Was Journalisten für ihre mentale Gesundheit tun können

Ausgabe #13/21

Hallo Medieninsider!

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche im Lese-Letter erwartet:

► Die Rheinische Post in Düsseldorf bekommt Konkurrenz von zwei ehemaligen Lokalchefs

► Reichelts erster interner Auftritt nach der Rückkehr zu Bild – und wie das Comeback zu bewerten ist

► Spotify bereitet einen Clubhouse-Konkurrenten vor

► Ex-Springer-Manager Stefan Betzold arbeitet bald für Readly

► Was Journalisten für ihre mentale Gesundheit tun können


Lokaljournalismus VierNull

VierNull-Co-Gründer Hans Onkelbach; Foto: Johannes Boventer
VierNull-Co-Gründer Hans Onkelbach; Foto: Johannes Boventer

Im deutschen Lokaljournalismus bewegt sich etwas. Außerhalb der etablierten Verlagshäuser entstehen neue, unabhängige Angebote:

► Rums in Münster feierte am vergangenen Wochenende seinen ersten Geburtstag. 1500 Abonnenten hat das Lokalmedium bereits gefunden. 

► Ebenfalls seit einem Jahr arbeitet die Journalistin Alexandra Haderlein in Nürnberg an einem Angebot, das die etablierten Medien um einen konstruktiven Ansatz ergänzen soll.

► Innerhalb weniger Tage sammelte das Katapult-Magazin über 19.000 Euro ein, um in Mecklenburg-Vorpommern einen regionalen Ableger als Konkurrenz zum Nordkurier zu starten.

► Und auch in Düsseldorf entsteht ein neues Lokalangebot, seit vergangenem Wochenende ist VierNull online, per Crowdfunding werden noch Geld und erste Abonnenten gesammelt. 

Hinter drei der vier genannten Angebote stehen Journalisten, die selbst mehrere Jahre für die örtlichen Lokalmedien recherchiert und berichtet haben. Nun wollen sie der schwindenden Vielfalt etwas entgegensetzen. In ihren Geschäftsmodellen verzichten sie auf Werbung und setzen voll auf die Finanzierung ihrer Nutzer. Das trifft auch auf Christian Herrendorf und Hans Onkelbach zu. 

Herrendorf und Onkelbach sind die Gründer von VierNull und in Düsseldorf nicht irgendwelche Journalisten, sondern sehr erfahrene. Über 15 Jahre war Onkelbach Chef der Düsseldorfer Lokalredaktion der Rheinischen Post, Christian Herrendorf einige Jahre davon sein Stellvertreter, bevor er als Lokalchef zum Konkurrenten Westdeutsche Zeitung wechselte. Nun haben sich die beiden wieder zusammengefunden, treten gemeinsam gegen ihre ehemaligen Arbeitgeber an. 

Mit VierNull (der Name ist angelehnt an die ersten beiden Ziffern der Postleitzahl von Düsseldorf) wollen die beiden Journalisten darauf reagieren, dass mittlerweile Lokalteile beliefert werden oder im Umfang immer geringer ausfallen. Der möglichst umfassenden Berichterstattung aus der Tageszeitung sowie den reichweitengetriebenen Online-Auftritten wollen sie mit einem reduzierten und kreativen Lokalangebot entgegnen. 40.000 Euro sammelt das Team, das auch aus dem Fotografen Andreas Endermann und Marketing-Mann Boris Bartels besteht, dafür derzeit ein. Weshalb das so ist, was die Gründer genau vorhaben und wie VierNull  funktionieren soll, erklärt Hans Onkelbach im Interview. Als Medieninsider kannst du es hier lesen

Über Gründungen im Journalismus habe ich bereits oft berichtet. Falls dich das Thema umtreibt, hier eine kleine Übersicht:

► US-Report: So steht es um das Ökosystem journalistischer Gründungen

► Lookout: Eine Blaupause für modernen Lokaljournalismus

► Münster und Nürnberg: Die Wiederbelebung des Lokaljournalismus

► Newsletter statt Verlag: Die Emanzipation des Journalisten

► Keine Lust auf schlechte Laune: Was diese Investigativ-Reporter anders machen wollen


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Reichelts Reue-Rede vor der Bild-Belegschaft

Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Foto: Axel Springer SE
Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Foto: Axel Springer SE

Julian Reichelt ist nach Abschluss des Compliance-Verfahrens zurück in die Bild-Redaktion gekehrt, am Montagnachmittag trat er gemeinsam mit Co-Chefredakteurin Alexandra Würzbach, CEO Mathias Döpfner und den Vorständen Jan Bayer und Stephanie Caspar (virtuell) vor die Belegschaft. Es ging um Aufklärung und Erklärung zu den Vorgängen der vergangenen Wochen.

