Quo vadis, Medienjournalismus?

Ausgabe #13/2022

Hallo Medieninsider!

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche im Lese-Letter unter anderem erwartet:

► Welchen Herausforderungen sich der Medienjournalismus ausgesetzt sieht 

► Wie die Generation Alpha den Medienmarkt verändern wird 

► Welche Aufgaben auf Springer-Vorstand Jan Bayer in den USA warten

► Weshalb auch der Ukraine-Krieg ikonische Bilder braucht 

Als Journalist über Journalismus zu schreiben ist schon eine ziemlich selbstreferenzielle Angelegenheit. Als Medienjournalist dann auch über Medienjournalismus zu schreiben, noch einmal mehr. Trotzdem muss es manchmal sein. Besonders bei solchen Entwicklungen:

Der Medienjournalismus ist in Publikumsmedien auf dem Rückzug, viele ihrer Medienseiten dienen nur noch als Abspielfläche für die neueste Tatort-Kritik oder Medienpolitik in eigener Sache. Nicht nur das: Der Medienjournalismus erlebt seit geraumer Zeit auch einen Exodus – teilweise seiner besten Leute. Drei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:

► Kai-Hinrich Renner, der seit den 90er-Jahren im Auftrag unterschiedlichster Titel die Medienszene begleitete und dies zuletzt bei der Berliner Zeitung versuchte, ging im vergangenen Jahr neue Wege. Er arbeitet jetzt für die Kommunikationsagentur Schoesslers.

► Ebenfalls vergangenes Jahr traf die bestens vernetzte Kollegin Ulrike Simon ebenfalls die Entscheidung, auszusteigen. Kurz nachdem der medienjournalistisch affine Horizont-Chefredakteur Uwe Vorkötter seinen Posten abgab, wechselte sie als Kommunikatorin zur Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg.

► Noch in dieser Woche tritt auch Daniel Bouhs (ZappZeit Onlinetaz) einen neuen Job als Redakteur für besondere Aufgaben beim SWR an. Der ebenfalls geschätzte Kollege wird dort keine Medienjournalismus mehr machen, sondern in der Landesdirektion Rheinland-Pfalz arbeiten. 

Es sind nicht nur Journalisten, die gehen. Es sind auch Fachmedien (s. zuletzt Medienkorrespondenz), die verschwinden oder ums Überleben kämpfen. Anna von Garmissen, ehemalige Chefredakteurin des Journalist und mittlerweile ebenfalls nicht mehr im Medienjournalismus unterwegs, schrieb dazu jüngst bei Twitter:

„Keine guten Zeiten für den deutschen Medienjournalismus. (…) Hier wackelt gerade ein wichtiges Korrektiv.“

Auch wenn ich erst geneigt war, der Kollegin völlig zuzustimmen, würde ich nun an einigen Punkten widersprechen. Die Zeiten für den Medienjournalismus sind gut. Auch unsere Disziplin befindet sich in einer Transformation. Der Begriff der Medien und die Themen verändern sich, und vor allem: neue, digitale Angebote entstehen. Dennoch bereiten auch mir einige Entwicklungen Sorgen:

► Durch die Verdrängung aus den Publikumsmedien findet Medienjournalismus schwieriger seinen Weg in eine breite Öffentlichkeit. Der jüngste Viral-Skandal um Bild oder Julian Reichelt und die SEO-Meldungen zu den gerade beliebten TV-Formaten sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen. 

► Und viel bedeutender: Auch der Medienjournalismus hat ein Nachwuchsproblem. Auf die hochkarätigen Abgänge folgen kaum neue Talente. Der Grund: Die Medienfachpresse sorgt sich um den Nachwuchs nicht selbst. Sie vertraut darauf, dass es schon Journalisten geben wird, die über Journalismus schreiben wollen. 

Will der Medienjournalismus überleben, muss er sich nicht nur wandeln. Er muss sich emanzipieren. Er muss sich sowohl selbst um die Ausbildung seiner Talente kümmern, als auch wirtschaftlich unabhängiger von der restlichen Branche werden. Nur ein selbstbewusster Medienjournalismus kann attraktiv für (ein kritisches) Publikum sein und Karriere-Perspektiven aufzeigen. Das ist unsere Überzeugung bei Medieninsider, aber auch bei einigen anderen Fachmedien einer neuen Generation. Es gilt, im Interesse der Branche zu arbeiten, aber nicht für sie.

