Hallo Medieninsider!
der Axel-Springer-Konzern ist in den Modus der Krisenkommunikation gewechselt. Nachdem man sich mehrere Tage lang bedeckt gehalten hatte, wandte sich der Vorstand am gestrigen Dienstag in einer internen Mitteilung an die Mitarbeiter. CEO Mathias Döpfner und News-Vorstand Jan Bayer bestätigten damit erstmals das Compliance-Verfahren bei Bild und warben gleichzeitig um Vertrauen. Oder versuchten es.
„Bitte glauben Sie uns, auch wir wollen so viel Transparenz wie möglich. Wir wollen, dass jeder ohne Angst auf mögliche Missstände und Fehlverhalten hinweisen kann.“
Ähnliches, nur weniger demütig, tat Bild-Chefredakteur Julian Reichelt bereits am Vormittag in der Redaktionskonferenz.
„Das ist zum Glück nicht der erste Tag, in den ich gehe, ohne zu wissen, wie er ausgeht.“
Reichelt habe schon Sachen erlebt, die „deutlich schlimmer“ waren, sagte er wohl in Anspielung auf seine frühere Karriere als Kriegsreporter. Er betonte seine „Gelassenheit.“
Das mag plausibel klingen, authentisch ist es aus Reichelts Munde nicht. Der Mann lebt für Bild. Manch einer sagt, er könne gar nicht ohne Bild leben. Er selbst beschrieb es am Dienstag so: „Alles, was ich in meinem Leben getan habe, habe ich immer für diesen Laden getan.“ Für den Chefredakteur geht es um viel, wenn nicht sogar um alles für ihn.
Reichelt wird vorgeworfen, seine Machtposition und entsprechende Abhängigkeitsverhältnisse seiner Angestellten ausgenutzt zu haben, auch von Mobbing ist die Rede. Er weist das zurück („Was da vorgeworfen wird, stimmt nicht“). Es geht vor allem um den Umgang mit Frauen. Nachdem am Montag zunächst der Spiegelberichtete, veröffentlichten auch wir eine entsprechende Nachricht.
Für Bild und für Axel Springer geht es um mehr als um ein paar Beschwerden gegen den Chefredakteur. Es geht auch um mehr als um die Frage von Schuld oder Unschuld der Person Reichelt (für die die Unschuldsvermutung gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist). Es geht um die allgemeine Frage, was für eine Unternehmenskultur man geschaffen, und ob man negative Entwicklungen zu lange übersehen hat – oder sogar ignoriert. Es geht um die Frage, ob moderne Arbeitskultur und ein gesundes Klima von Mathias Döpfner nicht nur ständig gepredigt, sondern in seinem Unternehmen auch gelebt werden. Es geht um Verantwortung, Glaubwürdigkeit und natürlich auch ums Image. Aller Beteiligten.
Rund um das Compliance-Verfahren liegen derzeit viele Puzzle-Teile zerstreut und auch wir bei Medieninsider versuchen, sie aufzusammeln und zusammenzusetzen. Das braucht vor allem zwei Dinge: Zeit und Sorgfalt. Denn immer wieder mischen sich Teile unter das Sortiment, die verformt sind, fehlerhaft oder sogar gar nicht zum Bausatz gehören – womöglich aber zu weiteren Teilen einer Puzzle-Serie, von der wir noch nicht wissen, wie umfangreich sie ist.
An dieser Stelle wird Medieninsider deshalb mit keinen weiteren Erkenntnissen oder Ergebnissen aufmachen, auch wenn ich es gehofft hatte. Wir sortieren noch. Das machen wir gewissenhaft und mit notwendiger Ernsthaftigkeit. Einen satirischen Umgang mit einigen kursierenden Details, über die wiederum unterschiedliche Versionen im Umlauf sind, halten wir für wenig dienlich. Journalismus soll aufklären, keine Verwirrung stiften. Wir bleiben an den Thema dran, versuchen die vielen Facetten, die die aktuellen Vorgänge haben, zu verstehen.