Zur Erinnerung: Julian Reichelt wurde vorgeworfen, seine Macht als Chefredakteur gegenüber Angestellten missbraucht und Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt zu haben. Dabei ging es vor allem um den Umgang mit Mitarbeiterinnen. Im Rahmen der mehrwöchigen internen Ermittlungen ließen sich Hinweise nicht belegen, wohl aber gestand Reichelt ein, einvernehmliche Beziehungen gehabt zu haben. Ein Fehlverhalten. Aber keines, das gegen die Verhaltensregeln des Konzerns verstößt, keines, für das man sich von Reichelt trennte. 

Vor der Belegschaft sprach zuerst Döpfner, dann Reichelt, dann Würzbach. Bayer und Caspar beantworteten – wie auch die anderen – Fragen. Wir haben der internen Veranstaltung nachrecherchiert und dokumentiert, was gesagt wurde. Den Artikel dazu kannst du als Medieninsider hier lesen

Mit der Rückkehr Julian Reichelts haben wir uns bereits vergangene Woche, unmittelbar nach der offiziellen Ankündigung befasst. Darüber, was das Comeback des Chefredakteurs bedeutet und wie die neue Führungskonstellation zu bewerten ist, haben wir zwei Artikel veröffentlicht:

► Reichelts Abschied von der Allmacht

► Reichelt und Würzbach: Springers Führungsexperiment bei Bild


Mehr News & Entdeckungen aus der Woche

zusammengetragen von Florian Boldt

ZDF heute erweitert Online-Angebot um konstruktiven Journalismus

Am 7. April startet ein neuer ZDF heute-Blog, der nach Senderangaben „über positive Entwicklungen, Lösungen und inspirierende Geschichten informiert“. Ein Angebot an konstruktivem, problemlösendem Journalismus werde immer öfter von jüngeren Nutzern eingefordert, so heute-Redaktionsleiter Frederic Huwendiek. Huwendiek und Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin. Ein Interview mit den beiden Journalisten findest du bei Dwdl.

Katapult startet digitalen Lokal-Ableger

Katapult, das „Magazin für Kartografik und Sozialwissenschaft“, geht in Mecklenburg-Vorpommern mit einem digitalen Lokalangebot an den Start. 19.000 Euro hat das Magazin dafür innerhalb weniger Tage über Crowdfunding eingesammelt. Davon würden zunächst fünf Stellen für Redaktion und Grafik geschaffen, kündigte Chefredakteur Benjamin Fredrich an. In weiteren Finanzierungsphasen will Katapult Geld sammeln, um das Angebot künftig auf lokale Berichterstattung in Groß- und Kleinstädten auszuweiten. Als Motivation für den Start des Ablegers Katapult MV nannte Friedrich die fehlende journalistische Vielfalt in der Region. Mehr über das Projekt erfährst du hier.

Bertelsmann verzeichnet 2020 Rekordgewinn

Bertelsmann hat im vergangenen Jahr mehr als drei Milliarden Euro Gewinn gemacht. Der Medienkonzern erzielte damit ein Rekordergebnis im operativen Geschäft. Unterm Strich bleibt ein Konzernergebnis von 1,5 Milliarden Euro – 34 Prozent über dem Wert aus 2019. Der Umsatz sank um 4,1 Prozent auf 17,3 Milliarden Euro. Hauptsächlich sei das auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Werbemarkt und das Printgeschäft zurückzuführen. Positiv stachen insbesondere die Bertelsmann-Töchter Penguin Random House und Arvato hervor. Beide Unternehmen steigerten ihren operativen Gewinn 2020 um mehr als 20 Prozent. Den kompletten Bertelsmann-Jahresbericht findest du hier.

Bertelsmann stoppt Podcast-Plattform Audio Now in Frankreich

Nach nur einem halben Jahr ist Schluss für den französischen Audio Now-Ableger. Die Podcast-App, die die Bertelsmann-Töchter Prisma Media und Groupe M6 betrieben haben, wurde in der vergangenen Woche abgeschaltet. Gegenüber new business erklärten die Betreiber, die strategischen Prioritäten hätten sich „verschoben“. Beide Tochterunternehmen könnten darüber hinaus bald aus dem Bertelsmann-Portfolio fallen. Während bei Prisma ein Verkauf an Vivendi bevorsteht, prüft die RTL Group derzeit einen Verkauf der TV-Sendergruppe M6. Hier erfährst Du mehr zum Audio-Now-Aus, hier findest Du weitere Infos zum Bertelsmann-Rückzug.