Denn eines ist klar: Nie war Medienjournalismus so wichtig wie heute, in einer Zeit, in der Medien wirtschaftlich, aber auch wieder politisch unter Druck geraten und in der sich Ideologien vor Fakten drängen.

Und klar ist auch: Wer die Mächtigen kontrolliert, ist selbst mächtig. Dass einige Journalisten und Medienmacher unsere Disziplin für überflüssig halten, ist das beste Argument für Medienjournalismus. 

Quo vadis, Medienjournalismus? Über die Entwicklungen in unserer Disziplin und die Attraktivität des Berufs geht es auch bei Was mit Medieninsider, unserem gemeinsamen Podcast mit Was mit Medien-Host Daniel Fiene. Die neue Ausgabe kannst du als Medieninsider hier hören

Was mit Medieninsider (5): Medienjournalismus, Axel Springer, Süddeutsche Zeitung, Generation Alpha


Nie war das US-Geschäft für Axel Springer wichtiger als dieser Tage. Und doch hat man nach der Abberufung von Jens Müffelmann im Jahr 2015 keinen hochrangigen Manager mehr als Repräsentanten in den Staaten verpflichtet. Ab Sommer soll sich das wieder ändern – und den Posten wird niemand Geringeres übernehmen als Jan Bayer.

Für mindestens ein Jahr wird der Publizistik-Vorstand den Ausbau des US-Geschäfts aus nächster Nähe begleiten. Es gibt viel zu tun. Bayer wird organisieren und strukturieren müssen, zeitgleich besänftigen. Seine größte Herausforderung: Der Mann, der in vielerlei Hinsicht der Gegenentwurf zum Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner darstellt, wird begeistern müssen.

Für Bayer, der die große Bühne nicht sucht, sie aber auch nicht scheut, ist der Ausflug in die USA eine Chance. Es ist seine Gelegenheit, eigene Schatten zu werfen. Er kann besser als bisher seine Fähigkeiten als Architekt von Springers Zukunftsgeschäft einbringen. Während der Chef zuhause dafür sorgen wird, dass das Alte nicht einstürzt. Mehr über Bayers neuen Job kannst du als Medieninsider hier lesen

Umbau im Springer-Vorstand: Neue Aufgaben für Jan Bayer

Springer-News-Vorstand Jan Bayer
Springer-News-Vorstand Jan Bayer

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Anschub für euer Audio-Projekt

Mit dem Programm Audio Innovation unterstützt das Journalismus Lab Teams und Menschen aus bestehenden Medienunternehmen finanziell bei Start und Weiterentwicklung von innovativen Projekten im Audio-Bereich. Bis zum 8. April bewerben.


Der Krieg in der Ukraine löst viele medienethische Debatten aus. Dabei geht es vor allem über die Art und Weise, wie der Krieg in der Berichterstattung transportiert wird und um die Frage: Zeigen oder pixeln, was ist? 

Es gibt für beide Seiten Argumente, für beide Vorgehen Grenzen. Unser Kolumnist Andreas Gebhard plädiert aber für einen großzügigeren Umgang mit Bildmaterial aus Kriegen und appelliert an die Eigenverantwortung von Nutzern, Lesern und Zuschauern. Auch der Ukraine-Krieg, schreibt er, braucht seine Ikonen. Denn auch Bilder sind es, die die Welt verändern. 

Die Kolumne von Andreas kannst du als Medieninsider hier lesen

Der Ukraine-Krieg braucht ikonische Fotos 


– Community –
Wie umgehen mit Bildern aus dem Krieg? Dazu hat unser Community-Redakteur Fabian eine Diskussion in unseren Social-Media-Gruppen gestartet. Teil deine Gedanken mit unseren Communitys bei Facebook oder LinkedIn.




News und Entdeckungen der Woche 

zusammengetragen von Kevin Dusch

Axel Springer übernimmt ThinkTank World Minds

Axel Springer hat über die World Minds Management AG die Mehrheit an der gleichnamigen Elite-Community erworben. Dem dahinter liegenden und über eine Stiftung organisierten ThinkTank gehören nach eigenen Angaben nur 1000 Menschen aus Forschung, Kultur, Politik und Wirtschaft an. Rein kommt, wer eingeladen wird. Die Geschäfte leiten Springer-Manager Christoph Keese und Gründer Rolf Dobelli. Der Konzern möchte mit dem Zukauf sein Veranstaltungsportfolio für Entscheider ausbauen. Dazu gehören der Welt-Wirtschaftsgipfel und Politico Live. Im Februar hatte Springer ein weiteres Panel-Format mit dem Titel „Insights of the world today by Axel Springer“ getestet. Geleitet von Bild-Chef Johannes Boie sprachen dort Springer-Journalisten für ein handverlesenes Publikum über Europas Sicherheitspolitik. Die aktuelle Konzernmitteilung findest du hier.

