Diese Medientrends erwartet das Reuters Institute 2021

Wie sieht das Medienjahr 2021 aus? Diese Frage hat nicht nur Medieninsider beschäftigt, sondern auch das Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford. Das ist dieser Frage mit wissenschaftlichem Ansatz nachgegangen und hat über 200 Medienentscheider aus 43 Ländern gefragt: Was wird im Jahr nach Ausbreitung der Corona-Pandemie für die internationale Medienbranche wichtig?

Autor Nic Newman hat die Ergebnisse und daraus abgeleitete Trends auf 38 Seiten veröffentlicht. Zusammen mit dem Digital News Report gehört seine Arbeit zu den meist beachteten Veröffentlichungen des Reuters Institute. Medieninsider hat die Ergebnisse zusammengefasst.

Arbeiten im Newsroom: Es wird nicht mehr so sein wie zuvor

Das Coronajahr 2020 hat das Arbeiten in Newsorganisationen verändert, Medienproduktion funktioniert auch dezentral. „Wir werden nie wieder in den herkömmlichen Newsroom zurückkehren“, ist María Ramirez, Deputy Managing Editor bei der größten spanischen Tageszeitung El Diario, überzeugt. Bereits vergangenen Oktober berichtete das Reuters Institute, dass etwa die Hälfte der Nachrichtenorganisationen die Flächen ihrer Newsrooms verkleinern will – mit Folgen:

► 77 Prozent gaben bereits im Oktober an, dass sich unter veränderten Arbeitsbedingungen die Stimmung ändere. Beziehungen aufzubauen oder zu pflegen, sei schwieriger geworden. Auch die Sorge um die psychische Gesundheit von Mitarbeitern sei gestiegen.

► Zwar möge die Effizienz in der Nachrichtenproduktion gestiegen sein, berichtet Nic Newman nun, allerdings sorgten sich Führungskräfte bei zunehmender Arbeitsbelastung und neuer Komplexität zugleich um die Kreativität ihrer Redaktionen.

► Gelitten hätten nicht nur die Beziehungen untereinander, sondern auch zwischen Journalisten und der Außenwelt. Die 24/7-Nachrichtenlage und Beschränkungen durch die Pandemie hätten Journalisten „an ihre Schreibtische“ gekettet. Manche Nachrichtenorganisationen versuchten, durch Crowdsourcing-Ansätze und technologischen Möglichkeiten, neue Bindungswege aufzubauen.

► Die neuen Bedingungen könnten zu Unruhen führen, auch weil Rahmenbedingungen noch nicht gefunden sind, so der Autor des Reuters Institute. „Vom Krisenmodus hin zu einem nachhaltigen Modell zwischen hybridem und persönlichem Arbeiten wird eine der Schlüsselherausforderungen werden.“

Neues Selbstvertrauen im Journalismus

► Ein positiver Nebeneffekt der Pandemie: Journalisten hätten in der Krise neues Selbstvertrauen in sich und ihre Produkte gewonnen. Trotz wirtschaftlicher Krise sei das Vertrauen in die Medienunternehmen mit 73 Prozent stark geblieben. Das Selbstvertrauen in den Journalismus an sich ist von 46 Prozent im Vorjahr auf 53 Prozent gestiegen.

► Angesichts der Verbreitung falscher Informationen und Fake News in sozialen Netzwerken sehen sich Journalisten in ihrer Arbeit bestärkt (68 Prozent), 22 Prozent sehen die Position des Journalismus geschwächt. Auch die in vielen Ländern umstrittene Rolle des öffentlichen Rundfunks sei gestärkt worden, glaubt Newman.

► 2021 rücken laut Newman auch neue Expertisen in den journalistischen Fokus. Die Pandemie habe News-Organisationen ein geringes Verständnis von Wissenschaft und Technologie vor Augen geführt. Mehr Know-how solle auch im Umwelt-Segment aufgebaut werden.