Interne Ermittlungen gegen
Bild-Chef Julian Reichelt
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Ein Machtkampf eskaliert
Ruhigere Zeiten gab es auch schon einmal bei der Rheinischen Post. Während wir im Dezember darüber berichteten, dass Redaktion und ihr Chefredakteur nicht warm miteinander werden, braute sich im Hintergrund bereits ein weitaus größerer Konflikt zusammen. Auf Gesellschafterebene der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft ist man sich eigentlich nur noch in einer Sache einig: miteinander geht es nicht mehr.
In der vergangenen Woche sollte es deshalb zum Showdown kommen und zum Ende einer 75-jährigen Ära: Die Gründungsverlegerfamilie Arnold sollte ihren Ausstieg unterzeichnen. Doch ein für vergangenen Freitag angesetzter Notartermin wurde kurzfristig wieder abgeblasen, Verhandlungspunkte wieder aufgemacht. Ein Machtkampf eskaliert. Meinen Artikel dazu kannst du als Medieninsider hier nachlesen.
Mehr News & Entdeckungen aus der Woche
zusammengetragen von Florian Boldt
Journalistinnen der Tamedia-Gruppe wehren sich gegen Sexismus
78 Redakteurinnen kritisieren die Tamedia-Medien für eine sexistische Arbeitskultur. In einem offenen Brief heißt es, Frauen würden in der Schweizer Mediengruppe „ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert.“ Es herrsche eine „von Männern geprägte Betriebskultur“, fast alle wichtigen Positionen seien durch Männer besetzt. Frauenthemen würden „unverhältnismäßig hart kritisiert, teilweise niedergemacht“. Die Journalistinnen fühlten sich oft mehr als Gegenstand behandelt denn als Teil der Redaktionen. Viele Frauen hätten Tamedia daher bereits verlassen. Der offene Brief umfasst zwölf Seiten. Auf acht davon werden konkrete Beispiele für Sexismus und Diskriminierung innerhalb der Redaktionen aufgelistet. Das Schreiben findest du hier bei Twitter, weiterführende Artikel bei Persoenlich.com oderSpiegel.
Spiegel-Auswertung zum Frauentag zeigt Überrepräsentanz von Männern
Männer kommen im Spiegel rund dreimal öfter vor als Frauen. Zum Internationalen Frauentag hat das Hamburger Nachrichtenmagazin gut 40.000 Artikel ausgewertet, die in den vergangenen 12 Monaten erschienen sind. Auf 107.000 Nennungen von Männern kommen 28.000 Frauen. Nur in 37 Prozent der Spiegel-Artikel würden Frauen überhaupt erwähnt. „Das Ergebnis ist ernüchternd“, schrieb Chefredakteur Steffen Klusmann. Dass die Auswertung deutlich zuungunsten der Frauen ausfalle, stimme ihn nachdenklich. Der Spiegel wolle „die Welt abbilden, wie sie ist“. Dazu gehöre auch eine höhere Repräsentanz von Frauen. Diversität liefere außerdem besseren Journalismus. Das Editorial von Steffen Klusmann kannst du hier nachlesen. Mehr über die Spiegel-Auswertung findest du hier.
Nach Übernahme durch BuzzFeed: Stellenabbau bei HuffPost
BuzzFeed setzt den Rotstift an und entlässt nicht einmal einen Monat nach der Übernahme der HuffPost 47 ihrer Mitarbeiter (8 im Management, der Rest in der Redaktion). Das entspricht in etwa einem Drittel der HuffPost-Belegschaft in den USA. CEO Jonah Peretti gab den Schritt in einer Videoschalte bekannt und verkündete zugleich die Einstellung der HuffPost in Kanada. Laut Peretti habe die HuffPost vergangenes Jahr einen Verlust in Höhe von 20 Millionen Dollar gemacht. Auch wenn BuzzFeed profitabel arbeite, habe man keine Ressourcen für weitere Verlustjahre. BuzzFeed hatte die HuffPost erst vor etwa drei Wochen vom US-Konzern Verizon Media übernommen. Mehr Infos findest du hier bei der HuffPost.