Bundeskartellamt genehmigt Signa-Einstieg bei Ostthüringer Zeitung

René Benkos Signa Medien GmbH darf laut Bundeskartellamt 40 Prozent der Verlagsgesellschaften der Ostthüringer Zeitung übernehmen. Signa Medien, das von Springer-Manager Christoph Keese geführt wird, erwirbt die Anteile von der Rheinisch-Westfälischen Verlagsgesellschaft. 2021 wollte eigentlich die Funke Mediengruppe diese Anteile übernehmen, durfte aber nicht. Denn: Funke hält bereits die übrigen 60 Prozent an den Verlagsgesellschaften der Ostthüringer Zeitung und gibt im gleichen Vertriebsgebiet außerdem die Thüringische Landeszeitung heraus. Signa und die Funke Mediengruppe kooperieren bereits in Österreich bei der Kronen Zeitung und dem Kurier. Die Pressemitteilung zur aktuellen Entscheidung des Bundeskartellamtes findest du hier, einen Artikel über die Hintergründe von Der Standard hier.

OBS: Freie Journalisten von Corona-Pandemie besonders betroffen 

Laut einer Untersuchung der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) der Gewerkschaft IG Metall hat die Corona-Pandemie vor allem freie Journalisten hart getroffen. Mehr noch als ihre fest angestellten Kollegen waren sie mit Einkommens- und Auftragseinbußen konfrontiert, etwa durch den Wegfall von klassischen Außeneinsätzen wie Kultur-Veranstaltungen und Sport-Ereignisse. Die qualitative Untersuchung „Erosion von Öffentlichkeit“ haben die Journalistik-Professorin Barbara Witte von der Hochschule Bremen und der Soziologe Gerhard Syben vom Forschungsinstitut BAQ Bremen erstellt. Die Ergebnisse basieren auf Interviews mit Vertretern von zehn Medienhäusern sowie 17 freien Journalisten. Die ganze Untersuchung findest du hier.

NZZ meldet Umsatz-Zuwachs

Die NZZ meldet für 2021 ein Wachstum im operativen Ergebnis (EBIT) von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 24,2 Millionen Schweizer Franken (23,60 Millionen Euro). Dem Bericht zufolge lag der Umsatz des Unternehmens 2021 bei 239,5 Millionen Schweizer Franken (233,49 Millionen Euro) – acht Prozent mehr als 2020 und vier Prozent mehr als im Vor-Pandemie-Jahr 2019. Den Erfolg führt die NZZ vor allem auf Wachstum im Lesermarktumsatz und das sich erholende Veranstaltungsgeschäft zurück. Das journalistische Kerngeschäft hat demnach einen Anteil von 10 Millionen Schweizer Franken (9,75 Millionen Euro) am EBIT, also gut 41 Prozent. Die digitalen Werbeerlöse lagen dem Bericht zufolge erstmal höher als jene aus dem klassischen Print-Inseratemarkt. Ingesamt lag der Werbe-Ertrag mit 13,6 Millionen Schweizer Franken (13,26 Millionen Euro) 21 Prozent höher als 2020. Alle Zahlen des Geschäftsjahres 2021 der NZZ findest du hier.


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MEDIENTAGE digitalks: Ukraine – Ein Krieg, der auch die Medienwelt verändert

Beim #MTMdigitalk steht im Fokus, wie Medien mit dem Krieg in der Ukraine umgehen und was dieser Konflikt langfristig für die Medienwelt bedeuten könnte. Donnerstag, 31. März 2021, 15-17 Uhr – online only. Moderation: Marvin Schade von Medieninsider. Die Anmeldung ist kostenlos! 


Spotify integriert Live-Audio in seine Streaming-App

Spotify plant offenbar, sein Live-Audio-Angebot im zweiten Quartal 2022 in die Spotify-App zu integrieren. Die bisher genutzte App Greenroom soll in diesem Zuge in Spotify Live umbenannt werden und künftig als Organisationstool für die Creator von Live Sessions dienen. Nachdem der Hype um Clubhouse und die anfängliche Live-Audio-Euphorie abgeflaut waren, hatte sich Greenroom kaum durchsetzen können – dennoch hat Spotify mit verschiedenen Exklusiv-Deals versucht, sich Marktanteile zu sichern. Die Meldung von Bloomberg Quint findest du hier.

