen auch darüber, wie sie Nutzer an Tagesspiegel Plus heranführen wollen, genauso über die inhaltliche Ausrichtung. Dass sich Paid Content und hohe Reichweiten gegenseitig ausschließen, macht Blumencron deutlich, auch die Werbevermarktung bleibe wichtig:

„Das Mantra ‘Reichweite ist tot’ ist der größte Bullshit der letzten Jahre.“

„Wer in dieser Zeit auf ein paar Millionen Euro verzichten kann, den kann ich nur beglückwünschen. Wir können es nicht.“

Auch der neue Lizenzdeal mit Google, nach dem einige Verlage zukünftig Geld für Snippets bei Google News erhalten, ist genauso ein Thema, wie das Verhältnis zu den Tech-Konzernen. Müller von Blumencron:

„Wir würden auch was mit Facebook machen. Wir empfinden Google allerdings als den angenehmeren Partner.“

Gegen die Vermutung, dass man beim noch nicht ganz fertigen News-Produkt von Google nicht genau wisse, worauf man sich als Verlag einlasse, streitet Tretbar ab:

„Wir kennen auch unsere Einflussmöglichkeiten, sodass nicht gegen unser Interesse gehandelt werden kann.“

Die Erläuterungen zu Blumencrons und Tretbars Aussagen sowie weitere Einblicke in die redaktionellen Abläufe und strategische Gedanken kannst du als Medieninsider im ausführlichen Interview nachlesen.


Mehr News aus der Woche

Amazon arbeitet an Doku über Bild

Was hinter den Kulissen von Bild geschieht, bleibt in der Regel Redaktionsgeheimnis. Nun hat Chefredakteur Julian Reichelt aber einen besonderen Einblick gewährt. Nach Medieninsider-Recherchen dokumentiert ein externes Filmteam das Treiben bei Bild. Das Ergebnis seit Monaten andauernden Dreharbeiten soll als Doku bei Amazon Prime erscheinen. Mehr Details erfährst du als Medieninsider hinter diesem Link.

Welche Medien Politiker bei Twitter teilen

Wissenschaftler von der Universität Hamburg und der TU Dortmund haben untersucht, welche Medien Bundestagsabgeordnete bei Twitter teilen. Bei der quantitativen Analyse kam heraus: Politiker von Union, AfD und FDP verbreiten vor allem Artikel der Welt weiter, während bei Parteien links der Union Artikel des Spiegel mit Abstand die meist verbreiteten sind. Die Union ist mit 157 unterschiedlichen Medien die am wenigst pluralistische Partei.

fsdf

Beim Blick aufs Themenspektrum fallen bei einigen Parteien besondere Intensitäten auf: Die AfD-Politiker teilen besonders stark Artikel über Kriminalität und Minderheiten, die Abgeordneten der Linke vor allem zu internationalen Konflikten.

Eine Zusammenfassung der Studie haben die Autoren beim European Journalism Observatory veröffentlicht, das ganze Paper findest du hier.

Apple transkribiert nun auch deutsche Podcasts für bessere Suchergebnisse

Apple weitet die Transkriptionsfunktion bei Podcasts auf Deutsch und neun weitere Sprachen aus und ermöglicht damit die Stichwortsuche innerhalb von Podcasts. Wenn Apple für die Verbesserung der Suchergebnisse statt dem Beschreibungstext auf das Transkript ausweicht , wird dies durch den Hinweis “Protokoll” gekennzeichnet. Trotz der Transkribierung lässt Apple es nicht zu, jenes Transkript zu lesen oder gar per Klick auf ein Wort an die Stelle im Podcast zu springen.

US-Medien veröffentlichen Demografie-Reports

US-Medien veröffentlichen Demografie-Reports Gannett, mit USA Today und 260 lokalen Titeln der größte Zeitungsverlag der USA, hat die Zusammensetzung seiner Belegschaft untersucht und dabei festgestellt: In vielen Fällen spiegeln die Redaktionen die gesellschaftliche Zusammensetzung nach Herkunft und Geschlecht kaum wider. Die Ergebnisse der Untersuchung hat das Medienhaus in einem Report veröffentlicht und zugleich Verbesserungen angekündigt: Bis zum Jahr 2025 sollen die Redaktionen die Diversität des Landes widerspiegeln, zugleich soll die Anzahl der Journalisten, die über Herkunft, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung berichten, erhöht werden. Durch die Veröffentlichung des Reports hat Gannett die Basis geschaffen, sich messen zu lassen. In den vergangenen Wochen und Monaten haben auch schon die Washington Post und die New York Times entsprechende Berichte veröffentlicht.