Geschäftsmodelle: Herausforderungen für Paid Content, Diversifizierung der Erlösströme

Mit Blick auf digitale Geschäftsmodelle entwickelte sich die Corona-Pandemie zum Transformationsmoment für Paid Content. Anders als in den vergangenen Jahren profitierten nicht nur bereits weit fortgeschrittene Anbieter wie New York Times oder Washington Post in den USA, sondern auch kleinere Medien.

► Mit 51 Prozent glauben etwas mehr als die Hälfte der von Newman befragten Führungskräfte, dass sich Abonnement-Modelle über die bereits führenden Medien hinaus bewähren können. 41 Prozent zeigen sich hingegen skeptisch.

► Die Entwicklung stimmt dem Report zufolge optimistisch, aber nicht euphorisch. Die digitalen Abo-Umsätze reichten noch nicht, um Verluste aus bisherigen Geschäften zu kompensieren, schreibt Newman. In den USA seien die großen Anbieter weiterhin dabei, kleinen Angeboten aus regionalen und lokalen Strukturen das Wasser abzugraben. „Eine große Anzahl der Anbieter sind noch in Schwierigkeiten, dieses Jahr ist weiterhin mit Konsolidierungen, Sparmaßnahmen und Schließungen zu rechnen.“


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► Herausforderung werde zudem sein, gewonnene Nutzer über die Krise hinaus zu halten, Rezessionsgefahr und drohende Arbeitslosigkeit könnten dies erschweren. Newman sieht Preisreduzierungen und besondere Sparangebote als Reaktion darauf. Bereits jetzt würden Medien wie das Wall Street Journal spezielle Angebote, beispielsweise für Arbeitslose, unterbreiten.

► Die Covid-Effekte spiegeln sich auch in der Prioritätenliste der Publisher wieder. Werbe-Formate wie Display-Anzeigen oder Native Advertising haben laut Reuters-Befragung an Bedeutung verloren. Erstes um 15 Prozentpunkte, zweites um sechs Prozentpunkte. Paid Content und Subscription-Modelle stehen an der Spitze, wobei etablierte Publisher laut Newman im Schnitt vier Erlössäulen angeben.

Quelle: Reuters Institute

► Für 40 Prozent der befragten Publisher ist das Eventgeschäft weiterhin von Bedeutung, wobei Newman den Wandel zu Hybrid- oder Online-Events sieht. Eine niedrigere Kostenbasis und die Möglichkeit, hochkarätigere Gäste für Events zu bekommen, seien attraktiv. Darüber hinaus ließe sich beispielsweise über Video-Events mit Redakteuren eine neue Leserbindung aufbauen.

► 29 Prozent rechnen dem E-Commerce-Geschäft eine hohe Bedeutung zu. Laut Newman werden sich 2021 viele Medienhäuser Gedanken darüber machen, vom wachsenden Online-Handel zu profitieren. Newman schließt auch nicht aus, dass Medienhäuser die Rolle des Retailers übernehmen, um Abonnements weiterer Anbieter zu verkaufen. Als Beispiel nennt er Yahoo, das Netflix-Abos vertreibt.

Innovationen: Produktentwicklung von höchster Bedeutung – bislang aber nur wenig verstanden

Die Corona-Pandemie habe lange Wege in Innovationsprozesse abgekürzt, schreibt Newman und nennt als Beispiel den schnellen Launch eines Corona-Podcasts der BBC. Dennoch werde Innovation 2021 anders gedacht als noch im Vorjahr.


Medientrends 2021: Innovation kleiner denken…

… sagt auch Lina Timm vom Media Lab Bayern in der Medieninsider-Serie Medientrends 2021. Ihren Beitrag kannst du hier nachlesen.


► Das betrifft vor allem die Quelle, aus denen Inspiration und Innovation hervorgehen. 74 Prozent geben an, mehr auf die Insights aus Community und Daten zu achten. 68 Prozent geben an, dass interdisziplinäre Teams zu mehr Innovation beitragen. Führungskräfte erkennen zudem an, dass ihre Aufgabe weniger darin bestünde, neue Ideen zu entwickeln als vielmehr andere dabei zu unterstützen.