Russland-Ukraine-Ticker: Die neuesten Meldungen aus dem Informationskrieg

► Reporter ohne Grenzen stellt Webauftritt der Deutschen Welle in Russland wieder her, Russland stuft Journalisten als „ausländische Agenten“ ein (Deutsche Welle)

► Medienaufsicht sperrt Bild in Russland, Welt veröffentlicht nun russische Bild-Texte (Welt)

► Russland verbietet mit zweitem repressivem Presse-Gesetz Berichterstattung über russische Staatsorgane im Ausland (FAZ)

► Nowaja Gaseta, eine der letzten unabhängigen russischen Zeitungen, setzt Betrieb nach zweiter Verwarnung aus (TagesschauNowaja Gaseta)

► Gericht: Russen dürfen Facebook und Instagram trotz Blockade legal nutzen (T-Online)


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► Der Digitalverlag KiVVON sucht in Berlin eine(n) Redakteur*in zur Festanstellung in Vollzeit. Mehr dazu

Jobs aus der digitalen Medienbranche auch auf Twitter unter @medienjobboerse


Aus dem Personalticker

► Dafna Linzer wird Politico-Chefredakteurin

► Carsten Türke und Markus Brauck werden Vorsitzende der Spiegel-Mitarbeiter-KG

► Silke Galante wird Personalchefin beim Kölner Stadt-Anzeiger

► WDR-Sportchef Steffen Simon übernimmt Öffentlichkeitsarbeit beim DfB


Lese-Tipp

Wenn Medien über den Krieg in der Ukraine berichten, stolpert man beim Lesen immer häufiger über unterschiedliche Schreibweisen von Städtenamen. Auch wir haben darüber in der Redaktion diskutiert. Wie schreibt man den Namen der ukrainischen Hauptstadt? Kiew, Kyiv oder doch Kyjiw? Angesichts des Leids im Kriegsgebiet kommt dann schnell auch die Frage auf, welche Rolle das überhaupt spielt. Ist das nicht eher eine Lapalie? Nein, schreibt Veronika Wulf in der Süddeutschen Zeitung.

In ihrem Text kommen Ukrainer zu Wort, die eine Abkehr von der russischen Schreibweise Kiew/Kiev (von Киев) fordern. Stattdessen soll es ukrainisch Kyiv oder Kyjiw (von Київ) heißen. Denn: Die Geschichte russischer Unterdrückung in der Ukraine ist lang – und die Sprache hat dabei immer eine große Rolle gespielt. Nur zwei von vielen Beispielen aus ihrem Text:
 
► Im russischen Zarenreich, das lange über die Ukraine herrschte, wurde die ukrainische Sprache immer wieder verboten. Ukrainisch wurden zu Zeiten des Zaren als „Kleinrussisch“ bezeichnet. Dieses Wording greift Putin aktuell auf, spricht von Ukrainern als Kleinrussen.

► Unter der Herrschaft der Sowjetunion gab es in der Ukraine abermals Bücherverbrennungen. Die Sprache wurde als hinterwäldlerischer Dialekt des Russischen abgetan. Die Sowjetunion ermächtigte sich gleichzeitig der Sprache, entfernte Wörter und sogar einen Buchstaben aus dem Wörterbuch.

Steht nun – egal ob in der Ukraine oder anderswo – vor jedem Schreiben eines Städtenamens eine umfangreiche historische Recherche? Sicher nicht. Kaum irgendwo ist die Frage der Schreibweise so heikel wie gerade hier. Trotzdem: Journalisten, Menschen des Wortes, tun gut daran, sensibel bei der Wortwahl zu sein. Den Text von Veronika Wulf in der Süddeutschen Zeitung mit den Stimmen zum Thema aus der Ukraine findest du hier.

Viele Grüße sendet dir
Marvin

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Marvin Schade
Marvin Schadehttps://medieninsider.com
Marvin ist Co-Gründer und Founding Editor von Medieninsider und hat sich damit einen kleinen Traum erfüllt. Vor der Gründung war er mehrere Jahre für den Branchendienst Meedia in Hamburg und Berlin tätig, arbeitete kurz beim Focus Magazin und zuletzt für Gabor Steingarts Morning Briefing.

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