Analysten sicher: Spotify wird Apple im US-Podcast-Markt deutlich überholen
28,2 Millionen Menschen hören in den USA mindestens einmal im Monat einen Podcast über Spotify. Das zeigt eine neue Analyse des Marktforschers eMarketer. Apple Podcasts kommt demnach nur auf 28 Millionen Hörer und liegt erstmals hinter Spotify. Allein 2021 werde Spotify die Hörerzahlen um 41 Prozent auf 33,1 Millionen steigern. Bis 2023 könnten sogar 37,5 Millionen monatliche Hörer erreicht werden. Für Apple Music erwarten die Marktanalysten im gleichen Zeitraum einen Anstieg auf 28,8 Millionen. 2018 habe Apple Music noch einen Marktanteil von 34 Prozent verzeichnet, in diesem Jahr seien es nur mehr 23,8 Prozent. Spotifys Vorteil sei das hohe Investitions- und Innovationstempo. Apple habe sich schlicht auf seiner bisherigen Spitzenposition ausgeruht. Hier findest du die gesamte Analyse von eMarketer. TechCrunch hat sich näher mit dem Thema auseinandergesetzt.
Deutschland ist Hauptziel russischer Desinformations-Kampagnen
Mehr als 700-mal haben russische Medien seit 2015 bewusst Falschnachrichten über Deutschland verbreitet. Die Bundesrepublik ist damit laut einer Auswertung der Europäischen Union das Hauptziel russischer Desinformationskampagnen. Kein anderer EU-Staat wird so häufig angegriffen. Hinter Deutschland folgen Frankreich (über 300 Fälle) und Italien (über 170). In dem EU-Bericht heißt es unter anderem, „der Kreml entwirft ein Bild von einem Deutschland, in dem es wenige vernünftige Stimmen inmitten eines Chors irrationaler ‚Russophobie‘ gibt.“ Russland verhalte sich der Bundesrepublik gegenüber „doppelzüngig“. „Systematisch“ sollen die Kampagnen „Unsicherheit schaffen, Zwietracht säen“ und Deutschland sogar „gegen andere EU-Mitgliedstaaten ausspielen“. Den kompletten EUvsDisinfo-Bericht kannst du hier nachlesen.
Google verzichtet ab 2022 auf personalisierte Werbung
Google will ab 2022 darauf verzichten, Anzeigen zu schalten, mit denen Nutzer über mehrere Webseiten verfolgt werden könnten. Anstelle von personalisierter Werbung setzt das Unternehmen künftig auf Gruppenprofile anhand ähnlicher Interessen. „Menschen sollten nicht akzeptieren müssen, dass sie im gesamten Web getrackt werden, um die Vorteile relevanter Werbung zu nutzen. Und Werbetreibende müssen nicht einzelne Verbraucher im gesamten Web verfolgen“, schrieb Google-Produktmanager David Temkin in einem Blogpost. Mit 52 Prozent Marktanteil ist Google das weltweit größte digitale Werbeunternehmen. Die Abkehr von personalisierten Trackern könnte einen Wandel für die ganze Branche bedeuten. Mehr zum Thema erfährst du von der Tagesschau.
Lesetipp
Auch über 30 Jahre nach dem Mauerfall gilt Deutschland in vielen Lebensbereichen noch nicht wieder als vereint. Das Ost-West-Gefälle betrifft auch die Medien. Schon oft wurde darüber geschrieben, dass Zeitungen im Osten von zu vielen Menschen (und Verlagen) aus dem Westen gemacht werden. Die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung hat sich nun einmal den Lesermarkt angesehen. Und siehe da: Die überregionalen Titel aus dem Westen kommen in den neuen Bundesländern kaum an.
► Die Süddeutsche verkauft dort nur 2,5 Prozent ihrer Gesamtauflage
► 3,4 Prozent sind es bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
► Beim Spiegel sind es 4 Prozent
Die Ergebnisse der Studie möchte ich dir heute als Lesetipp mitgeben. Die taz hat sie sich näher angesehen.
Viele Grüße sendet dir
Marvin