In welche Fallen Journalisten immer wieder tappen

Journalismus ist ein People Business – und wo Menschen arbeiten, da läuft es nicht immer rund. Wir machen Fehler, handeln emotional, wir sind anfällig für Marotten und lassen uns sogar bewusst oder unterbewusst beeinflussen. Das ist nicht immer schön, gehört aber einfach dazu und an vielem davon kann man sogar arbeiten – wenn man sich nur einiges bewusst macht.

Unsere Kolumnistin Alexandra Borchardt hilft dabei. Sie hat einige „Fallen“ zusammengetragen, in die Medienschaffende und Redaktionen immer wieder tappen. Aus psychologischen Gründen, aus Konkurrenzdruck oder auch einfach aus Bequemlichkeit. Wie die „Ego-“, die „Hierarchie-“ oder auch die „Innovations-Falle“ aussehen, kannst du hier in ihrer Kolumne nachlesen.

Community

Fallen dir weitere Fallen ein, in die Journalisten immer wieder tappen, die aber vermeidbar sind, wenn man sie sich nur mal bewusst macht? In unseren Gruppen bei LinkedIn, Xing und Facebook sammeln und diskutieren wir Vorschläge – schau doch mal im Netzwerk deiner Wahl vorbei!


Lesetipp

Wie twitterst du eigentlich über deinen eigenen Arbeitgeber? Ausschließlich positive Dinge, oder im Zweifel lieber gar nicht, bevor du etwas schreibst, das Kollegen oder Vorgesetzte verärgern könnte? Kritische Tweets über die eigene Organisation sind oft ein sensibles Thema, werden als Illoyalität gewertet und führen mindestens zu unangenehmen Gesprächen. Wenn etwas missfällt, sollte man es doch intern diskutieren anstatt Meinungsverschiedenheiten nach außen zu tragen.

Gerade deshalb ist die Meinungsäußerung von Max Zeising – unabhängig vom Inhalt der Aussage – bemerkenswert. Er twitterte seinen Unmut über ein Interview seines Arbeitgebers MDR mit dem AfD-Politiker Björn Höcke.

Wenn sich Mitarbeiter gegen das eigene Unternehmen richten, kann das unterschiedliche Folgen haben. Bill Grueskin, ehemals leitender Redakteur beim Wall Street Journal und Bloomberg und heute Professor an der Columbia Journalism School, nennt in seinem Beitrag für die Columbia Journalism Review Beispiele dafür. So gelang einem (prominenten und standhaften) NBC-Reporter via Twitter die schnelle Korrektur eines Tweets aus dem Newsroom. Der öffentliche Weg, schreibt Grueskin, könnte dabei sogar der weniger riskante gewesen sein. In einem anderen Fall führte ein Tweet jedoch zur Trennung von Journalist und Zeitung. Grueskin nennt den Fotografen Michael Santiago, der einer Kollegin öffentlich beigesprungen war, nachdem sie von der Berichterstattung über die „Black Lives matter“-Demonstrationen abgezogen wurde. Grueskin über das Vorgehen der Journalisten:

„Sie machten auf Fehler aufmerksam, die schnell und transparent behoben werden mussten. Aufgrund ihrer beträchtlichen Erfahrung und ihrer hart erarbeiteten Glaubwürdigkeit könnten ihre Handlungen auch zu systemischen Veränderungen in ihren Nachrichtenorganisationen führen.“

Auch wenn der Professor keinen Lösungsansatz für das Verhalten von Journalisten bei Twitter hat, so liefert er immerhin einen Denkanstoß – möglicherweise ist öffentliche Kritik nicht immer als Diskreditierung und kritisch zu bewerten. Sondern als Symbol für eine gute, transparente Streitkultur, die Medien von manchen Seiten schließlich regelmäßig aberkannt wird. Grueskins Beitrag findest du hier.

Hab noch eine schöne Woche! Viele Grüße senden

Marvin und Levin

Schick uns dein Feedback!

Wenn dir der Artikel gefällt, dann teile ihn in sozialen Netzwerken, aber nicht als PDF innerhalb deiner Organisation. Dafür ist eine Lizenz notwendig.

Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

DEINE MEINUNG IST GEFRAGT

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Hier Namen eintragen