Quelle: Reuters Institute

► 2021 gehe es weiter darum, bisherige Silos aufzubrechen, so Newman. Darüber hinaus gehe es weniger um neue Ideen (28 Prozent), dafür mehr darum, bestehende Produkte und Geschäfte auszubauen.


Medientrends 2021: Silos aufbrechen…

… sagt auch Ole Reißmann, Managing Editor beim Spiegel, in der Medieninsider-Serie Medientrends 2021. Seinen Beitrag kannst du hier nachlesen.


► In diesem Rahmen wird die Produktentwicklung als höchst relevant eingestuft. 93 Prozent der Befragten halten die Rolle des Produktentwicklers für enorm wichtig, 54 Prozent glauben, das entsprechende Know-how bereits im Unternehmen zu haben – weniger als die Hälfte (43 Prozent) geben an, Produktentwicklung wirklich verstanden („well understood“) zu haben.

Verhältnis zwischen Medien und Plattformen bleibt angespannt

Das Verhältnis zwischen Publishern und den großen Plattformen bliebe 2021 angespannt, auch wenn Medien ihrem Ziel, signifikante Beträge von Google (bspw. via Showcase) oder Facebook (bspw. via News-Tab) ein Stück näher gekommen seien. Regulierungsmaßnahmen in einigen Ländern (bspw. in Australien oder Frankreich) ließen hoffen, so Newman. Allerdings warnt er vor neuen Spannungen:

► Newman warnt einer bröckelnden Solidarität der Medienunternehmen. Unterschiedliche Interessen bei der Regulierung der Plattformen stellen Verlage auf die Probe, auch die Verteilung des Geldes könnte untereinander für Streit sorgen. Laut Umfrage seien 48 Prozent der Publisher dafür, nur eine kleine Zahl von Medien mit hoher Qualität zu beteiligen. 32 Prozent sind der Meinung, großflächiger zu verteilen, basierend auf Reichweite und Engagement.

Ingesamt kommen die Plattformen bei den Publishern immer noch nicht genug weg, wenn es um die Unterstützung von Journalismus geht – monetär wie infrastrukturell.

► Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 5 (sehr gut) bewerten 59 Prozent der Befragten Google oberhalb des Werts von 3. Bei Facebook ist nur knapp ein Drittel positiv gestimmt, was auch auf Twitter zutrifft. Andere Tech-Plattformen und Netzwerke wie Apple oder Snapchat liegen noch drunter.

Quelle: Reuters Institute

► Neben den monetären Aspekten wünschen sich Publisher weiterhin einen transparenteren Umgang und Zugang zu Daten, auch wollen sie bei Algorithmus-Änderungen früher informiert werden, um sich besser darauf einstellen zu können.

Trotz möglicher Gefahren in einigen Ländern, Meinungsfreiheit durch Regulierung einzuschränken, sind die Publisher deutlich positiver gestimmt als im Vorjahr, was die Effekte für den Journalismus angeht.

► 36 Prozent glauben, dass Regulierungen der sozialen Netzwerke positive Effekte für den Journalismus haben könnten. Vergangenes Jahr waren es noch 18 Prozent. 17 Prozent glauben, dass es negative Auswirkungen für den Journalismus geben könnte, im Vorjahr waren es 25 Prozent.

Die Fragen nach Neutralität, Haltung und Meinung…

… werden 2021 immer wichtiger, analyisert Newman. Wie persönlich dürfen Journalisten und Moderatoren werden, wie emotional – gilt es bei übergeordneten Fragen wie dem Klimawandel, eine bestimmte Haltung oder Position einzunehmen?

► 88 Prozent der von Newman und dem Reuters Institute Befragten halten die Unparteilichkeit für wichtig, gleichzeitig meinen 48 Prozent, dass es gewisse Themen gibt (Demokratie, Rassismus), in denen klare Position bezogen werden sollte.

► Newman sieht die Herausforderung für 2021, diesem Spannungsverhältnis gerecht zu werden. Manche Institutionen sind dabei, ihre Regeln für Mitarbeiter in den sozialen Medien neu zu schreiben – beispielsweise die BBC. Das Spannungsfeld werde auch im Nutzermarkt sichtbar. Menschen bevorzugten insgesamt zwar das Ideal der neutralen Berichterstattung, im jüngeren Publikum nehme aber der Anteil jener zu, die Nachrichten mit ihrer Sichtweise schätzten (Digital News Report 2020).