RTL nimmt Klima-Format ins Programm

RTL schafft Platz für eine regelmäßige Klima-Berichterstattung. Das neue Format werde nach Angaben des Senders im Umfeld von RTL Aktuell gezeigt und auf „fundierte und zugleich verständliche Klimaberichterstattung“ setzen. Eng in die Planungen eingebunden ist die Initiative Klima vor Acht, die sich seit Gründung im August 2020 für eigene Klima-Formate im deutschen Fernsehen einsetzt. Die ARD hatte der Initiative jüngst eine Absage erteilt. Details zu Gestaltung und Start der Sendung ließ RTL offen. Bereits am 22. April nimmt der Schwestersender ntv ein Klima Update ins Programm. Maik Meuser moderiert das Format, das in Zusammenarbeit von RTL, ntv, Geo und stern entsteht. Die RTL-Pressemitteilung findest du hier.

Axios und The Athletic wollen fusionieren – und gemeinsam an die Börse

Die US-Portale Axios und The Athletic befinden sich verschiedenen Medienberichten zufolge in Gesprächen über eine Fusion. Anschließend sei ein gemeinsamer Börsengang geplant. Alex Mather, CEO von The Athletic, sei laut Wall Street Journal Mitte März mit dem Vorschlag an Axios-CEO Jim VandeHei herangetreten. Die Gespräche seien allerdings in einem sehr frühen Stadium, ein Scheitern nicht auszuschließen. Jim VandeHei erklärte, dass beide Portale eine „gemeinsame Leidenschaft für Premium-Content“ teilten und sich daher regelmäßig austauschten. Forbes hat sich ausführlich mit dem Gerücht beschäftigt. Mehr dazu findest du hier.

Spotify übernimmt Clubhouse-Konkurrenten Betty Labs

Spotify kauft Betty Labs, das Unternehmen hinter der Social-Audio-App Locker Room, und steigt damit ins Geschäft der Social-Audio-Plattformen ein. Locker Room, das sich gezielt an Sport-Interessenten wendet, soll als eigene Marke fortbestehen, strategisch aber umpositioniert werden. Zukünftig soll das Angebot auch die Themen Musik und Kultur bedienen. Mehr dazu findest du hier.

Aus dem Personalticker:

► Julia Jäkel verlässt Gruner + Jahr, Stephan Schäfer neuer CEO

► Readly will Stefan Betzold ins Non-Executive-Board berufen

► Tibor Martini wechselt von der dpa zum stern

► Holger Schellkopf wird Chefredakteur bei t3n


Lesetipp

Kevin Carters größter Erfolg als Fotojournalist sollte zu seinem größten Verderben beitragen. 1994 erhielt der Südafrikaner den Pulitzer-Preis für sein ein Jahr zuvor geschossenes Foto The vulture and the little girl. Wenige Wochen später nahm er sich das Leben

Sein Foto, das zuerst die New York Times druckte, zeigte ein junges, ausgehungertes Kind, zusammengekauert im Sand des Sudans. Im Hintergrund, nur wenige Meter entfernt, lauerte bereits ein Geier (hier das Foto). Das Foto wurde zum Symbol des überforderten Afrikas.

Die Reaktionen auf das Werk des Fotografen waren extrem, nicht nur politisch. Auch gegen ihn persönlich. Carter wurde vorgeworfen, die Situation für seine Karriere ausgenutzt zu haben anstatt dem Kind (direkt) zu helfen.

Ich erinnere mich an den Fall Carter aus meinem Studium als Beispiel für moralische Konflikte im Journalismus (helfen oder dokumentieren?) und als extremes Beispiel dafür, was der Beruf mit Journalisten macht. Womit wir bei meinem Lesetipp für diese Woche wären:

Viele Journalisten erleben im Laufe ihrer Karriere traumatische Momente, andere belastet der Beruf durch seine Intensität und den hohen Stress-Level. Wieder andere vergessen oder verlernen – besonders in Home-Office-Zeiten wie diesen – einfach mal abzuschalten. Nicht jeder weiß von alleine, damit umzugehen. Hier setzt das International Journalists Network an.

Das Tookit Mental Health and Journalism setzt sich mit psychologischen Themen für Journalisten auseinander, fasst Wissenswertes zusammen und beschreibt, wie mit gewissen Auswirkungen umgegangen werden kann, dokumentiert Tipps und Tricks von Experten. Nur drei Beispiele:

► Tipps für Journalisten, die über belastende und traumatische Geschichten berichten.

► Umgang mit digitaler Überforderung als Journalist

► Wie Klimaberichterstattung auf die mentale Gesundheit schlägt

Das International Journalists Network ersetzt keine professionelle Hilfe, es liefert aber erste Impulse der Selbstauseinandersetzung. Das Toolkit findest du hier


Viele Grüße sendet dir 

Marvin

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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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