Newsletter und Podcasts…

… werden in diesem Jahr weiter an Relevanz gewinnen, für Publisher wie auch für Journalisten, die sich eine eigene Präsenz aufbauen wollen. Medienhäuser könnten zunehmend darauf setzen, Journalisten innerhalb ihres eigenen Markenkosmos eine eigene Präsenz aufzubauen, glaubt Newman. Seine Prognosen:

► 2021 könnte das Jahr werden, in dem das Angebot die Nachfrage übersteigt, Nutzer Newsletter eher aussortieren als neue zu abonnieren. Möglicherweise führt dies dazu, dass manche Journalisten sogar wieder zu Verlagen zurückkehren, meint Newman.


Medientrends 2021: Micropublishing als Wachstumsfeld

… erwartet der US-Medienjournalist und ehemalige Digiday-Chef Brian Morrissey in der Medieninsider-Serie Medientrends 2021. Seinen Beitrag kannst du hier nachlesen.


► Im Podcast-Markt sieht der Forscher am Reuters Institute weiterhin eine „Schlacht um die Stars“, Podcast-Plattformen würden weiterhin reichweitenstarke und prominente Podcaster exklusiv an sich binden.

► Bei ihren Erlösmodellen werden Podcaster weiterhin größtenteils auf Werbevermarktung setzen, allerdings prophezeit Newman einen steigenden Anteil von Paid-Podcasts. Das könne über freiwillige Zahlungen und Spenden funktionieren oder über direkte Abonnements, beispielsweise indem Plattformen die Möglichkeiten ausbauen.


Medientrends 2021: Paid-Podcasts als Nische in der Nische…

… sieht OMR-Gründer Philipp Westermeyer in der Medieninsider-Serie Medientrends 2021. Seinen Beitrag kannst du hier lesen.


► Einzelne Experimente und Beispiele sprechen laut Newman dafür, dass 2021 Podcasts um eine visuelle Komponente erweitert werden könnten. Video-Podcasts sind zwar nicht neu, könnten aber an Bedeutung gewinnen.

► Das gleiche gelte für Longform-Video-Formate. Als Beispiel führt Newman die Aktivitäten der New York Times an.

Neue Technologien…

… sollen zum Einsatz kommen, um immer geringere Ressourcen besser zu verteilen.

► Laut Befragung von Newman spielt dabei künstliche Intelligenz die größte Rolle. 69 Prozent der Befragten glauben, dass sie zum Einsatz kommt, um beispielsweise Artikelempfehlungen zu optimieren, Workflows zu verbessern oder Artikel in mehreren Sprachen verfügbar zu machen. Für 18 Prozent wird die 5G-Technologie wichtige Veränderungen bringen.

► Während neue Technologien für die einen Chancen bergen, fürchten andere, den Anschluss zu verlieren – vor allem kleinere Publisher mit geringerer Finanzstärke für die Entwicklung. Für sie blieben Lösungen über Drittanbieter, die womöglich weniger individuell zugeschnitten seien. 65 Prozent der Befragten glauben, dass die großen und fortgeschrittenen Publisher von der Entwicklung profitieren, 16 Prozent sehen Chancengleichheit, nur drei Prozent sehen kleinere Publisher vorne.

Die Befragung für Newmans Trendreport führte das Reuters Institute im Dezember 2020 durch. Insgesamt haben 234 Menschen aus 43 Ländern teilgenommen. 23 Prozent davon stammen aus Großbritannien, zehn Prozent aus Deutschland, neun Prozent aus Spanien, sieben Prozent aus den USA. Der größte Teil der Befragten stammt aus Chefredaktionen, gefolgt von CEOs und COOs und Head of Digitals. Newmans gesamten Trendbericht kannst du hier in voller Länge nachlesen.


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Bisher sind in der Serie Medientrends 2021 erschienen:

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Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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